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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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der Geschichte, an der Rückseite die der Poesie. Friedrich Wilhelm der Dritte,
in dessen letzte Lebenstage noch die Grundsteinlegung des Denkmals siel, hatte
diesen Entwurf zur Ausführung bestimmt. Aber Rauchs eigne Wünsche galten
bereits einem andern, und des Königs Nachfolger entsprach denselben gern, dre
mit seinen eignen übereinstimmten. In einer vierten Skizze sind diese Absichten
des Meisters noch nicht zur letzten Klarheit entwickelt, trotzdem sie schon in der
ganzen Hauptsache mit der schließlich ausgeführten übereinstimmt. Die Archi¬
tektur des Postaments ist noch nicht so wie in dieser durchgebildet und etwas
sehr Wesentliches: die symbolischen Eckfiguren der Cardinaltugenden fehlen in
der obern Abtheilung. Alle diese Skizzen sind in der Zeit Von 1836--39 ent¬
standen, die fünfte und letzte, als direct zur großen Ausführung verwandte
Lorarbeit anzusehende, im folgenden Jahr. Von ihr ist Rauch kaum mehr
wesentlich abgewichen. Ich null hier keine eingehende Krüik des berühmten
Werkes unternehmen, zu welcher bei einer Ueberschau über den Inhalt dieses
ganzen Museums nicht der geeignete und nicht der genügende Platz wäre.
Wenn es immer durch seine Massenhaftigkeit und durch die Fülle solider künst¬
lerischer Arbeit, welche darin steckt, höchst imposant und ehrwürdig erscheinen
muß. so ist seit seiner Aufrichtung die Ueberzeugung wohl mehr und mehr all-
gemein geworden, daß dies kolossale Werk mehr eine oft geschickte, oft ziemlich
gezwungene Zusammenstellung und Aufthürmung von an sich sehr meisterlichen
Einzelstücken. als ein. gleichsam aus einem Keim und Kern, aus einer
innern Triebkraft erwachsenes organisch ganzes Kunstgebiide sei. Durch seine
geistig-künstlerische Macht, durch ferne unabweislichen, überwiegenden Lor¬
züge, durch die wirkliche Großartigkeit als Arbeit hat es auf unsre ganze
Monumentatbildnerei einen Einfluß ausgeübt, dem sich dieselbe so wenig als
das Publikum wohl noch für eine längere Periode wird entziehen, tonnen.
Einige von großem und originalen Talent eingcgebne Befreiungsversuche, die
in neuerer Zeit wohl unternommen worden, haben wir gleichsam an dem fest¬
eingeprägten frommen Auioritätsglauben an vie unbedingte Mustergilügl'eit des
Friedrichdenkmals scheitern sehn.

Die einzelnen Figuren, Hoch- und Flachreliefs von demselben, die wir hier
im Museum so viel genauer und unzerstrculer sehen und studiren können, wie
an dem Original selbst, gewähren das höchste Interesse. In allen Fällen er¬
zeugt eine solche Betrachtung im Herzen des Beschauers einen fast ehrfürchtigen
Respect nicht blos vor der Größe des künstlerischen Talents, sondern vor jener
unbeugsamen sittlichen Energie in der Arbeit, welche Rauch und die Seimgen
in allen Theilen dieses Werks bis zur letzten Befriedigung des eignen Ge¬
wissens vorwärts trieb. Die Meisterschaft des Autors erscheint dann gleichzeitig
seinem Gegenstande gegenüber zur höchsten Freiheit und sieghaften Sicherheit
entwickelt; das Material sowie das gewiß der Plastik widerstrebende Zcitcvstüm


der Geschichte, an der Rückseite die der Poesie. Friedrich Wilhelm der Dritte,
in dessen letzte Lebenstage noch die Grundsteinlegung des Denkmals siel, hatte
diesen Entwurf zur Ausführung bestimmt. Aber Rauchs eigne Wünsche galten
bereits einem andern, und des Königs Nachfolger entsprach denselben gern, dre
mit seinen eignen übereinstimmten. In einer vierten Skizze sind diese Absichten
des Meisters noch nicht zur letzten Klarheit entwickelt, trotzdem sie schon in der
ganzen Hauptsache mit der schließlich ausgeführten übereinstimmt. Die Archi¬
tektur des Postaments ist noch nicht so wie in dieser durchgebildet und etwas
sehr Wesentliches: die symbolischen Eckfiguren der Cardinaltugenden fehlen in
der obern Abtheilung. Alle diese Skizzen sind in der Zeit Von 1836—39 ent¬
standen, die fünfte und letzte, als direct zur großen Ausführung verwandte
Lorarbeit anzusehende, im folgenden Jahr. Von ihr ist Rauch kaum mehr
wesentlich abgewichen. Ich null hier keine eingehende Krüik des berühmten
Werkes unternehmen, zu welcher bei einer Ueberschau über den Inhalt dieses
ganzen Museums nicht der geeignete und nicht der genügende Platz wäre.
Wenn es immer durch seine Massenhaftigkeit und durch die Fülle solider künst¬
lerischer Arbeit, welche darin steckt, höchst imposant und ehrwürdig erscheinen
muß. so ist seit seiner Aufrichtung die Ueberzeugung wohl mehr und mehr all-
gemein geworden, daß dies kolossale Werk mehr eine oft geschickte, oft ziemlich
gezwungene Zusammenstellung und Aufthürmung von an sich sehr meisterlichen
Einzelstücken. als ein. gleichsam aus einem Keim und Kern, aus einer
innern Triebkraft erwachsenes organisch ganzes Kunstgebiide sei. Durch seine
geistig-künstlerische Macht, durch ferne unabweislichen, überwiegenden Lor¬
züge, durch die wirkliche Großartigkeit als Arbeit hat es auf unsre ganze
Monumentatbildnerei einen Einfluß ausgeübt, dem sich dieselbe so wenig als
das Publikum wohl noch für eine längere Periode wird entziehen, tonnen.
Einige von großem und originalen Talent eingcgebne Befreiungsversuche, die
in neuerer Zeit wohl unternommen worden, haben wir gleichsam an dem fest¬
eingeprägten frommen Auioritätsglauben an vie unbedingte Mustergilügl'eit des
Friedrichdenkmals scheitern sehn.

Die einzelnen Figuren, Hoch- und Flachreliefs von demselben, die wir hier
im Museum so viel genauer und unzerstrculer sehen und studiren können, wie
an dem Original selbst, gewähren das höchste Interesse. In allen Fällen er¬
zeugt eine solche Betrachtung im Herzen des Beschauers einen fast ehrfürchtigen
Respect nicht blos vor der Größe des künstlerischen Talents, sondern vor jener
unbeugsamen sittlichen Energie in der Arbeit, welche Rauch und die Seimgen
in allen Theilen dieses Werks bis zur letzten Befriedigung des eignen Ge¬
wissens vorwärts trieb. Die Meisterschaft des Autors erscheint dann gleichzeitig
seinem Gegenstande gegenüber zur höchsten Freiheit und sieghaften Sicherheit
entwickelt; das Material sowie das gewiß der Plastik widerstrebende Zcitcvstüm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/21>, abgerufen am 29.06.2024.