Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

den Habsburgern wirkte hier noch immer fort. Was die Leiter des Staats
ersannen und wollten, fand nur unter den obern Beamten und manchen
höhern Geistlichen intelligente und willige Förderer, die Detailarbeit, die stetige
Ausführung ließ bei der Trägheit, Unwissenheit und Korruption der niedern
Beamten und bei dem zähen Festhalten des unteren Klerus am Alten, das so
bequem und nahrhaft war, allenthalben zu wünschen übrig. Der Spanier
war jetzt im Allgemeinen weniger fanatisch, weniger abergläubisch, weniger ein¬
gebildet als vor hundert Jahren und bereitwilliger einer neuen Lebensordnung
zu folgen, aber die dazu erforderlichen positiven Eigenschaften mangelten noch
in weiten Kreisen beinahe vollständig, und so geschah es, daß die Reformen
großentheils auf dem Papier stehen blieben, und die bestgemeinten und ander¬
wärts erprobten Gesetze und Verordnungen hier oft mehr schadeten als nützten.
Die Habsburgische Politik hatte Spaniens Geist in den zweihundert Jahren
ihrer Herrschaft bis ins Mark vergiftet. Es bedürfte einer gründlichen und
vollständigen Erneuerung des nationalen Lebens, und dieser Proceß erforderte
hier, wie überall, Zeit und große Menschen.

Waren aber die allen sichtbaren Erfolge der Reformen Karls und seiner
Räthe nicht bedeutend, so läßt sich doch nicht in Abrede stellen, daß Staat und
Volk durch sie, auch mit der nächstvorhergehenden Periode verglichen, auf
eine höhere Stufe gehoben worden waren. Der Staat hatte sich von der Kirche
emancipirt und strebte auch das Volksleben dem schädlichen Einfluß derselben
Zu entrücken. Das Klosterwesen, der Besitz der todten Hand hemmte noch das
öffentliche Gedeihen, war aber doch im Rückgang. Aberglaube, Unwissenheit,
Trägheit und falscher Stolz waren noch weit verbreitet, aber doch nicht mehr
in allen Classen und nicht mehr in solcher Stärke wie vorher. Die Reihen
der Aufgeklärten, Gebildeten, Strebsamen erfuhren fortwährend erfreulichen Zu¬
wachs, und der Wohlstand des Volks war ebenso im Wachsen wie dessen Bil¬
dung. Eine große Anzahl patriotischer Gesellschaften schlugen Wurzeln auch
in der Provinz. Jahr für Jahr wurde der Fortschritt kräftiger, cousequenter,
kühner, der Obskurantismus matter und unsicherer. Die Bahn, die der Staat
^ gehen hatte, um aus dem Sumpf herauszukommen,'in den ihn die Habs"
durger hineingeführt, war gefunden, und man brauchte auf ihr nur fortzuschrei¬
ten. um vollkommen gesunde Luft zu erreichen. Die letzten acht Jahrzehnte
war man Stufe für Stufe emporgekommen. Noch drei, vier Decennien der
Art, noch eine wenigstens nicht rückwärtsstrebende Regierung, und man konnte
Ziel sein.

Es war anders bestimmt. Als Karl der Dritte 1788 mit Tode abging,
schloß die Periode der Reformen für Spanien. Die Regierung seines Nach¬
folgers, des unfähigen Karl des Vierten, "diente fast zwanzig Jahre lang
der gründlichsten Vorbereitung des Umsturzes, welcher dann, den aufs Neue


den Habsburgern wirkte hier noch immer fort. Was die Leiter des Staats
ersannen und wollten, fand nur unter den obern Beamten und manchen
höhern Geistlichen intelligente und willige Förderer, die Detailarbeit, die stetige
Ausführung ließ bei der Trägheit, Unwissenheit und Korruption der niedern
Beamten und bei dem zähen Festhalten des unteren Klerus am Alten, das so
bequem und nahrhaft war, allenthalben zu wünschen übrig. Der Spanier
war jetzt im Allgemeinen weniger fanatisch, weniger abergläubisch, weniger ein¬
gebildet als vor hundert Jahren und bereitwilliger einer neuen Lebensordnung
zu folgen, aber die dazu erforderlichen positiven Eigenschaften mangelten noch
in weiten Kreisen beinahe vollständig, und so geschah es, daß die Reformen
großentheils auf dem Papier stehen blieben, und die bestgemeinten und ander¬
wärts erprobten Gesetze und Verordnungen hier oft mehr schadeten als nützten.
Die Habsburgische Politik hatte Spaniens Geist in den zweihundert Jahren
ihrer Herrschaft bis ins Mark vergiftet. Es bedürfte einer gründlichen und
vollständigen Erneuerung des nationalen Lebens, und dieser Proceß erforderte
hier, wie überall, Zeit und große Menschen.

Waren aber die allen sichtbaren Erfolge der Reformen Karls und seiner
Räthe nicht bedeutend, so läßt sich doch nicht in Abrede stellen, daß Staat und
Volk durch sie, auch mit der nächstvorhergehenden Periode verglichen, auf
eine höhere Stufe gehoben worden waren. Der Staat hatte sich von der Kirche
emancipirt und strebte auch das Volksleben dem schädlichen Einfluß derselben
Zu entrücken. Das Klosterwesen, der Besitz der todten Hand hemmte noch das
öffentliche Gedeihen, war aber doch im Rückgang. Aberglaube, Unwissenheit,
Trägheit und falscher Stolz waren noch weit verbreitet, aber doch nicht mehr
in allen Classen und nicht mehr in solcher Stärke wie vorher. Die Reihen
der Aufgeklärten, Gebildeten, Strebsamen erfuhren fortwährend erfreulichen Zu¬
wachs, und der Wohlstand des Volks war ebenso im Wachsen wie dessen Bil¬
dung. Eine große Anzahl patriotischer Gesellschaften schlugen Wurzeln auch
in der Provinz. Jahr für Jahr wurde der Fortschritt kräftiger, cousequenter,
kühner, der Obskurantismus matter und unsicherer. Die Bahn, die der Staat
^ gehen hatte, um aus dem Sumpf herauszukommen,'in den ihn die Habs"
durger hineingeführt, war gefunden, und man brauchte auf ihr nur fortzuschrei¬
ten. um vollkommen gesunde Luft zu erreichen. Die letzten acht Jahrzehnte
war man Stufe für Stufe emporgekommen. Noch drei, vier Decennien der
Art, noch eine wenigstens nicht rückwärtsstrebende Regierung, und man konnte
Ziel sein.

Es war anders bestimmt. Als Karl der Dritte 1788 mit Tode abging,
schloß die Periode der Reformen für Spanien. Die Regierung seines Nach¬
folgers, des unfähigen Karl des Vierten, „diente fast zwanzig Jahre lang
der gründlichsten Vorbereitung des Umsturzes, welcher dann, den aufs Neue


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0189" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284659"/>
          <p xml:id="ID_633" prev="#ID_632"> den Habsburgern wirkte hier noch immer fort. Was die Leiter des Staats<lb/>
ersannen und wollten, fand nur unter den obern Beamten und manchen<lb/>
höhern Geistlichen intelligente und willige Förderer, die Detailarbeit, die stetige<lb/>
Ausführung ließ bei der Trägheit, Unwissenheit und Korruption der niedern<lb/>
Beamten und bei dem zähen Festhalten des unteren Klerus am Alten, das so<lb/>
bequem und nahrhaft war, allenthalben zu wünschen übrig. Der Spanier<lb/>
war jetzt im Allgemeinen weniger fanatisch, weniger abergläubisch, weniger ein¬<lb/>
gebildet als vor hundert Jahren und bereitwilliger einer neuen Lebensordnung<lb/>
zu folgen, aber die dazu erforderlichen positiven Eigenschaften mangelten noch<lb/>
in weiten Kreisen beinahe vollständig, und so geschah es, daß die Reformen<lb/>
großentheils auf dem Papier stehen blieben, und die bestgemeinten und ander¬<lb/>
wärts erprobten Gesetze und Verordnungen hier oft mehr schadeten als nützten.<lb/>
Die Habsburgische Politik hatte Spaniens Geist in den zweihundert Jahren<lb/>
ihrer Herrschaft bis ins Mark vergiftet. Es bedürfte einer gründlichen und<lb/>
vollständigen Erneuerung des nationalen Lebens, und dieser Proceß erforderte<lb/>
hier, wie überall, Zeit und große Menschen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_634"> Waren aber die allen sichtbaren Erfolge der Reformen Karls und seiner<lb/>
Räthe nicht bedeutend, so läßt sich doch nicht in Abrede stellen, daß Staat und<lb/>
Volk durch sie, auch mit der nächstvorhergehenden Periode verglichen, auf<lb/>
eine höhere Stufe gehoben worden waren. Der Staat hatte sich von der Kirche<lb/>
emancipirt und strebte auch das Volksleben dem schädlichen Einfluß derselben<lb/>
Zu entrücken. Das Klosterwesen, der Besitz der todten Hand hemmte noch das<lb/>
öffentliche Gedeihen, war aber doch im Rückgang. Aberglaube, Unwissenheit,<lb/>
Trägheit und falscher Stolz waren noch weit verbreitet, aber doch nicht mehr<lb/>
in allen Classen und nicht mehr in solcher Stärke wie vorher. Die Reihen<lb/>
der Aufgeklärten, Gebildeten, Strebsamen erfuhren fortwährend erfreulichen Zu¬<lb/>
wachs, und der Wohlstand des Volks war ebenso im Wachsen wie dessen Bil¬<lb/>
dung. Eine große Anzahl patriotischer Gesellschaften schlugen Wurzeln auch<lb/>
in der Provinz. Jahr für Jahr wurde der Fortschritt kräftiger, cousequenter,<lb/>
kühner, der Obskurantismus matter und unsicherer. Die Bahn, die der Staat<lb/>
^ gehen hatte, um aus dem Sumpf herauszukommen,'in den ihn die Habs"<lb/>
durger hineingeführt, war gefunden, und man brauchte auf ihr nur fortzuschrei¬<lb/>
ten. um vollkommen gesunde Luft zu erreichen. Die letzten acht Jahrzehnte<lb/>
war man Stufe für Stufe emporgekommen. Noch drei, vier Decennien der<lb/>
Art, noch eine wenigstens nicht rückwärtsstrebende Regierung, und man konnte<lb/>
Ziel sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_635" next="#ID_636"> Es war anders bestimmt. Als Karl der Dritte 1788 mit Tode abging,<lb/>
schloß die Periode der Reformen für Spanien. Die Regierung seines Nach¬<lb/>
folgers, des unfähigen Karl des Vierten, &#x201E;diente fast zwanzig Jahre lang<lb/>
der gründlichsten Vorbereitung des Umsturzes, welcher dann, den aufs Neue</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0189] den Habsburgern wirkte hier noch immer fort. Was die Leiter des Staats ersannen und wollten, fand nur unter den obern Beamten und manchen höhern Geistlichen intelligente und willige Förderer, die Detailarbeit, die stetige Ausführung ließ bei der Trägheit, Unwissenheit und Korruption der niedern Beamten und bei dem zähen Festhalten des unteren Klerus am Alten, das so bequem und nahrhaft war, allenthalben zu wünschen übrig. Der Spanier war jetzt im Allgemeinen weniger fanatisch, weniger abergläubisch, weniger ein¬ gebildet als vor hundert Jahren und bereitwilliger einer neuen Lebensordnung zu folgen, aber die dazu erforderlichen positiven Eigenschaften mangelten noch in weiten Kreisen beinahe vollständig, und so geschah es, daß die Reformen großentheils auf dem Papier stehen blieben, und die bestgemeinten und ander¬ wärts erprobten Gesetze und Verordnungen hier oft mehr schadeten als nützten. Die Habsburgische Politik hatte Spaniens Geist in den zweihundert Jahren ihrer Herrschaft bis ins Mark vergiftet. Es bedürfte einer gründlichen und vollständigen Erneuerung des nationalen Lebens, und dieser Proceß erforderte hier, wie überall, Zeit und große Menschen. Waren aber die allen sichtbaren Erfolge der Reformen Karls und seiner Räthe nicht bedeutend, so läßt sich doch nicht in Abrede stellen, daß Staat und Volk durch sie, auch mit der nächstvorhergehenden Periode verglichen, auf eine höhere Stufe gehoben worden waren. Der Staat hatte sich von der Kirche emancipirt und strebte auch das Volksleben dem schädlichen Einfluß derselben Zu entrücken. Das Klosterwesen, der Besitz der todten Hand hemmte noch das öffentliche Gedeihen, war aber doch im Rückgang. Aberglaube, Unwissenheit, Trägheit und falscher Stolz waren noch weit verbreitet, aber doch nicht mehr in allen Classen und nicht mehr in solcher Stärke wie vorher. Die Reihen der Aufgeklärten, Gebildeten, Strebsamen erfuhren fortwährend erfreulichen Zu¬ wachs, und der Wohlstand des Volks war ebenso im Wachsen wie dessen Bil¬ dung. Eine große Anzahl patriotischer Gesellschaften schlugen Wurzeln auch in der Provinz. Jahr für Jahr wurde der Fortschritt kräftiger, cousequenter, kühner, der Obskurantismus matter und unsicherer. Die Bahn, die der Staat ^ gehen hatte, um aus dem Sumpf herauszukommen,'in den ihn die Habs" durger hineingeführt, war gefunden, und man brauchte auf ihr nur fortzuschrei¬ ten. um vollkommen gesunde Luft zu erreichen. Die letzten acht Jahrzehnte war man Stufe für Stufe emporgekommen. Noch drei, vier Decennien der Art, noch eine wenigstens nicht rückwärtsstrebende Regierung, und man konnte Ziel sein. Es war anders bestimmt. Als Karl der Dritte 1788 mit Tode abging, schloß die Periode der Reformen für Spanien. Die Regierung seines Nach¬ folgers, des unfähigen Karl des Vierten, „diente fast zwanzig Jahre lang der gründlichsten Vorbereitung des Umsturzes, welcher dann, den aufs Neue

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/189
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/189>, abgerufen am 28.09.2024.