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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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schwindlige. man scandalisirt sich nicht mehr über die, zur öffentlichen Schau
gestellte Nacktheit, debattirt nicht mehr über ihre Berechtigung und läßt sich den
prächtigen Gesammtanblick gefallen.

Immer wieder haben wir nur zu bedauern, daß die leidige Liebhaberei
Rauchs, alle Skulpturwerke auf schlanken Postamenten möglichst hoch in die
Luft zu bringen, auch dieser Werke Wirkung und Genuß beeinträchtigt hat.
Beides wäre durch eine Kürzung des Höhenmaßes dieser Piedestale um die
volle Hälfte verdoppelt worden.

Drake fiel als darzustellender Gegenstand die Krönung des Kriegers durch
die Siegesgöttin zu. Man erkennt in seiner meisterlichen Gruppe den Bildner
der zartesten, lieblichsten, naivsten Scenen und Gestalten kaum wieder. Nicht
eine der übrigen sieben Gruppen weist eine gleiche Kraftfülle, eine gleich he¬
roische Männlichkeit in der Conception wie in der Formengebung auf. An-
tikisirend ist letztere auch hier wieder nicht. Er hat ein herbes nordisches Ele¬
ment hineingebracht, welches den Gestatten eine eigenthümliche Macht, Frische
und Großartigkeit verleiht, ohne der hohen Anmuth der eben niedcrschweben-
den Siegesgöttin Eintrag zu thun, gegen deren ruhige Herrlichkeit die noch
leidenschaftlich nacheifernde Erregtheit des Kriegers aufs glücklichste con-
trastirt.

Die großen monumentalen Arbeiten Drakes folgen sich nun in gleichmä¬
ßiger Stetigkeit, und neben ihnen her geht unter seinen Händen eine endlose
Zahl von kleineren Arbeiten, Büsten, Reliefs, Porträtstatuetten hervor. Seine
hier mehrfach betonte Eigenthümlichkeit, seine seltne Auffassungsgabe für das
Individuelle und Persönliche im Menschen machten ihn zu einem Porträtbild¬
ner, der den Wettkampf selbst mit Rietschel nicht zu scheuen hatte; seine außer¬
ordentliche technische Kunst in der Behandlung des Marmors kam dieser Be¬
gabung glücklich zu Hilfe; und die durchweg befriedigende Lösung solcher Auf¬
gaben führte nothwendig einen innern neuen Andrang von gleichen herbei.
Von allen derartigen reinen Bildnißarbeiten sei hier nur der einen gedacht,
welche seines greisen Meisters Sinn immer vorzugsweise entzückte, der Statuette
Scherenbergs des Dichters. In größerem monumentalerem Stil durchgeführt,
aber darum keineswegs weniger den ganzen persönlichen leibhaftigen Menschen
gebend, ist die Statue Rauchs für die Vorhalle des Museums. Das Modell
entstand bereits zu Anfang der fünfziger Jahre, die Marmorausführung wurde
erst 1864 neben den früher genannten Werken Tiecks und Wichmanns, der
Schinkel- und der Winkelmannstatue aufgestellt, eine Nachbarschaft, in welcher
die edle Gestalt mit ihrer ebenso feinen, charakteristischen als großartig monu¬
mentalen Schönheit wie ein Fremdling erscheint. In demselben Jahrzehnt
sehen wir Drake ferner die köstliche realistisch derbe und zugleich in so freier
heitrer Grazie bewegte Figur des seinen Pokal schwenkenden Herolds nobel-


schwindlige. man scandalisirt sich nicht mehr über die, zur öffentlichen Schau
gestellte Nacktheit, debattirt nicht mehr über ihre Berechtigung und läßt sich den
prächtigen Gesammtanblick gefallen.

Immer wieder haben wir nur zu bedauern, daß die leidige Liebhaberei
Rauchs, alle Skulpturwerke auf schlanken Postamenten möglichst hoch in die
Luft zu bringen, auch dieser Werke Wirkung und Genuß beeinträchtigt hat.
Beides wäre durch eine Kürzung des Höhenmaßes dieser Piedestale um die
volle Hälfte verdoppelt worden.

Drake fiel als darzustellender Gegenstand die Krönung des Kriegers durch
die Siegesgöttin zu. Man erkennt in seiner meisterlichen Gruppe den Bildner
der zartesten, lieblichsten, naivsten Scenen und Gestalten kaum wieder. Nicht
eine der übrigen sieben Gruppen weist eine gleiche Kraftfülle, eine gleich he¬
roische Männlichkeit in der Conception wie in der Formengebung auf. An-
tikisirend ist letztere auch hier wieder nicht. Er hat ein herbes nordisches Ele¬
ment hineingebracht, welches den Gestatten eine eigenthümliche Macht, Frische
und Großartigkeit verleiht, ohne der hohen Anmuth der eben niedcrschweben-
den Siegesgöttin Eintrag zu thun, gegen deren ruhige Herrlichkeit die noch
leidenschaftlich nacheifernde Erregtheit des Kriegers aufs glücklichste con-
trastirt.

Die großen monumentalen Arbeiten Drakes folgen sich nun in gleichmä¬
ßiger Stetigkeit, und neben ihnen her geht unter seinen Händen eine endlose
Zahl von kleineren Arbeiten, Büsten, Reliefs, Porträtstatuetten hervor. Seine
hier mehrfach betonte Eigenthümlichkeit, seine seltne Auffassungsgabe für das
Individuelle und Persönliche im Menschen machten ihn zu einem Porträtbild¬
ner, der den Wettkampf selbst mit Rietschel nicht zu scheuen hatte; seine außer¬
ordentliche technische Kunst in der Behandlung des Marmors kam dieser Be¬
gabung glücklich zu Hilfe; und die durchweg befriedigende Lösung solcher Auf¬
gaben führte nothwendig einen innern neuen Andrang von gleichen herbei.
Von allen derartigen reinen Bildnißarbeiten sei hier nur der einen gedacht,
welche seines greisen Meisters Sinn immer vorzugsweise entzückte, der Statuette
Scherenbergs des Dichters. In größerem monumentalerem Stil durchgeführt,
aber darum keineswegs weniger den ganzen persönlichen leibhaftigen Menschen
gebend, ist die Statue Rauchs für die Vorhalle des Museums. Das Modell
entstand bereits zu Anfang der fünfziger Jahre, die Marmorausführung wurde
erst 1864 neben den früher genannten Werken Tiecks und Wichmanns, der
Schinkel- und der Winkelmannstatue aufgestellt, eine Nachbarschaft, in welcher
die edle Gestalt mit ihrer ebenso feinen, charakteristischen als großartig monu¬
mentalen Schönheit wie ein Fremdling erscheint. In demselben Jahrzehnt
sehen wir Drake ferner die köstliche realistisch derbe und zugleich in so freier
heitrer Grazie bewegte Figur des seinen Pokal schwenkenden Herolds nobel-


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[0253] schwindlige. man scandalisirt sich nicht mehr über die, zur öffentlichen Schau gestellte Nacktheit, debattirt nicht mehr über ihre Berechtigung und läßt sich den prächtigen Gesammtanblick gefallen. Immer wieder haben wir nur zu bedauern, daß die leidige Liebhaberei Rauchs, alle Skulpturwerke auf schlanken Postamenten möglichst hoch in die Luft zu bringen, auch dieser Werke Wirkung und Genuß beeinträchtigt hat. Beides wäre durch eine Kürzung des Höhenmaßes dieser Piedestale um die volle Hälfte verdoppelt worden. Drake fiel als darzustellender Gegenstand die Krönung des Kriegers durch die Siegesgöttin zu. Man erkennt in seiner meisterlichen Gruppe den Bildner der zartesten, lieblichsten, naivsten Scenen und Gestalten kaum wieder. Nicht eine der übrigen sieben Gruppen weist eine gleiche Kraftfülle, eine gleich he¬ roische Männlichkeit in der Conception wie in der Formengebung auf. An- tikisirend ist letztere auch hier wieder nicht. Er hat ein herbes nordisches Ele¬ ment hineingebracht, welches den Gestatten eine eigenthümliche Macht, Frische und Großartigkeit verleiht, ohne der hohen Anmuth der eben niedcrschweben- den Siegesgöttin Eintrag zu thun, gegen deren ruhige Herrlichkeit die noch leidenschaftlich nacheifernde Erregtheit des Kriegers aufs glücklichste con- trastirt. Die großen monumentalen Arbeiten Drakes folgen sich nun in gleichmä¬ ßiger Stetigkeit, und neben ihnen her geht unter seinen Händen eine endlose Zahl von kleineren Arbeiten, Büsten, Reliefs, Porträtstatuetten hervor. Seine hier mehrfach betonte Eigenthümlichkeit, seine seltne Auffassungsgabe für das Individuelle und Persönliche im Menschen machten ihn zu einem Porträtbild¬ ner, der den Wettkampf selbst mit Rietschel nicht zu scheuen hatte; seine außer¬ ordentliche technische Kunst in der Behandlung des Marmors kam dieser Be¬ gabung glücklich zu Hilfe; und die durchweg befriedigende Lösung solcher Auf¬ gaben führte nothwendig einen innern neuen Andrang von gleichen herbei. Von allen derartigen reinen Bildnißarbeiten sei hier nur der einen gedacht, welche seines greisen Meisters Sinn immer vorzugsweise entzückte, der Statuette Scherenbergs des Dichters. In größerem monumentalerem Stil durchgeführt, aber darum keineswegs weniger den ganzen persönlichen leibhaftigen Menschen gebend, ist die Statue Rauchs für die Vorhalle des Museums. Das Modell entstand bereits zu Anfang der fünfziger Jahre, die Marmorausführung wurde erst 1864 neben den früher genannten Werken Tiecks und Wichmanns, der Schinkel- und der Winkelmannstatue aufgestellt, eine Nachbarschaft, in welcher die edle Gestalt mit ihrer ebenso feinen, charakteristischen als großartig monu¬ mentalen Schönheit wie ein Fremdling erscheint. In demselben Jahrzehnt sehen wir Drake ferner die köstliche realistisch derbe und zugleich in so freier heitrer Grazie bewegte Figur des seinen Pokal schwenkenden Herolds nobel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/253>, abgerufen am 22.07.2024.