Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.Denn das ist der schwerste, aber gleichzeitig gerechteste jener Partei zu machende Es ist ein Zeichen der Zeit, und nicht das erfreulichste, daß man solche aller I. D. Verantwortlicher Redacteur: or. Moritz Busch. Verlag von F. L. Herbig. -- Druck von C. E. Elbert in Leipzig. Denn das ist der schwerste, aber gleichzeitig gerechteste jener Partei zu machende Es ist ein Zeichen der Zeit, und nicht das erfreulichste, daß man solche aller I. D. Verantwortlicher Redacteur: or. Moritz Busch. Verlag von F. L. Herbig. — Druck von C. E. Elbert in Leipzig. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284684"/> <p xml:id="ID_706"> Denn das ist der schwerste, aber gleichzeitig gerechteste jener Partei zu machende<lb/> Vorwurf, daß sie -— unbekümmert um den vernünftigen Inhalt der Selbstbestimmung<lb/> — mit dieser selbst, einem an sich ganz leeren Begriff, einen hirnlosen Cultus treibt<lb/> und getrieben hat. Auf diese Weise hat dieser Begriff in den Köpfen der Menge<lb/> sich mit dem Inhalt einer reinen Willkür erfüllt, die an sich den schroffsten Gegen¬<lb/> satz zur Freiheit bildet, denn die Freiheit ist die Selbstbestimmung zur Vernunft.<lb/> Die großpreußische Partei hat keineswegs, wie man ihr lächerlicherweise vorwirft,<lb/> die Selbstbestimmung aufzuheben, aber sie hat sie mit einem vernünftigen Inhalt<lb/> zu erfüllen, auf ein vernünftiges Ziel zu richten versucht. Auf diese Weise kam<lb/> sie freilich in die unbequeme Lage, denen entgegentreten zu müssen, die mit dem<lb/> verlockenden Feldgeschrei der leeren Selbstbestimmung dem Eigendünkel der Massen<lb/> schmeicheln. Sie kam dahin, dem unvernünftigen Belieben sich so oder so entscheiden<lb/> zu können den vernünftigen Entschluß sich in einer gegebenen Lage so und nicht<lb/> anders zu entscheiden entgegenzusetzen, sie mußte an die politische Einsicht, an die<lb/> Fähigkeit, sich zu beschränken, appelliren, sie mußte endlich davor warnen, sich durch<lb/> persönliche Erbitterung von dem großen Zielpunkt, dem es galt — die nationale<lb/> Einheit durch rasche Opferwilligkeit um ein Erhebliches zu fördern — abwendig<lb/> machen zu lassen. Dieser Appell, diese Warnung sind nicht von glücklichen Folgen<lb/> vegleitet gewesen. Wie sollten sie auch? War es doch ungleich bequemer wie im<lb/> Punkt 3 des in dem „Deutschen Wochenblatt" von Herrn Eckhardt für die deutsche<lb/> Volkspartei aufgestellten Programms zu sagen i Wir-wollen nur eine auf dem Wege<lb/> der Freiheit errungene nationale Einheit. Was man sich übrigens unter diesem so<lb/> formulirten Postulat vorzustellen hat, mag dem Dichter des „Sokrates" vielleicht<lb/> verständlicher sein als einem nüchternen Politiker. Die nationale Einheit wird er¬<lb/> stehen, wenn ti-e Hindernisse der verschiedensten Art, welche sie bis dato nicht zu<lb/> Stande haben kommen lassen, beseitigt sein werden. Auf welche Art. auf welchem<lb/> Wege sie aber erstehen wird, darüber lassen sich keine Vorschriften machen und kindisch<lb/> ist es, in dieser Beziehung ein Wollen auszudrücken. Oder was will Herr Eckhardt<lb/> mit den Gewaltthaten Napoleons anfangen, welche die deutsche Nationaleinheit in<lb/> einem Ruck mehr förderten als die ganze seitdem verflossene Zeit? War es der Weg<lb/> der Freiheit, auf dem ein Stück der nationalen Einheit errungen ward, wenn der<lb/> fremde Eroberer mit einem Federstrich die geistlichen Herrschaften in Deutschland<lb/> säcularisirte? Sollen wir diese ungeheuren Fortschritte und Errungenschaften un¬<lb/> geschehen wünschen, weil sie nicht auf dem in Punkt 3 des Programms der deutschen<lb/> Volkspartei vorgeschriebenen Wege zu Stande gekommen sind?</p><lb/> <p xml:id="ID_707"> Es ist ein Zeichen der Zeit, und nicht das erfreulichste, daß man solche aller<lb/> politischen Anschauung baare Phantastereien als Parteiprogramme bekämpfen muß.<lb/> Wahrer politischer Sinn richtet sich ans die Bewältigung der nächsten großen Auf¬<lb/> gaben der Gegenwart. Diese Aufgaben sind gegeben in dem in Preußen vor sich<lb/> gehenden Kampf um die Gründung eines Rechtsstaates. Der Schleswig-holsteinischen<lb/> Bevölkerung stand der Weg offen, sich durch freie Wahl zum Genossen dieses Kampfes,<lb/> zum mitentscheidenden Factor desselben zu machen. Daß sie vor dieser Aufgabe<lb/> gleichgiltig stehen blieb und daß sie in ihrer Mehrheit sich lieber unfruchtbaren<lb/> Negationen und nebelhaften Phrasen zuwendete, das ist das wahrhaft Charakteri¬<lb/> stische der Situation, sowie das einzig denkwürdige Ergebniß der gegenwärtigen Be¬<lb/> wegung immer nur darnach gemessen werden wird, ob das neunzehnte Jahrhundert<lb/> in der That noch die Errichtung eines neuen deutschen Kleinstaates erleben wird.</p><lb/> <note type="byline"> I. D.</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Verantwortlicher Redacteur: or. Moritz Busch.<lb/> Verlag von F. L. Herbig. — Druck von C. E. Elbert in Leipzig.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0214]
Denn das ist der schwerste, aber gleichzeitig gerechteste jener Partei zu machende
Vorwurf, daß sie -— unbekümmert um den vernünftigen Inhalt der Selbstbestimmung
— mit dieser selbst, einem an sich ganz leeren Begriff, einen hirnlosen Cultus treibt
und getrieben hat. Auf diese Weise hat dieser Begriff in den Köpfen der Menge
sich mit dem Inhalt einer reinen Willkür erfüllt, die an sich den schroffsten Gegen¬
satz zur Freiheit bildet, denn die Freiheit ist die Selbstbestimmung zur Vernunft.
Die großpreußische Partei hat keineswegs, wie man ihr lächerlicherweise vorwirft,
die Selbstbestimmung aufzuheben, aber sie hat sie mit einem vernünftigen Inhalt
zu erfüllen, auf ein vernünftiges Ziel zu richten versucht. Auf diese Weise kam
sie freilich in die unbequeme Lage, denen entgegentreten zu müssen, die mit dem
verlockenden Feldgeschrei der leeren Selbstbestimmung dem Eigendünkel der Massen
schmeicheln. Sie kam dahin, dem unvernünftigen Belieben sich so oder so entscheiden
zu können den vernünftigen Entschluß sich in einer gegebenen Lage so und nicht
anders zu entscheiden entgegenzusetzen, sie mußte an die politische Einsicht, an die
Fähigkeit, sich zu beschränken, appelliren, sie mußte endlich davor warnen, sich durch
persönliche Erbitterung von dem großen Zielpunkt, dem es galt — die nationale
Einheit durch rasche Opferwilligkeit um ein Erhebliches zu fördern — abwendig
machen zu lassen. Dieser Appell, diese Warnung sind nicht von glücklichen Folgen
vegleitet gewesen. Wie sollten sie auch? War es doch ungleich bequemer wie im
Punkt 3 des in dem „Deutschen Wochenblatt" von Herrn Eckhardt für die deutsche
Volkspartei aufgestellten Programms zu sagen i Wir-wollen nur eine auf dem Wege
der Freiheit errungene nationale Einheit. Was man sich übrigens unter diesem so
formulirten Postulat vorzustellen hat, mag dem Dichter des „Sokrates" vielleicht
verständlicher sein als einem nüchternen Politiker. Die nationale Einheit wird er¬
stehen, wenn ti-e Hindernisse der verschiedensten Art, welche sie bis dato nicht zu
Stande haben kommen lassen, beseitigt sein werden. Auf welche Art. auf welchem
Wege sie aber erstehen wird, darüber lassen sich keine Vorschriften machen und kindisch
ist es, in dieser Beziehung ein Wollen auszudrücken. Oder was will Herr Eckhardt
mit den Gewaltthaten Napoleons anfangen, welche die deutsche Nationaleinheit in
einem Ruck mehr förderten als die ganze seitdem verflossene Zeit? War es der Weg
der Freiheit, auf dem ein Stück der nationalen Einheit errungen ward, wenn der
fremde Eroberer mit einem Federstrich die geistlichen Herrschaften in Deutschland
säcularisirte? Sollen wir diese ungeheuren Fortschritte und Errungenschaften un¬
geschehen wünschen, weil sie nicht auf dem in Punkt 3 des Programms der deutschen
Volkspartei vorgeschriebenen Wege zu Stande gekommen sind?
Es ist ein Zeichen der Zeit, und nicht das erfreulichste, daß man solche aller
politischen Anschauung baare Phantastereien als Parteiprogramme bekämpfen muß.
Wahrer politischer Sinn richtet sich ans die Bewältigung der nächsten großen Auf¬
gaben der Gegenwart. Diese Aufgaben sind gegeben in dem in Preußen vor sich
gehenden Kampf um die Gründung eines Rechtsstaates. Der Schleswig-holsteinischen
Bevölkerung stand der Weg offen, sich durch freie Wahl zum Genossen dieses Kampfes,
zum mitentscheidenden Factor desselben zu machen. Daß sie vor dieser Aufgabe
gleichgiltig stehen blieb und daß sie in ihrer Mehrheit sich lieber unfruchtbaren
Negationen und nebelhaften Phrasen zuwendete, das ist das wahrhaft Charakteri¬
stische der Situation, sowie das einzig denkwürdige Ergebniß der gegenwärtigen Be¬
wegung immer nur darnach gemessen werden wird, ob das neunzehnte Jahrhundert
in der That noch die Errichtung eines neuen deutschen Kleinstaates erleben wird.
I. D.
Verantwortlicher Redacteur: or. Moritz Busch.
Verlag von F. L. Herbig. — Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
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