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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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der Heiligung des Sonntags gezogen. Eine nähere Betrachtung der Einzel¬
heiten der in Frage stehenden Bestimmungen ergebe aber auch, wie störend
dieselben in die ganze Sonntagsheiligung eingreifen und dadurch zugleich von
der Theilnahme an dem öffentlichen Gottesdienste abhalten und entfremden.
Denn wer am Sonntagvormittag bis eine Stunde vor dem Anfang des
öffentlichen Gottesdienstes gearbeitet habe und Nachmittags wieder arbeiten wolle,
werde wenig geneigt sein, in der Zwischenzeit den Gottesdienst zu besuchen,
vielmehr es vorziehen, die Zwischenzeit zum Ausruhen oder, was der gewöhn¬
liche Fall sei, zur Fortsetzung der Feld- und Gartenarbeit oder zu häuslichen
Arbeiten zu benutzen. Ein wirklicher Sonntag existire daher für diese Leute
nicht mehr. Als natürliche Folge davon habe sich auch in den Städten bereits
der folgenreiche Mißbrauch ausgebildet, daß regelmäßig am Sonntagmorgen die
Tagelöhner ihre kleinen ländlichen Producte, insbesondere ihr Lohnkorn zur
Stadt und auf den Markt bringen, wo zahlreiche Käufer sich einfinden, um die
Gelegenheit zum wohlfeilen Einkauf zu benutzen. Abgesehen davon, daß eine
directe Hinderung solcher Sonntagsmärkte den städtischen Polizeibehörden kaum
gelingen könne, wenn ihnen nicht ein ausdrückliches Verbot zur Seite stehe, sei
diese Verwendung des Sonntags für die geringe ländliche Bevölkerung um so
verderblicher, als das gelöste Geld in der Regel zu einem auf den Handel
folgenden überreichlicher Genusse des Branntweins führe.

"Ein solcher Zustand." bemerkt das Rescript weiter, "muß nach und
nach eine tiefe demoralisirende Einwirkung üben. Die letztere
wird "Mes nicht wesentlich dadurch gemindert, daß sich das Bedürfniß der sonn¬
täglichen Garten- und Feldarbeit auf diejenigen Zeiten des Jahres beschränkt,
er welchen jene Arbeiten zu verrichten sind. Da diese Zeiten fast zwei Dritt¬
theile des Jahres umfassen, so wird die EntHeiligung der Sonntage, an welche
sich jene Menschen so lange gewöhnt haben, in der übrigen Zeit des Jahres
nicht leicht wieder abgelegt, am wenigsten in der ungünstigen Jahreszeit, wenn
die KK'che nicht am Orte ist." Die sämmtlichen vorstehenden Bedenken hätten
den gedachten Bestimmungen von Anfang an entgegengestanden. Dieselben
hätten jedoch nicht allein alle im Voraus befürchteten schädlichen Früchte ge¬
tragen, sondern auch noch weitere verderbliche Wirkungen gehabt, von welchen
die folgende Schilderung entworfen wird:

"Die betreffenden Personen haben seitdem den Sonntag mehr oder weniger
ganz als ihren Arbeitstag betrachtet und behandelt, nicht allein für die an dem¬
selben gesetzlich gestatteten, sondern auch für alle andern Arbeiten, in und
außerhalb der gesetzlich erlaubten Tageszeiten. Aus diese Weise ist der ganze
Sonntag im weitesten Umfange profanirt worden und keine Überwachung der
Behörden hat die unübersehbare Zahl der daraus hervorgegangenen Zuwider¬
handlungen zu verhindern, geschweige denn zu ahnden vermocht."


der Heiligung des Sonntags gezogen. Eine nähere Betrachtung der Einzel¬
heiten der in Frage stehenden Bestimmungen ergebe aber auch, wie störend
dieselben in die ganze Sonntagsheiligung eingreifen und dadurch zugleich von
der Theilnahme an dem öffentlichen Gottesdienste abhalten und entfremden.
Denn wer am Sonntagvormittag bis eine Stunde vor dem Anfang des
öffentlichen Gottesdienstes gearbeitet habe und Nachmittags wieder arbeiten wolle,
werde wenig geneigt sein, in der Zwischenzeit den Gottesdienst zu besuchen,
vielmehr es vorziehen, die Zwischenzeit zum Ausruhen oder, was der gewöhn¬
liche Fall sei, zur Fortsetzung der Feld- und Gartenarbeit oder zu häuslichen
Arbeiten zu benutzen. Ein wirklicher Sonntag existire daher für diese Leute
nicht mehr. Als natürliche Folge davon habe sich auch in den Städten bereits
der folgenreiche Mißbrauch ausgebildet, daß regelmäßig am Sonntagmorgen die
Tagelöhner ihre kleinen ländlichen Producte, insbesondere ihr Lohnkorn zur
Stadt und auf den Markt bringen, wo zahlreiche Käufer sich einfinden, um die
Gelegenheit zum wohlfeilen Einkauf zu benutzen. Abgesehen davon, daß eine
directe Hinderung solcher Sonntagsmärkte den städtischen Polizeibehörden kaum
gelingen könne, wenn ihnen nicht ein ausdrückliches Verbot zur Seite stehe, sei
diese Verwendung des Sonntags für die geringe ländliche Bevölkerung um so
verderblicher, als das gelöste Geld in der Regel zu einem auf den Handel
folgenden überreichlicher Genusse des Branntweins führe.

„Ein solcher Zustand." bemerkt das Rescript weiter, „muß nach und
nach eine tiefe demoralisirende Einwirkung üben. Die letztere
wird «Mes nicht wesentlich dadurch gemindert, daß sich das Bedürfniß der sonn¬
täglichen Garten- und Feldarbeit auf diejenigen Zeiten des Jahres beschränkt,
er welchen jene Arbeiten zu verrichten sind. Da diese Zeiten fast zwei Dritt¬
theile des Jahres umfassen, so wird die EntHeiligung der Sonntage, an welche
sich jene Menschen so lange gewöhnt haben, in der übrigen Zeit des Jahres
nicht leicht wieder abgelegt, am wenigsten in der ungünstigen Jahreszeit, wenn
die KK'che nicht am Orte ist." Die sämmtlichen vorstehenden Bedenken hätten
den gedachten Bestimmungen von Anfang an entgegengestanden. Dieselben
hätten jedoch nicht allein alle im Voraus befürchteten schädlichen Früchte ge¬
tragen, sondern auch noch weitere verderbliche Wirkungen gehabt, von welchen
die folgende Schilderung entworfen wird:

„Die betreffenden Personen haben seitdem den Sonntag mehr oder weniger
ganz als ihren Arbeitstag betrachtet und behandelt, nicht allein für die an dem¬
selben gesetzlich gestatteten, sondern auch für alle andern Arbeiten, in und
außerhalb der gesetzlich erlaubten Tageszeiten. Aus diese Weise ist der ganze
Sonntag im weitesten Umfange profanirt worden und keine Überwachung der
Behörden hat die unübersehbare Zahl der daraus hervorgegangenen Zuwider¬
handlungen zu verhindern, geschweige denn zu ahnden vermocht."


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[0232] der Heiligung des Sonntags gezogen. Eine nähere Betrachtung der Einzel¬ heiten der in Frage stehenden Bestimmungen ergebe aber auch, wie störend dieselben in die ganze Sonntagsheiligung eingreifen und dadurch zugleich von der Theilnahme an dem öffentlichen Gottesdienste abhalten und entfremden. Denn wer am Sonntagvormittag bis eine Stunde vor dem Anfang des öffentlichen Gottesdienstes gearbeitet habe und Nachmittags wieder arbeiten wolle, werde wenig geneigt sein, in der Zwischenzeit den Gottesdienst zu besuchen, vielmehr es vorziehen, die Zwischenzeit zum Ausruhen oder, was der gewöhn¬ liche Fall sei, zur Fortsetzung der Feld- und Gartenarbeit oder zu häuslichen Arbeiten zu benutzen. Ein wirklicher Sonntag existire daher für diese Leute nicht mehr. Als natürliche Folge davon habe sich auch in den Städten bereits der folgenreiche Mißbrauch ausgebildet, daß regelmäßig am Sonntagmorgen die Tagelöhner ihre kleinen ländlichen Producte, insbesondere ihr Lohnkorn zur Stadt und auf den Markt bringen, wo zahlreiche Käufer sich einfinden, um die Gelegenheit zum wohlfeilen Einkauf zu benutzen. Abgesehen davon, daß eine directe Hinderung solcher Sonntagsmärkte den städtischen Polizeibehörden kaum gelingen könne, wenn ihnen nicht ein ausdrückliches Verbot zur Seite stehe, sei diese Verwendung des Sonntags für die geringe ländliche Bevölkerung um so verderblicher, als das gelöste Geld in der Regel zu einem auf den Handel folgenden überreichlicher Genusse des Branntweins führe. „Ein solcher Zustand." bemerkt das Rescript weiter, „muß nach und nach eine tiefe demoralisirende Einwirkung üben. Die letztere wird «Mes nicht wesentlich dadurch gemindert, daß sich das Bedürfniß der sonn¬ täglichen Garten- und Feldarbeit auf diejenigen Zeiten des Jahres beschränkt, er welchen jene Arbeiten zu verrichten sind. Da diese Zeiten fast zwei Dritt¬ theile des Jahres umfassen, so wird die EntHeiligung der Sonntage, an welche sich jene Menschen so lange gewöhnt haben, in der übrigen Zeit des Jahres nicht leicht wieder abgelegt, am wenigsten in der ungünstigen Jahreszeit, wenn die KK'che nicht am Orte ist." Die sämmtlichen vorstehenden Bedenken hätten den gedachten Bestimmungen von Anfang an entgegengestanden. Dieselben hätten jedoch nicht allein alle im Voraus befürchteten schädlichen Früchte ge¬ tragen, sondern auch noch weitere verderbliche Wirkungen gehabt, von welchen die folgende Schilderung entworfen wird: „Die betreffenden Personen haben seitdem den Sonntag mehr oder weniger ganz als ihren Arbeitstag betrachtet und behandelt, nicht allein für die an dem¬ selben gesetzlich gestatteten, sondern auch für alle andern Arbeiten, in und außerhalb der gesetzlich erlaubten Tageszeiten. Aus diese Weise ist der ganze Sonntag im weitesten Umfange profanirt worden und keine Überwachung der Behörden hat die unübersehbare Zahl der daraus hervorgegangenen Zuwider¬ handlungen zu verhindern, geschweige denn zu ahnden vermocht."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/232>, abgerufen am 26.06.2024.