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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Spiels müde geworden zu sein, er näherte sich infolge der bayrischen Vor¬
gänge wieder seinen Freunden von der Fortschrittspartei, vielleicht mochte ihm
auch bei den Wirkungen seiner Ausfälle ge.r,en "diese Norddeutschen" nicht recht
geheuer sein. Unter diesen Umständen blieb wohl nichts übrig, als die Schmollen¬
den zu versöhnen und die Würde des Vororts einzupacken und via. Nördlingen
und Bopfingen nach dem Nesenbach zu verschicken, wo der Eifer des Beobachters
wenigstens unvermindert ist und doch am ehesten zu vermuthen war, daß min¬
destens ein lokaler Anhang der Partei gesichert sei.

Letzteres trifft nun freilich nicht, in dem Maße zu, wie wohl auswärts an¬
genommen wird und nach den Trompetenstößen der betheiligten Presse anzunehmen
wäre. Mit großer Wichtigkeit ist auch innerhalb unsres Landes fortwährend
von der "Organisation der Partei" die Rede, ohne daß es recht mit ihr flecken
will. Die anerkannten Führer der Demokratie halten sich, wenige ausgenommen,
grundsätzlich fern und ziehen sich endlich, gedrängt durch das Vorgehen der
Gegner, eine abgegrenzte Fortschrittspartei heran. In der Hauptstadt haben
die Gemeindewahlen der jüngsten Zeit über das numerische Verhältniß der Volks¬
partei jedermann die Augen öffnen können, und auf dem Lande, wo der
Einfluß des Beobachters allerdings größer ist, schon weil seine Doctrinen dem
Volk gänzlich unverständlich sind, hat es mit der Organisation gute Wege.
Macht zu schaden hat die Volkspartei freilich. Man. sah es bei zwei Ab-
georduetenwahlen, die im December voizunchmcn waren. Jeder liberale Candidat,
der nicht auf das föderalistische Programm des Beobachters schwört, hat künftig
nicht blos die conservative Regierungspartei gegen sich, sondern wirb auch vom
Beobachter dem Landvolk als ein heimlicher Anhänger Bismarcks denuncirt und
unbarmherzig auf die preußische Spitze gespießt, wie dies eben bei jenen Wahlen
einer der ersten volkswirtschaftlichen Capacitäten des Landes, Gustav Müller,
passirte, der freilich den schlimmen Makel auf sich sitzen hatte, zu einer Zeit
für den französischen Handelsvertrag offen eingetreten zu sein, als Moritz Mohl
noch eine Autorität war. Für die Kammer ist die Nichtwahl Müllers ein ent¬
schiedener Verlust, und so wird wohl in Zukunft überhaupt die Wahl tüchtiger
Persönlichkeiten einen doppelt schweren Stand haben. Auch von dieser Seite
her hat die Regierung alle Ursache, mit Wohlgefallen auf die neue Partei zu
blicken.

Für diejenigen bei uns allerdings noch weit verbreiteten Kreise aus der
allen Schule, welchen die nationalen Fragen durchaus hinter den Fragen des
Liberalismus zurücktreten, ist dieser Stand der Sache natürlich ein steter Gegen¬
stand der Klage, und von Zeit zu Zeit vernimmt man noch elegische Stimmen
über den traurigen Zwiespalt in der demokratischen Partei, zumal da man ihn
vielfach nur auf persönliche Motive und Antipathien zurückführt. Allein so un-
läugbar wirklich persönliche Motive einen Antheil an der Trennung haben, war


Spiels müde geworden zu sein, er näherte sich infolge der bayrischen Vor¬
gänge wieder seinen Freunden von der Fortschrittspartei, vielleicht mochte ihm
auch bei den Wirkungen seiner Ausfälle ge.r,en „diese Norddeutschen" nicht recht
geheuer sein. Unter diesen Umständen blieb wohl nichts übrig, als die Schmollen¬
den zu versöhnen und die Würde des Vororts einzupacken und via. Nördlingen
und Bopfingen nach dem Nesenbach zu verschicken, wo der Eifer des Beobachters
wenigstens unvermindert ist und doch am ehesten zu vermuthen war, daß min¬
destens ein lokaler Anhang der Partei gesichert sei.

Letzteres trifft nun freilich nicht, in dem Maße zu, wie wohl auswärts an¬
genommen wird und nach den Trompetenstößen der betheiligten Presse anzunehmen
wäre. Mit großer Wichtigkeit ist auch innerhalb unsres Landes fortwährend
von der „Organisation der Partei" die Rede, ohne daß es recht mit ihr flecken
will. Die anerkannten Führer der Demokratie halten sich, wenige ausgenommen,
grundsätzlich fern und ziehen sich endlich, gedrängt durch das Vorgehen der
Gegner, eine abgegrenzte Fortschrittspartei heran. In der Hauptstadt haben
die Gemeindewahlen der jüngsten Zeit über das numerische Verhältniß der Volks¬
partei jedermann die Augen öffnen können, und auf dem Lande, wo der
Einfluß des Beobachters allerdings größer ist, schon weil seine Doctrinen dem
Volk gänzlich unverständlich sind, hat es mit der Organisation gute Wege.
Macht zu schaden hat die Volkspartei freilich. Man. sah es bei zwei Ab-
georduetenwahlen, die im December voizunchmcn waren. Jeder liberale Candidat,
der nicht auf das föderalistische Programm des Beobachters schwört, hat künftig
nicht blos die conservative Regierungspartei gegen sich, sondern wirb auch vom
Beobachter dem Landvolk als ein heimlicher Anhänger Bismarcks denuncirt und
unbarmherzig auf die preußische Spitze gespießt, wie dies eben bei jenen Wahlen
einer der ersten volkswirtschaftlichen Capacitäten des Landes, Gustav Müller,
passirte, der freilich den schlimmen Makel auf sich sitzen hatte, zu einer Zeit
für den französischen Handelsvertrag offen eingetreten zu sein, als Moritz Mohl
noch eine Autorität war. Für die Kammer ist die Nichtwahl Müllers ein ent¬
schiedener Verlust, und so wird wohl in Zukunft überhaupt die Wahl tüchtiger
Persönlichkeiten einen doppelt schweren Stand haben. Auch von dieser Seite
her hat die Regierung alle Ursache, mit Wohlgefallen auf die neue Partei zu
blicken.

Für diejenigen bei uns allerdings noch weit verbreiteten Kreise aus der
allen Schule, welchen die nationalen Fragen durchaus hinter den Fragen des
Liberalismus zurücktreten, ist dieser Stand der Sache natürlich ein steter Gegen¬
stand der Klage, und von Zeit zu Zeit vernimmt man noch elegische Stimmen
über den traurigen Zwiespalt in der demokratischen Partei, zumal da man ihn
vielfach nur auf persönliche Motive und Antipathien zurückführt. Allein so un-
läugbar wirklich persönliche Motive einen Antheil an der Trennung haben, war


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[0163] Spiels müde geworden zu sein, er näherte sich infolge der bayrischen Vor¬ gänge wieder seinen Freunden von der Fortschrittspartei, vielleicht mochte ihm auch bei den Wirkungen seiner Ausfälle ge.r,en „diese Norddeutschen" nicht recht geheuer sein. Unter diesen Umständen blieb wohl nichts übrig, als die Schmollen¬ den zu versöhnen und die Würde des Vororts einzupacken und via. Nördlingen und Bopfingen nach dem Nesenbach zu verschicken, wo der Eifer des Beobachters wenigstens unvermindert ist und doch am ehesten zu vermuthen war, daß min¬ destens ein lokaler Anhang der Partei gesichert sei. Letzteres trifft nun freilich nicht, in dem Maße zu, wie wohl auswärts an¬ genommen wird und nach den Trompetenstößen der betheiligten Presse anzunehmen wäre. Mit großer Wichtigkeit ist auch innerhalb unsres Landes fortwährend von der „Organisation der Partei" die Rede, ohne daß es recht mit ihr flecken will. Die anerkannten Führer der Demokratie halten sich, wenige ausgenommen, grundsätzlich fern und ziehen sich endlich, gedrängt durch das Vorgehen der Gegner, eine abgegrenzte Fortschrittspartei heran. In der Hauptstadt haben die Gemeindewahlen der jüngsten Zeit über das numerische Verhältniß der Volks¬ partei jedermann die Augen öffnen können, und auf dem Lande, wo der Einfluß des Beobachters allerdings größer ist, schon weil seine Doctrinen dem Volk gänzlich unverständlich sind, hat es mit der Organisation gute Wege. Macht zu schaden hat die Volkspartei freilich. Man. sah es bei zwei Ab- georduetenwahlen, die im December voizunchmcn waren. Jeder liberale Candidat, der nicht auf das föderalistische Programm des Beobachters schwört, hat künftig nicht blos die conservative Regierungspartei gegen sich, sondern wirb auch vom Beobachter dem Landvolk als ein heimlicher Anhänger Bismarcks denuncirt und unbarmherzig auf die preußische Spitze gespießt, wie dies eben bei jenen Wahlen einer der ersten volkswirtschaftlichen Capacitäten des Landes, Gustav Müller, passirte, der freilich den schlimmen Makel auf sich sitzen hatte, zu einer Zeit für den französischen Handelsvertrag offen eingetreten zu sein, als Moritz Mohl noch eine Autorität war. Für die Kammer ist die Nichtwahl Müllers ein ent¬ schiedener Verlust, und so wird wohl in Zukunft überhaupt die Wahl tüchtiger Persönlichkeiten einen doppelt schweren Stand haben. Auch von dieser Seite her hat die Regierung alle Ursache, mit Wohlgefallen auf die neue Partei zu blicken. Für diejenigen bei uns allerdings noch weit verbreiteten Kreise aus der allen Schule, welchen die nationalen Fragen durchaus hinter den Fragen des Liberalismus zurücktreten, ist dieser Stand der Sache natürlich ein steter Gegen¬ stand der Klage, und von Zeit zu Zeit vernimmt man noch elegische Stimmen über den traurigen Zwiespalt in der demokratischen Partei, zumal da man ihn vielfach nur auf persönliche Motive und Antipathien zurückführt. Allein so un- läugbar wirklich persönliche Motive einen Antheil an der Trennung haben, war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/163>, abgerufen am 29.06.2024.