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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Die Geschichten dieser alten Propheten sind jetzt in die Darstellung der
Reichsgeschichte aufgenommen, wie sie denn auch größtentheils entschieden ge¬
schichtliche Grundlagen haben. Nur eine einzige Prophetenerzählung haben wir
im alten Testament als ein besonderes Buch oder, um genauer zu reden, als
einen ganz selbständigen Theil des Buchs der zwölf (kleinen) Propheten. Dies
ist das Buch Jona, dessen Geschichte uns folgendermaßen erzählt wird:

Jona, der Sohn des Amitthai, erhält den göttlichen Befehl, nach der
großen Stadt Ninive zu gehn, um gegen sie wegen ihrer Bosheit zu predigen.
Da er aber fürchtet, die Niniviten würden auf seine Predigt Buße thun und
dann doch Gnade erhalten, sucht er Gott zu entfliehen. Er will von Joppe
nach dem fernen Tarsis (Tartessus in Spanien) fahren. Aber Gott erregt einen
großen Sturm. Vergeblich suchen die Schiffer das Schiff durch Hinauswerfen
ihrer Sachen zu erleichtern, vergeblich flehn sie zu ihren Göttern. Jetzt wird
auch Jona. welcher unten im Schiff geschlafen hat, heraufgeholt und aufge¬
fordert, seinen Gott um Rettung anzurufen. Da aber nichts hilft, beschließen
sie, durchs Loos zu erforschen, wessen Schuld die Lebensgefahr über sie ge¬
bracht habe. Das Loos fällt auf Jona, dieser gesteht seine Schuld und fordert
sie selbst auf, ihn über Bord zu werfen. Nachdem alle Anstrengungen, das
Schiff sonst zu retten, sich vergeblich erwiesen haben, wird Jona ins Meer ge¬
worfen, und das Meer wird sofort ruhig. Die Schiffer, welche vorher Gott
gebeten haben, ihnen Jonas Tod nicht als Blutschuld anzurechnen, bringen
Gott Opfer und Gelübde dar.

Jona wird durch einen von Gold bestellten Fisch verschlungen. Im Bauche
desselben fleht er zu Gott und wird nach drei Tagen und drei Nächten vom
Fisch ans Land gespieen.

Dem wiederholt an ihn ergehenden Befehle nach Ninive zu gehn, leistet
Jona nun Folge. Er verkündet in Ninive, daß die Stadt in 40 Tagen unter¬
gehn werde. Die Bewohner glauben an ihn, suchen aber durch Trauer. Fasten
und tiefe Reue das Unheil abzuwenden. Der König geht seinen Unterthanen
mit dem besten Beispiel voran: seine Befehle, strengste Buße zu thun, werden
befolgt. Darob erbarmt sich der Herr und läßt die gedrohte Strafe nicht
eintreten.

Dies verdrießt den Jona. Unmuthig baut er sich vor der Stadt eine Hütte,
um darin zu sehen, was aus Ninive werde. Gott läßt ein schattiges Gewächs")
aufsprossen, der Prophet hat darüber seine große Freude. Desto größer ist
seine Betrübniß, als Gott das Gewächs durch einen Wurm stechen und ver¬
dorren läßt, so daß er nun vor der Hitze und dem Gluthwind keinen Schutz



-) Der sogenannte Wunderbaum, der sehr rasch emporschießt und ebenso schnell wieder
vergeht. ,

Die Geschichten dieser alten Propheten sind jetzt in die Darstellung der
Reichsgeschichte aufgenommen, wie sie denn auch größtentheils entschieden ge¬
schichtliche Grundlagen haben. Nur eine einzige Prophetenerzählung haben wir
im alten Testament als ein besonderes Buch oder, um genauer zu reden, als
einen ganz selbständigen Theil des Buchs der zwölf (kleinen) Propheten. Dies
ist das Buch Jona, dessen Geschichte uns folgendermaßen erzählt wird:

Jona, der Sohn des Amitthai, erhält den göttlichen Befehl, nach der
großen Stadt Ninive zu gehn, um gegen sie wegen ihrer Bosheit zu predigen.
Da er aber fürchtet, die Niniviten würden auf seine Predigt Buße thun und
dann doch Gnade erhalten, sucht er Gott zu entfliehen. Er will von Joppe
nach dem fernen Tarsis (Tartessus in Spanien) fahren. Aber Gott erregt einen
großen Sturm. Vergeblich suchen die Schiffer das Schiff durch Hinauswerfen
ihrer Sachen zu erleichtern, vergeblich flehn sie zu ihren Göttern. Jetzt wird
auch Jona. welcher unten im Schiff geschlafen hat, heraufgeholt und aufge¬
fordert, seinen Gott um Rettung anzurufen. Da aber nichts hilft, beschließen
sie, durchs Loos zu erforschen, wessen Schuld die Lebensgefahr über sie ge¬
bracht habe. Das Loos fällt auf Jona, dieser gesteht seine Schuld und fordert
sie selbst auf, ihn über Bord zu werfen. Nachdem alle Anstrengungen, das
Schiff sonst zu retten, sich vergeblich erwiesen haben, wird Jona ins Meer ge¬
worfen, und das Meer wird sofort ruhig. Die Schiffer, welche vorher Gott
gebeten haben, ihnen Jonas Tod nicht als Blutschuld anzurechnen, bringen
Gott Opfer und Gelübde dar.

Jona wird durch einen von Gold bestellten Fisch verschlungen. Im Bauche
desselben fleht er zu Gott und wird nach drei Tagen und drei Nächten vom
Fisch ans Land gespieen.

Dem wiederholt an ihn ergehenden Befehle nach Ninive zu gehn, leistet
Jona nun Folge. Er verkündet in Ninive, daß die Stadt in 40 Tagen unter¬
gehn werde. Die Bewohner glauben an ihn, suchen aber durch Trauer. Fasten
und tiefe Reue das Unheil abzuwenden. Der König geht seinen Unterthanen
mit dem besten Beispiel voran: seine Befehle, strengste Buße zu thun, werden
befolgt. Darob erbarmt sich der Herr und läßt die gedrohte Strafe nicht
eintreten.

Dies verdrießt den Jona. Unmuthig baut er sich vor der Stadt eine Hütte,
um darin zu sehen, was aus Ninive werde. Gott läßt ein schattiges Gewächs")
aufsprossen, der Prophet hat darüber seine große Freude. Desto größer ist
seine Betrübniß, als Gott das Gewächs durch einen Wurm stechen und ver¬
dorren läßt, so daß er nun vor der Hitze und dem Gluthwind keinen Schutz



-) Der sogenannte Wunderbaum, der sehr rasch emporschießt und ebenso schnell wieder
vergeht. ,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/98>, abgerufen am 15.01.2025.