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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Unterricht zu bezahlen haben, und weil sie recht wohl wissen, daß Lesen, Schreiben
und Rechnen seinen Werth hat. Sobald sie aber bemerken, daß christliche
Bücher dabei gebraucht und christliche Glaubenssätze eingeprägt werden, schöpfen
sie selbstverständlich Verdacht und behalten die Kinder zu Hause, in der Hoffnung,
man werde seinen Unterrichtsplan ändern. Geschieht dies nicht, so geben sie
bisweilen nach, indem sie meinen, das ihnen Widerwärtige, was den Kindern
neben dem von ihnen als nützlich Anerkannten eingeprägt wird, schon wieder
ausrotten zu können. Häufiger leeren sich die Schulen infolge von Gerüchten,
welche von Brahmanen und Muhammedanern über sie ausgesprengt werden.
"Sie sagen," erzählt unser Buch, "die Missionäre wollen die Kinder mit Gewalt
zu Christen machen, oder gar, man werde die Kleinen eines Tages ganz un¬
erwartet auf ein Boot bringen und nach England schicken, damit dort aus
ihnen Oel gepreßt werde. Dadurch verloren wir einst die besten Kinder aus
der Bazarschule, und wir hatten oft nicht einen Einzigen, der lesen konnte,
ja wir waren sogar genöthigt, die eine und die andre Schule, bisweilen auch
alle, theils weil keine Kinder kamen, theils weil die heidnischen Lehrer nicht
gehorchen wollten, auf einige Zeit zu schließen."

Und wie mit den Bazarschulen, so ging es unsern Missionären auch mit
der Mädchenschule, welche die Frau des einen derselben im Missionshause selbst
hielt. Es hält schwer, Mädchen zum Unterricht zu bekommen, da die Hindus
es für unnütz halten, daß Frauen etwas lernen. Nur die niedngste Kaste giebt
ihre Kinder dazu her. In unserm Fall war es so eingerichtet, daß eine Frau
von den Eingebornen der Gattin des Missionärs zur Seite ging, die Mädchen
sammelte und nach der Schule brachte. Vor dem Eintritt in letztere, die in
der Veranda des Hauses gehalten wurde, mußten die Kinder sich im Fluß oder
am Brunnen baden und ein von der Mission ihnen gereichtes reines Gewand
anziehen. Der Unterricht begann mit Gebet und bestand in den Elementar¬
gegenständen, weiblichen Handarbeiten, zu denen die Kinder großes Geschick
zeigten, vor allem aber in Belehrung über die christliche Religion. Nach Schluß
der Schulstunden legten die Mädchen das ihnen geliehene Kleid wieder ab und
zogen ihr eignes an. Sie erhielten dafür, daß sie zur Schule kamen, eine
kleine Geldsumme. Eine Zeit lang hatte man in der Missionsstation vierund-
zwanzig Mädchen. Da erhielt man von dem englischen Geistlichen zu Baglipur,
der seiner Gesundheit halber heim nach England reisen mußte, im Juli 1846
eine Anzahl Waisenkinder zugeschickt, darunter acht Knaben. Sogleich fragten
die Kinder aus der Mädchenschule die Lehrerin, wo diese ihre Frauen herbe¬
kommen würden (in Indien heirathet man sehr früh), und als sie die Antwort
empfingen, dafür würde gesorgt werden, wenn die Knaben erwachsen wären,
liefen augenblicklich drei von den Mädchen davon, da sie meinten, sie sollten diesen
Knaben zu Frauen gegeben werden. Kaum hatte sich die Schule einige Tage


Unterricht zu bezahlen haben, und weil sie recht wohl wissen, daß Lesen, Schreiben
und Rechnen seinen Werth hat. Sobald sie aber bemerken, daß christliche
Bücher dabei gebraucht und christliche Glaubenssätze eingeprägt werden, schöpfen
sie selbstverständlich Verdacht und behalten die Kinder zu Hause, in der Hoffnung,
man werde seinen Unterrichtsplan ändern. Geschieht dies nicht, so geben sie
bisweilen nach, indem sie meinen, das ihnen Widerwärtige, was den Kindern
neben dem von ihnen als nützlich Anerkannten eingeprägt wird, schon wieder
ausrotten zu können. Häufiger leeren sich die Schulen infolge von Gerüchten,
welche von Brahmanen und Muhammedanern über sie ausgesprengt werden.
„Sie sagen," erzählt unser Buch, „die Missionäre wollen die Kinder mit Gewalt
zu Christen machen, oder gar, man werde die Kleinen eines Tages ganz un¬
erwartet auf ein Boot bringen und nach England schicken, damit dort aus
ihnen Oel gepreßt werde. Dadurch verloren wir einst die besten Kinder aus
der Bazarschule, und wir hatten oft nicht einen Einzigen, der lesen konnte,
ja wir waren sogar genöthigt, die eine und die andre Schule, bisweilen auch
alle, theils weil keine Kinder kamen, theils weil die heidnischen Lehrer nicht
gehorchen wollten, auf einige Zeit zu schließen."

Und wie mit den Bazarschulen, so ging es unsern Missionären auch mit
der Mädchenschule, welche die Frau des einen derselben im Missionshause selbst
hielt. Es hält schwer, Mädchen zum Unterricht zu bekommen, da die Hindus
es für unnütz halten, daß Frauen etwas lernen. Nur die niedngste Kaste giebt
ihre Kinder dazu her. In unserm Fall war es so eingerichtet, daß eine Frau
von den Eingebornen der Gattin des Missionärs zur Seite ging, die Mädchen
sammelte und nach der Schule brachte. Vor dem Eintritt in letztere, die in
der Veranda des Hauses gehalten wurde, mußten die Kinder sich im Fluß oder
am Brunnen baden und ein von der Mission ihnen gereichtes reines Gewand
anziehen. Der Unterricht begann mit Gebet und bestand in den Elementar¬
gegenständen, weiblichen Handarbeiten, zu denen die Kinder großes Geschick
zeigten, vor allem aber in Belehrung über die christliche Religion. Nach Schluß
der Schulstunden legten die Mädchen das ihnen geliehene Kleid wieder ab und
zogen ihr eignes an. Sie erhielten dafür, daß sie zur Schule kamen, eine
kleine Geldsumme. Eine Zeit lang hatte man in der Missionsstation vierund-
zwanzig Mädchen. Da erhielt man von dem englischen Geistlichen zu Baglipur,
der seiner Gesundheit halber heim nach England reisen mußte, im Juli 1846
eine Anzahl Waisenkinder zugeschickt, darunter acht Knaben. Sogleich fragten
die Kinder aus der Mädchenschule die Lehrerin, wo diese ihre Frauen herbe¬
kommen würden (in Indien heirathet man sehr früh), und als sie die Antwort
empfingen, dafür würde gesorgt werden, wenn die Knaben erwachsen wären,
liefen augenblicklich drei von den Mädchen davon, da sie meinten, sie sollten diesen
Knaben zu Frauen gegeben werden. Kaum hatte sich die Schule einige Tage


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/292>, abgerufen am 22.12.2024.