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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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gesandten, Baron Lerchenfeld, mitbrachte, was Aufmerksamkeit und Verdacht
gegen die bayrische Politik unter den Gesandten erregt haben soll.

Uebrigens erfolgte Anfangs October die Anerkennung des Bürgerkönigs
durch den Bundestag, nicht ohne daß das betreffende Schreiben vorher durch
den Freih. v. Mönch dem k. k. östreichischen Hofe vorgelegt und von dem
Fürsten Metternich "sehr schön und den Verhältnissen vollkommen entsprechend"
gefunden wurde. Es ist in den Bundestagsprotokollen abgedruckt.

Wir haben gesehen, daß das Motiv der so rasch erfolgten Anerkennung
der neuen Ordnung der Dinge in Frankreich durch die Großmächte vor allem
die Erkenntniß war, daß von den möglichen Uebeln, welche die Julirevolution
in Aussicht gestellt hatte, die Regierung Ludwig Philipps immer noch das
kleinste sei. Sie betrachtete man in Wien und in Petersburg als die einzige
gegebene Garantie für die Ruhe Frankreichs. Als sich diese Voraussetzung
nun aber nicht vollständig zu erfüllen- schien, als die Octoberaufstände in Paris
neue Verwirrungen einzuleiten schienen, als in Deutschland da und dort Un¬
ruhen ausbrachen, und die liberalen Ideen einen neuen mächtigen Aufschwung
nahmen, als Bayern und Würtemberg bei den Abstimmungen am Bunde den
Widerstand des Jahres 1819 erneuerten und neuerdings dem metternichschen
System Opposition zu machen begannen, da glaubte der Fürststaatskanzler die
Zeit gekommen -- wenigstens der russischen Unterstützung jetzt sicherer als ehedem
zur Zeit Kaiser Alexanders -- sich wieder an die Spitze einer reactionären
Politik zu stellen. Zunächst sollte Bayern dem wiener Hofe wiedergewonnen
werden. Der bayrische Gesandte in Wien, Graf Bray, wurde an den König
Ludwig entsendet, um zuerst in Metternichs Auftrag Auskunft über die poli¬
tischen Absichten des Königs zu verlangen, dann zum engsten Anschluß an
Oestreich aufzufordern, endlich den ländersüchtigen König mit dem Versprechen
des einstigen Besitzes der badischen Pfalz, den eiteln und ehrgeizigen Fürsten
Wrede mit der Aussicht auf den Feldherrnstab der Bundesarmee zu ködern.
In Stuttgart wurden ähnliche Eröffnungen gemacht. Eines wollte Metternich
um jeden Preis erringen: entweder eine Offensiv- und Defensivallianz mit
beiden süddeutschen Staaten oder eine Trennung ihres sichtbaren Einverständ-
nisses durch Erweckung gegenseitigen Mißtrauens.

Ende November kam auch ein außerordentlicher Gesandter des russischen
Hofes, Graf Potemkin. nach München, um die Theilnahme des Königs von
Bayern für den Fall eines Krieges mit Frankreich zu sichern.

Aber keiner von beiden fand ein geneigtes Ohr. Man begann in München
und Stuttgart sich der preußischen Ansicht anzuschließen, die fortfuhr, jede offene
Einmischung als gefährlich und unheilbringend zu betrachten. Zwar gab es in
München so gut als in Berlin eine Partei, die zum Losschlagen drängte, wie
dort den Kronprinzen, betrachtete man hier den Prinzen Karl, den Bruder des


gesandten, Baron Lerchenfeld, mitbrachte, was Aufmerksamkeit und Verdacht
gegen die bayrische Politik unter den Gesandten erregt haben soll.

Uebrigens erfolgte Anfangs October die Anerkennung des Bürgerkönigs
durch den Bundestag, nicht ohne daß das betreffende Schreiben vorher durch
den Freih. v. Mönch dem k. k. östreichischen Hofe vorgelegt und von dem
Fürsten Metternich „sehr schön und den Verhältnissen vollkommen entsprechend"
gefunden wurde. Es ist in den Bundestagsprotokollen abgedruckt.

Wir haben gesehen, daß das Motiv der so rasch erfolgten Anerkennung
der neuen Ordnung der Dinge in Frankreich durch die Großmächte vor allem
die Erkenntniß war, daß von den möglichen Uebeln, welche die Julirevolution
in Aussicht gestellt hatte, die Regierung Ludwig Philipps immer noch das
kleinste sei. Sie betrachtete man in Wien und in Petersburg als die einzige
gegebene Garantie für die Ruhe Frankreichs. Als sich diese Voraussetzung
nun aber nicht vollständig zu erfüllen- schien, als die Octoberaufstände in Paris
neue Verwirrungen einzuleiten schienen, als in Deutschland da und dort Un¬
ruhen ausbrachen, und die liberalen Ideen einen neuen mächtigen Aufschwung
nahmen, als Bayern und Würtemberg bei den Abstimmungen am Bunde den
Widerstand des Jahres 1819 erneuerten und neuerdings dem metternichschen
System Opposition zu machen begannen, da glaubte der Fürststaatskanzler die
Zeit gekommen — wenigstens der russischen Unterstützung jetzt sicherer als ehedem
zur Zeit Kaiser Alexanders — sich wieder an die Spitze einer reactionären
Politik zu stellen. Zunächst sollte Bayern dem wiener Hofe wiedergewonnen
werden. Der bayrische Gesandte in Wien, Graf Bray, wurde an den König
Ludwig entsendet, um zuerst in Metternichs Auftrag Auskunft über die poli¬
tischen Absichten des Königs zu verlangen, dann zum engsten Anschluß an
Oestreich aufzufordern, endlich den ländersüchtigen König mit dem Versprechen
des einstigen Besitzes der badischen Pfalz, den eiteln und ehrgeizigen Fürsten
Wrede mit der Aussicht auf den Feldherrnstab der Bundesarmee zu ködern.
In Stuttgart wurden ähnliche Eröffnungen gemacht. Eines wollte Metternich
um jeden Preis erringen: entweder eine Offensiv- und Defensivallianz mit
beiden süddeutschen Staaten oder eine Trennung ihres sichtbaren Einverständ-
nisses durch Erweckung gegenseitigen Mißtrauens.

Ende November kam auch ein außerordentlicher Gesandter des russischen
Hofes, Graf Potemkin. nach München, um die Theilnahme des Königs von
Bayern für den Fall eines Krieges mit Frankreich zu sichern.

Aber keiner von beiden fand ein geneigtes Ohr. Man begann in München
und Stuttgart sich der preußischen Ansicht anzuschließen, die fortfuhr, jede offene
Einmischung als gefährlich und unheilbringend zu betrachten. Zwar gab es in
München so gut als in Berlin eine Partei, die zum Losschlagen drängte, wie
dort den Kronprinzen, betrachtete man hier den Prinzen Karl, den Bruder des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/71>, abgerufen am 15.01.2025.