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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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aufgegeben hatte, um ganz in den Dienst der Mäßigkeitssache zu treten, wurde
von 1826 an die völlige Enthaltsamkeit zum Ziele genommen. Noch aber be-
schränkte man diese auf die gebrannten Getränke. Es war daher eine weitere
Erhöhung des immer noch sehr fernen Ziels, als man auch die gegohrenen,
also kurz alle überhaupt berauschenden Getränke zu vervehmen beschloß. Indem
sich die Bewegung gleichwohl immer mehr ausbreitete, bekam sie allmälig Ein¬
fluß auf die verwaltenden und gesetzgebenden Behörden der Staaten und ver¬
wandte diesen dazu, den Spielraum des bekämpften Uebels auch durch gesetzliche
und polizeiliche Maßregeln zunehmend einzuengen. Alle Erfolge in dieser
Richtung galten ihr jedoch nur als vorläufige und die Stimmung vorbereitende,
so lange nicht das gänzliche Verbot des Handels mit Branntwein zum Zwecke
des Genusses durchgesetzt war. Dies gelang bekanntlich zuerst 1861 im Staat
Maine. Der 2. Juni war der denkwürdige Tag, an welchem das seitdem so¬
genannte Mainegesetz erlassen wurde, die Beschränkung alles Spiritushandels
auf medicinische und gewerbliche Zwecke unter strenger Controle -- Dank be¬
sonders den energischen Anstrengungen Real Dows, des Mayors von Portland.
Wo von diesem Tage an in Maine noch Branntwein gefunden wurde, floß er,
wie am 4. Juli in Bangor zehn Fässer, unerbittlich in die Gosse. Zwar fehlte
es nicht an einer leidenschaftlichen Reaction.der Schnapsverkäuser und ihres
Anhangs; sie zogen sogar Real Dow unter der fälschlicher Beschuldigung vor
Gericht, er selbst gebe sich insgeheim mit Branntweinverkaus ab. Aber noch
war die Fluth der gegen den Trunk gerichteten Bewegung im Steigen. Nach
einander nahmen dreizehn andre Staaten der Union das Mainegesetz oder ein
demselben nachgebildetes gleichartiges Gesetz an: Minnesota, Rhode-Jsland und
Massachusetts im Jahre 1852, Vermont und Michigan 1853, Connecticut 1854,
Jndiana, Delaware, Iowa, Nebraska, New-York und New-Hampshire 1855.
Nur im Staate New-York vermochten die Gegner die angerufene richterliche
Gewalt im Jahre 1856 dahin zu bestimmen, daß sie das Gesetz für verfassungs¬
widrig erklärte. Eine weitere Ausdehnung nach Süden hin mußte schon an
den Verhältnissen erlahmen, welche die Sklaverei mit sich brachte; den Sklaven
Branntwein zu verkaufen war dort ohnedies von jeher sehr erschwert oder ver¬
boten. Aber auch das südliche Klima setzt in Amerika, wie in Europa und
der ganzen Welt, der UnmSßigkeit im Trinken von selbst gewisse Schranken.
Später haben die Donner des Bürgerkrieges den gemessenen Gang der Mäßig¬
keitsbewegung theils gehemmt, theils wenigstens übertäubt. Wir haben aller¬
dings u. a. noch lesen können, daß Real Dow an der Spitze eines Regiments
von lauter Enthaltsamkeitsmännern den Krieg gegen den aufgestandenen Süden
mitgemacht hat. Aber über das Weitere, über die nachhaltigen Wirkungen des
Mainegesetzes fehlen uns ebenso noch alle näheren Nachrichten als über die
Aussichten auf Wiederbelebung der unterbrochner Bewegung, wie es denn über"


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aufgegeben hatte, um ganz in den Dienst der Mäßigkeitssache zu treten, wurde
von 1826 an die völlige Enthaltsamkeit zum Ziele genommen. Noch aber be-
schränkte man diese auf die gebrannten Getränke. Es war daher eine weitere
Erhöhung des immer noch sehr fernen Ziels, als man auch die gegohrenen,
also kurz alle überhaupt berauschenden Getränke zu vervehmen beschloß. Indem
sich die Bewegung gleichwohl immer mehr ausbreitete, bekam sie allmälig Ein¬
fluß auf die verwaltenden und gesetzgebenden Behörden der Staaten und ver¬
wandte diesen dazu, den Spielraum des bekämpften Uebels auch durch gesetzliche
und polizeiliche Maßregeln zunehmend einzuengen. Alle Erfolge in dieser
Richtung galten ihr jedoch nur als vorläufige und die Stimmung vorbereitende,
so lange nicht das gänzliche Verbot des Handels mit Branntwein zum Zwecke
des Genusses durchgesetzt war. Dies gelang bekanntlich zuerst 1861 im Staat
Maine. Der 2. Juni war der denkwürdige Tag, an welchem das seitdem so¬
genannte Mainegesetz erlassen wurde, die Beschränkung alles Spiritushandels
auf medicinische und gewerbliche Zwecke unter strenger Controle — Dank be¬
sonders den energischen Anstrengungen Real Dows, des Mayors von Portland.
Wo von diesem Tage an in Maine noch Branntwein gefunden wurde, floß er,
wie am 4. Juli in Bangor zehn Fässer, unerbittlich in die Gosse. Zwar fehlte
es nicht an einer leidenschaftlichen Reaction.der Schnapsverkäuser und ihres
Anhangs; sie zogen sogar Real Dow unter der fälschlicher Beschuldigung vor
Gericht, er selbst gebe sich insgeheim mit Branntweinverkaus ab. Aber noch
war die Fluth der gegen den Trunk gerichteten Bewegung im Steigen. Nach
einander nahmen dreizehn andre Staaten der Union das Mainegesetz oder ein
demselben nachgebildetes gleichartiges Gesetz an: Minnesota, Rhode-Jsland und
Massachusetts im Jahre 1852, Vermont und Michigan 1853, Connecticut 1854,
Jndiana, Delaware, Iowa, Nebraska, New-York und New-Hampshire 1855.
Nur im Staate New-York vermochten die Gegner die angerufene richterliche
Gewalt im Jahre 1856 dahin zu bestimmen, daß sie das Gesetz für verfassungs¬
widrig erklärte. Eine weitere Ausdehnung nach Süden hin mußte schon an
den Verhältnissen erlahmen, welche die Sklaverei mit sich brachte; den Sklaven
Branntwein zu verkaufen war dort ohnedies von jeher sehr erschwert oder ver¬
boten. Aber auch das südliche Klima setzt in Amerika, wie in Europa und
der ganzen Welt, der UnmSßigkeit im Trinken von selbst gewisse Schranken.
Später haben die Donner des Bürgerkrieges den gemessenen Gang der Mäßig¬
keitsbewegung theils gehemmt, theils wenigstens übertäubt. Wir haben aller¬
dings u. a. noch lesen können, daß Real Dow an der Spitze eines Regiments
von lauter Enthaltsamkeitsmännern den Krieg gegen den aufgestandenen Süden
mitgemacht hat. Aber über das Weitere, über die nachhaltigen Wirkungen des
Mainegesetzes fehlen uns ebenso noch alle näheren Nachrichten als über die
Aussichten auf Wiederbelebung der unterbrochner Bewegung, wie es denn über«


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[0309] aufgegeben hatte, um ganz in den Dienst der Mäßigkeitssache zu treten, wurde von 1826 an die völlige Enthaltsamkeit zum Ziele genommen. Noch aber be- schränkte man diese auf die gebrannten Getränke. Es war daher eine weitere Erhöhung des immer noch sehr fernen Ziels, als man auch die gegohrenen, also kurz alle überhaupt berauschenden Getränke zu vervehmen beschloß. Indem sich die Bewegung gleichwohl immer mehr ausbreitete, bekam sie allmälig Ein¬ fluß auf die verwaltenden und gesetzgebenden Behörden der Staaten und ver¬ wandte diesen dazu, den Spielraum des bekämpften Uebels auch durch gesetzliche und polizeiliche Maßregeln zunehmend einzuengen. Alle Erfolge in dieser Richtung galten ihr jedoch nur als vorläufige und die Stimmung vorbereitende, so lange nicht das gänzliche Verbot des Handels mit Branntwein zum Zwecke des Genusses durchgesetzt war. Dies gelang bekanntlich zuerst 1861 im Staat Maine. Der 2. Juni war der denkwürdige Tag, an welchem das seitdem so¬ genannte Mainegesetz erlassen wurde, die Beschränkung alles Spiritushandels auf medicinische und gewerbliche Zwecke unter strenger Controle — Dank be¬ sonders den energischen Anstrengungen Real Dows, des Mayors von Portland. Wo von diesem Tage an in Maine noch Branntwein gefunden wurde, floß er, wie am 4. Juli in Bangor zehn Fässer, unerbittlich in die Gosse. Zwar fehlte es nicht an einer leidenschaftlichen Reaction.der Schnapsverkäuser und ihres Anhangs; sie zogen sogar Real Dow unter der fälschlicher Beschuldigung vor Gericht, er selbst gebe sich insgeheim mit Branntweinverkaus ab. Aber noch war die Fluth der gegen den Trunk gerichteten Bewegung im Steigen. Nach einander nahmen dreizehn andre Staaten der Union das Mainegesetz oder ein demselben nachgebildetes gleichartiges Gesetz an: Minnesota, Rhode-Jsland und Massachusetts im Jahre 1852, Vermont und Michigan 1853, Connecticut 1854, Jndiana, Delaware, Iowa, Nebraska, New-York und New-Hampshire 1855. Nur im Staate New-York vermochten die Gegner die angerufene richterliche Gewalt im Jahre 1856 dahin zu bestimmen, daß sie das Gesetz für verfassungs¬ widrig erklärte. Eine weitere Ausdehnung nach Süden hin mußte schon an den Verhältnissen erlahmen, welche die Sklaverei mit sich brachte; den Sklaven Branntwein zu verkaufen war dort ohnedies von jeher sehr erschwert oder ver¬ boten. Aber auch das südliche Klima setzt in Amerika, wie in Europa und der ganzen Welt, der UnmSßigkeit im Trinken von selbst gewisse Schranken. Später haben die Donner des Bürgerkrieges den gemessenen Gang der Mäßig¬ keitsbewegung theils gehemmt, theils wenigstens übertäubt. Wir haben aller¬ dings u. a. noch lesen können, daß Real Dow an der Spitze eines Regiments von lauter Enthaltsamkeitsmännern den Krieg gegen den aufgestandenen Süden mitgemacht hat. Aber über das Weitere, über die nachhaltigen Wirkungen des Mainegesetzes fehlen uns ebenso noch alle näheren Nachrichten als über die Aussichten auf Wiederbelebung der unterbrochner Bewegung, wie es denn über« GltNjboten I. 18KS. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/309>, abgerufen am 29.06.2024.