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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Aber das vorsichtige zögernde Verfahren der Regierung gegen den meuterischen
General, das Zaudern der Königin mit entschiedenen Maßregeln, die lahme
Verfolgung beweist zur Genüge, wie unsicher man sich fühlt und für wie mächtig
man die Partei hält, die hinter Prius Unternehmen steht. Jeder Tag noch
kann -- wir schreiben dies am 23. Januar -- die Niederlage des Progressisteu-
häuptiings wett machen und alle Vorsichtsmaßregeln O'Donnells vereiteln.

Was Prim als letztes Ziel vorschwebt, ist aus seinem Manifest nicht er¬
sichtlich. Von Einigen wird er als iberisch gesinnt bezeichnet, Andere lassen ihn
aus den Sturz des Hauses Bourbon ohne Seitenblick auf die portugiesische
Dynastie ausgehen. Wir möchten das Letztere annehmen, da eine iberische
Union bei der Abneigung der großen Masse der Nachbarvölker der Halbinsel
gegen einander etwa dieselben Schwierigkeiten haben würde wie eine Zusammen-
schwcißung. der Skandinavier in einen Staat. Prim ist ein tapferer Offizier,
aber keineswegs ein reiner Charakter oder gar ein idealistischer Schwärmer.
Die Politik ist ihm, wie den meisten der heutigen spanischen Parteiführer, ein
Geschäft, welches Ehre und andere gute Dinge, pecuniäre Vortheile nicht aus¬
geschlossen, eindringen soll. Wir meinen, daß ihm der Sinn nach einer Stel¬
lung wie die Espart-ervs nach dem Aufstand der Vicalvaristen von 1864 steht,
und wir meinen serner, daß er, zu einer solchen gelangt, nicht mit den Moderados
theilen und ebenso wenig den Beschützer und Retter der Dynastie vor den auf¬
geregten Volksmassen spielen würde. Hinreichende Energie besitzt er zu einer
Art Cromwell. seine außerordentliche Beliebtheit beim Heere ist ihm eine mäch¬
tige Stütze, die Hunderttausende von antimonarchisch Gesinnten, welche die
Mißregicruugen der Moderados und der Neukatholikcn seit den dreißiger Jahren
großgezogen haben, würden einem radicalen Wagniß Beifall zurufen.

Es ist nicht unmöglich, daß das Haus Bourbon schon jetzt, es ist fast
gewiß, daß es bei seinen unaufhörlichen Rückfällen in Tendenzen, die unsre
Zeit selbst in Spanien nicht mehr duldet, bei seiner Neigung zum Jntriguiren
gegen jeden Liberalismus, auch den, welchem man Dank schuldet, und bei
seiner sittlichen und intellectuellen Verkonvnenheit überhaupt, über kurz oder
lang den letzten Thron verliert, der ihm von den vier, die es 1830 besaß,
noch geblieben ist. Aufrichtiger Anschluß an die Partei des gemäßigten Fort¬
schritts und Verbleiben auf dieser Bahn ohne Furcht vor dem linken und ohne
Sehnsucht nach dem rechten Extrem hätte noch nach 1854 der Revolution, welche
1808 ihren Anfang nahm und seitdem ebbend und fluthend fortgewogt hat,
Halt gebieten und die Entwickelung des Landes wieder in das von Karl dem
Vierten verlassene Geleis der Reformen hineinlcnken können. Verblendung und
Egoismus ließen es nicht dazu kommen, und jetzt scheint nichts mehr zu helfen.
Die Achtung vor der Dynastie ist in den weitesten Kreisen längst dahin, wenige
glauben an ernstgemeinte Umkehr, wenn einmal die Noth zum Nachgeben gegen


Aber das vorsichtige zögernde Verfahren der Regierung gegen den meuterischen
General, das Zaudern der Königin mit entschiedenen Maßregeln, die lahme
Verfolgung beweist zur Genüge, wie unsicher man sich fühlt und für wie mächtig
man die Partei hält, die hinter Prius Unternehmen steht. Jeder Tag noch
kann — wir schreiben dies am 23. Januar — die Niederlage des Progressisteu-
häuptiings wett machen und alle Vorsichtsmaßregeln O'Donnells vereiteln.

Was Prim als letztes Ziel vorschwebt, ist aus seinem Manifest nicht er¬
sichtlich. Von Einigen wird er als iberisch gesinnt bezeichnet, Andere lassen ihn
aus den Sturz des Hauses Bourbon ohne Seitenblick auf die portugiesische
Dynastie ausgehen. Wir möchten das Letztere annehmen, da eine iberische
Union bei der Abneigung der großen Masse der Nachbarvölker der Halbinsel
gegen einander etwa dieselben Schwierigkeiten haben würde wie eine Zusammen-
schwcißung. der Skandinavier in einen Staat. Prim ist ein tapferer Offizier,
aber keineswegs ein reiner Charakter oder gar ein idealistischer Schwärmer.
Die Politik ist ihm, wie den meisten der heutigen spanischen Parteiführer, ein
Geschäft, welches Ehre und andere gute Dinge, pecuniäre Vortheile nicht aus¬
geschlossen, eindringen soll. Wir meinen, daß ihm der Sinn nach einer Stel¬
lung wie die Espart-ervs nach dem Aufstand der Vicalvaristen von 1864 steht,
und wir meinen serner, daß er, zu einer solchen gelangt, nicht mit den Moderados
theilen und ebenso wenig den Beschützer und Retter der Dynastie vor den auf¬
geregten Volksmassen spielen würde. Hinreichende Energie besitzt er zu einer
Art Cromwell. seine außerordentliche Beliebtheit beim Heere ist ihm eine mäch¬
tige Stütze, die Hunderttausende von antimonarchisch Gesinnten, welche die
Mißregicruugen der Moderados und der Neukatholikcn seit den dreißiger Jahren
großgezogen haben, würden einem radicalen Wagniß Beifall zurufen.

Es ist nicht unmöglich, daß das Haus Bourbon schon jetzt, es ist fast
gewiß, daß es bei seinen unaufhörlichen Rückfällen in Tendenzen, die unsre
Zeit selbst in Spanien nicht mehr duldet, bei seiner Neigung zum Jntriguiren
gegen jeden Liberalismus, auch den, welchem man Dank schuldet, und bei
seiner sittlichen und intellectuellen Verkonvnenheit überhaupt, über kurz oder
lang den letzten Thron verliert, der ihm von den vier, die es 1830 besaß,
noch geblieben ist. Aufrichtiger Anschluß an die Partei des gemäßigten Fort¬
schritts und Verbleiben auf dieser Bahn ohne Furcht vor dem linken und ohne
Sehnsucht nach dem rechten Extrem hätte noch nach 1854 der Revolution, welche
1808 ihren Anfang nahm und seitdem ebbend und fluthend fortgewogt hat,
Halt gebieten und die Entwickelung des Landes wieder in das von Karl dem
Vierten verlassene Geleis der Reformen hineinlcnken können. Verblendung und
Egoismus ließen es nicht dazu kommen, und jetzt scheint nichts mehr zu helfen.
Die Achtung vor der Dynastie ist in den weitesten Kreisen längst dahin, wenige
glauben an ernstgemeinte Umkehr, wenn einmal die Noth zum Nachgeben gegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/204>, abgerufen am 26.06.2024.