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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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lencia und Andalusien -- ein vielverheißender kraftvoller Aufschwung, der aber
unterbrochen wurde, als er eben die ersten Erfolge zeigte.

Das Volk, aus ureingebornen, römischen, germanischen und arabischen
Elementen zusammengeflossen, war bis dahin mit der übrigen Welt nur wenig
in Berührung gekommen und so zu einem sehr eigenartigen Stück Menschheit
geworden. Im Süden hatte ihm die sarazenische Cultur unverwischbare Züge
aufgeprägt, im Norden lebte im Großen und Ganzen der Geist der Kreuzzüge
fort, ritterliche Lebensanschauung und strenge Kirchlichkeit. Fast nur Catalonien
nahm frühzeitig an der fortschreitenden Bewegung theil, die im fünfzehnten
Jahrhundert durch die Geister in Südfrankreich und Italien ging; die Masse
des spanischen Volkes blieb der Umgestaltung der Verhältnisse und Vorstellungen,
die das übrige Europa seit dem Ende der Kreuzzüge erlebt, dem Erstarken des
Bürgerthums, der Lockerung der römischen Hierarchie, der humanistischen Bil¬
dung so fremd, als ob Spanien eine ferne Insel gewesen wäre. Die Kriege
der eingebornen Könige mit dem Ausland und die Entdeckung Amerikas
änderten daran zunächst nicht viel, und so stand die Nation, als sie im Beginn
des sechzehnten Jahrhunderts in dem Hause Habsburg ein neues Herrscher¬
geschlecht erhielt und damit in die großen Welthändel eintrat, den Völkern jen¬
seits der Pyrenäenmauer wie ein geistig nur ganz entfernt Verwandtes gegen,
über, zwar in kräftigem Ausschwung aus-sich selbst begriffen, aber fern von
allem, was den Anfang der neuen Zeit bezeichnet.

Die engere Verbindung mit den niederländischen, deutschen und italienischen
Besitzungen der neuen Herrscher würde segensreich für die spanische Bildung
geworden sein, wenn nicht die gleichzeitig aufleuchtende Reformation dem spa¬
nischen Volksgeist die Gemeinschaft, in die er eben eingetreten war, als ein
ihm nicht blos entschieden Fremdes, sondern gradezu Feindliches hätte erscheinen
lassen, und wenn jene neuen Könige es in ihrem Interesse gefunden hätten,
die Gegensätze auszugleichen. Daß dies nicht der Fall war, ist den Spaniern
zum Verhängniß geworden, unter dessen Folgen das an sich edle und kernhafte
Volt noch heute leidet und vermuthlich noch manches Jahrzehnt zu leiden
haben wird.

Karl der Fünfte und später Philipp der Zweite erblickten in dem
Umstand, daß Spanien von der Art der nördlichen Länder mit Unbehagen und
Unwillen erfüllt wurde, einen zuverlässigen Hebel für ihre auf Universalmonarchie
gerichteten Absichten, und so waren sie bemüht, diese Abneigung zu erhalte"
und zu verstärken, etwa in der Weise, wie dies in neuester Zeit mit dem Gegen¬
satz des orthodoxen Nussenthums gegen die "Heiden", d. h. gegen die Cultur-
Völker des europäischen Westens geschah. Sie steigerten die spanische Streng¬
gläubigkeit zu finster glühendem Fanatismus, und sie erfüllten das an sich
ritterliche Volk, welches unter Ferdinand und Jsabella begonnen, sich den Werken


lencia und Andalusien — ein vielverheißender kraftvoller Aufschwung, der aber
unterbrochen wurde, als er eben die ersten Erfolge zeigte.

Das Volk, aus ureingebornen, römischen, germanischen und arabischen
Elementen zusammengeflossen, war bis dahin mit der übrigen Welt nur wenig
in Berührung gekommen und so zu einem sehr eigenartigen Stück Menschheit
geworden. Im Süden hatte ihm die sarazenische Cultur unverwischbare Züge
aufgeprägt, im Norden lebte im Großen und Ganzen der Geist der Kreuzzüge
fort, ritterliche Lebensanschauung und strenge Kirchlichkeit. Fast nur Catalonien
nahm frühzeitig an der fortschreitenden Bewegung theil, die im fünfzehnten
Jahrhundert durch die Geister in Südfrankreich und Italien ging; die Masse
des spanischen Volkes blieb der Umgestaltung der Verhältnisse und Vorstellungen,
die das übrige Europa seit dem Ende der Kreuzzüge erlebt, dem Erstarken des
Bürgerthums, der Lockerung der römischen Hierarchie, der humanistischen Bil¬
dung so fremd, als ob Spanien eine ferne Insel gewesen wäre. Die Kriege
der eingebornen Könige mit dem Ausland und die Entdeckung Amerikas
änderten daran zunächst nicht viel, und so stand die Nation, als sie im Beginn
des sechzehnten Jahrhunderts in dem Hause Habsburg ein neues Herrscher¬
geschlecht erhielt und damit in die großen Welthändel eintrat, den Völkern jen¬
seits der Pyrenäenmauer wie ein geistig nur ganz entfernt Verwandtes gegen,
über, zwar in kräftigem Ausschwung aus-sich selbst begriffen, aber fern von
allem, was den Anfang der neuen Zeit bezeichnet.

Die engere Verbindung mit den niederländischen, deutschen und italienischen
Besitzungen der neuen Herrscher würde segensreich für die spanische Bildung
geworden sein, wenn nicht die gleichzeitig aufleuchtende Reformation dem spa¬
nischen Volksgeist die Gemeinschaft, in die er eben eingetreten war, als ein
ihm nicht blos entschieden Fremdes, sondern gradezu Feindliches hätte erscheinen
lassen, und wenn jene neuen Könige es in ihrem Interesse gefunden hätten,
die Gegensätze auszugleichen. Daß dies nicht der Fall war, ist den Spaniern
zum Verhängniß geworden, unter dessen Folgen das an sich edle und kernhafte
Volt noch heute leidet und vermuthlich noch manches Jahrzehnt zu leiden
haben wird.

Karl der Fünfte und später Philipp der Zweite erblickten in dem
Umstand, daß Spanien von der Art der nördlichen Länder mit Unbehagen und
Unwillen erfüllt wurde, einen zuverlässigen Hebel für ihre auf Universalmonarchie
gerichteten Absichten, und so waren sie bemüht, diese Abneigung zu erhalte»
und zu verstärken, etwa in der Weise, wie dies in neuester Zeit mit dem Gegen¬
satz des orthodoxen Nussenthums gegen die „Heiden", d. h. gegen die Cultur-
Völker des europäischen Westens geschah. Sie steigerten die spanische Streng¬
gläubigkeit zu finster glühendem Fanatismus, und sie erfüllten das an sich
ritterliche Volk, welches unter Ferdinand und Jsabella begonnen, sich den Werken


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[0182] lencia und Andalusien — ein vielverheißender kraftvoller Aufschwung, der aber unterbrochen wurde, als er eben die ersten Erfolge zeigte. Das Volk, aus ureingebornen, römischen, germanischen und arabischen Elementen zusammengeflossen, war bis dahin mit der übrigen Welt nur wenig in Berührung gekommen und so zu einem sehr eigenartigen Stück Menschheit geworden. Im Süden hatte ihm die sarazenische Cultur unverwischbare Züge aufgeprägt, im Norden lebte im Großen und Ganzen der Geist der Kreuzzüge fort, ritterliche Lebensanschauung und strenge Kirchlichkeit. Fast nur Catalonien nahm frühzeitig an der fortschreitenden Bewegung theil, die im fünfzehnten Jahrhundert durch die Geister in Südfrankreich und Italien ging; die Masse des spanischen Volkes blieb der Umgestaltung der Verhältnisse und Vorstellungen, die das übrige Europa seit dem Ende der Kreuzzüge erlebt, dem Erstarken des Bürgerthums, der Lockerung der römischen Hierarchie, der humanistischen Bil¬ dung so fremd, als ob Spanien eine ferne Insel gewesen wäre. Die Kriege der eingebornen Könige mit dem Ausland und die Entdeckung Amerikas änderten daran zunächst nicht viel, und so stand die Nation, als sie im Beginn des sechzehnten Jahrhunderts in dem Hause Habsburg ein neues Herrscher¬ geschlecht erhielt und damit in die großen Welthändel eintrat, den Völkern jen¬ seits der Pyrenäenmauer wie ein geistig nur ganz entfernt Verwandtes gegen, über, zwar in kräftigem Ausschwung aus-sich selbst begriffen, aber fern von allem, was den Anfang der neuen Zeit bezeichnet. Die engere Verbindung mit den niederländischen, deutschen und italienischen Besitzungen der neuen Herrscher würde segensreich für die spanische Bildung geworden sein, wenn nicht die gleichzeitig aufleuchtende Reformation dem spa¬ nischen Volksgeist die Gemeinschaft, in die er eben eingetreten war, als ein ihm nicht blos entschieden Fremdes, sondern gradezu Feindliches hätte erscheinen lassen, und wenn jene neuen Könige es in ihrem Interesse gefunden hätten, die Gegensätze auszugleichen. Daß dies nicht der Fall war, ist den Spaniern zum Verhängniß geworden, unter dessen Folgen das an sich edle und kernhafte Volt noch heute leidet und vermuthlich noch manches Jahrzehnt zu leiden haben wird. Karl der Fünfte und später Philipp der Zweite erblickten in dem Umstand, daß Spanien von der Art der nördlichen Länder mit Unbehagen und Unwillen erfüllt wurde, einen zuverlässigen Hebel für ihre auf Universalmonarchie gerichteten Absichten, und so waren sie bemüht, diese Abneigung zu erhalte» und zu verstärken, etwa in der Weise, wie dies in neuester Zeit mit dem Gegen¬ satz des orthodoxen Nussenthums gegen die „Heiden", d. h. gegen die Cultur- Völker des europäischen Westens geschah. Sie steigerten die spanische Streng¬ gläubigkeit zu finster glühendem Fanatismus, und sie erfüllten das an sich ritterliche Volk, welches unter Ferdinand und Jsabella begonnen, sich den Werken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/182>, abgerufen am 29.06.2024.