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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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so ging denn die Oper Ende April dieses Jahres, von ganz Paris mit nicht
minderer Spannung wie ein großes politisches Ereigniß erwartet, in Scene.

Vielleicht verschuldete aber gerade eben jene zu hoch gesteigerte Erwartung,
die durch den inzwischen erfolgten Tod des Meisters und durch die Versiche¬
rungen, daß derselbe dies Werk für sein gediegenstes erklärt, neue Nahrung er¬
halten, den gegen die Wirkung früherer neuer Opern Meyerbeers nur mäßigen
Erfolg der Afrikanerin in Frankreichs Hauptstadt.

Ehe wir uns hier ein eigenes Urtheil über das uns vorliegende osuvi-s
postrmirik gestatten, sei es erlaubt, einen kurzen Rückblick aus Meyerbeers Stel¬
lung in der Tonkunst überhaupt zu werfen.

So weit die Geschichte der Tonkunst zurückreicht, begegnen wir kaum einem
zweiten Namen, der sich, wie der Meyerbeers. schon bei Lebzeiten seines Trä¬
gers über alle Zonen unseres Erdballes verbreitet hätte. Meyerbeersche Opern
werden so gut in Havanna, Mexiko, Newyork und Rio Janeiro, wie in Ma¬
drid, London, Petersburg und Calcutta gegeben. Was demnächst das eigentlich
musikalische Urtheil der Welt über ihn betrifft, so sehen wir. daß er einer¬
seits die große Menge für sich hat, während wir unter seinen Fachgenossen, so
wie unter den gebildeteren Dilettanten zwei entgegengesetzten Ansichten betreffs
seiner begegnen. Die Einen, und unter diesen die Majorität der einer strengen
Richtung in ihrer Kunst angehörenden Musiker, verdammen ihn gänzlich, die
Anderen finden in ihm gerade den Mann, der mit dem musikalisch Bedeutenden
das Gefällige. Effectvolle und den Sinnen schmeichelnde zu vereinigen wisse.
Die Franzosen besonders wähnen, daß es ihm gelungen sei, mit deutschem Ernst
und deutscher Tiefe französische Beweglichkeit und Rhythmik und italienischen
Melodienreiz zu verbinden. Wir glauben sagen zu dürfen, daß hier das Wahre
wie so oft in der Mitte liegt. Meyerbeer ist weder der große, unsterbliche
Meister, zu welchem ihn seine begeisterten Verehrer machen möchten, noch der
nur jüdisch berechnende Eklektiker, den seine Gegner in ihm finden, der das Sei¬
nige nimmt und sich aneignet, wo immer es ihm bequem ist, wenn nur Effecte
beim großen Haufen damit erzielt werden. Ein Mann, dessen Name den Erdball
umspannt, ein Mann, der bei den entgegengesetztesten Nationen und unter deren
hervorragendsten Geistern dieselbe Anerkennung gefunden, ein Mann endlich,
dessen Werke die Feuerprobe der Zeit schon insoweit bestanden haben, daß
sich z. B. seine Stücke "Robert der Teufel" und "die Hugenotten" über ein
Menschenalter auf allen Bühnen erhalten, kann nicht jener niedrige Schmeichler
einer blöden Menge und ein Speculant auf ihre Schwächen sein, dessen Herr¬
schaft, wie die Kunstgeschichte lehrt, immer nur eine oberflächliche und flüchtig
vorüberrauschende ist. Auf der anderen Seite aber kann ein Tonschöpfer, dessen
Opern fast ebensosehr durch den Aufwand aller decorativer Pracht und aller


Seite der bevorstehenden Aufführung der Afrikaner«» eingesetzt worden. Und
so ging denn die Oper Ende April dieses Jahres, von ganz Paris mit nicht
minderer Spannung wie ein großes politisches Ereigniß erwartet, in Scene.

Vielleicht verschuldete aber gerade eben jene zu hoch gesteigerte Erwartung,
die durch den inzwischen erfolgten Tod des Meisters und durch die Versiche¬
rungen, daß derselbe dies Werk für sein gediegenstes erklärt, neue Nahrung er¬
halten, den gegen die Wirkung früherer neuer Opern Meyerbeers nur mäßigen
Erfolg der Afrikanerin in Frankreichs Hauptstadt.

Ehe wir uns hier ein eigenes Urtheil über das uns vorliegende osuvi-s
postrmirik gestatten, sei es erlaubt, einen kurzen Rückblick aus Meyerbeers Stel¬
lung in der Tonkunst überhaupt zu werfen.

So weit die Geschichte der Tonkunst zurückreicht, begegnen wir kaum einem
zweiten Namen, der sich, wie der Meyerbeers. schon bei Lebzeiten seines Trä¬
gers über alle Zonen unseres Erdballes verbreitet hätte. Meyerbeersche Opern
werden so gut in Havanna, Mexiko, Newyork und Rio Janeiro, wie in Ma¬
drid, London, Petersburg und Calcutta gegeben. Was demnächst das eigentlich
musikalische Urtheil der Welt über ihn betrifft, so sehen wir. daß er einer¬
seits die große Menge für sich hat, während wir unter seinen Fachgenossen, so
wie unter den gebildeteren Dilettanten zwei entgegengesetzten Ansichten betreffs
seiner begegnen. Die Einen, und unter diesen die Majorität der einer strengen
Richtung in ihrer Kunst angehörenden Musiker, verdammen ihn gänzlich, die
Anderen finden in ihm gerade den Mann, der mit dem musikalisch Bedeutenden
das Gefällige. Effectvolle und den Sinnen schmeichelnde zu vereinigen wisse.
Die Franzosen besonders wähnen, daß es ihm gelungen sei, mit deutschem Ernst
und deutscher Tiefe französische Beweglichkeit und Rhythmik und italienischen
Melodienreiz zu verbinden. Wir glauben sagen zu dürfen, daß hier das Wahre
wie so oft in der Mitte liegt. Meyerbeer ist weder der große, unsterbliche
Meister, zu welchem ihn seine begeisterten Verehrer machen möchten, noch der
nur jüdisch berechnende Eklektiker, den seine Gegner in ihm finden, der das Sei¬
nige nimmt und sich aneignet, wo immer es ihm bequem ist, wenn nur Effecte
beim großen Haufen damit erzielt werden. Ein Mann, dessen Name den Erdball
umspannt, ein Mann, der bei den entgegengesetztesten Nationen und unter deren
hervorragendsten Geistern dieselbe Anerkennung gefunden, ein Mann endlich,
dessen Werke die Feuerprobe der Zeit schon insoweit bestanden haben, daß
sich z. B. seine Stücke „Robert der Teufel" und „die Hugenotten" über ein
Menschenalter auf allen Bühnen erhalten, kann nicht jener niedrige Schmeichler
einer blöden Menge und ein Speculant auf ihre Schwächen sein, dessen Herr¬
schaft, wie die Kunstgeschichte lehrt, immer nur eine oberflächliche und flüchtig
vorüberrauschende ist. Auf der anderen Seite aber kann ein Tonschöpfer, dessen
Opern fast ebensosehr durch den Aufwand aller decorativer Pracht und aller


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[0617] Seite der bevorstehenden Aufführung der Afrikaner«» eingesetzt worden. Und so ging denn die Oper Ende April dieses Jahres, von ganz Paris mit nicht minderer Spannung wie ein großes politisches Ereigniß erwartet, in Scene. Vielleicht verschuldete aber gerade eben jene zu hoch gesteigerte Erwartung, die durch den inzwischen erfolgten Tod des Meisters und durch die Versiche¬ rungen, daß derselbe dies Werk für sein gediegenstes erklärt, neue Nahrung er¬ halten, den gegen die Wirkung früherer neuer Opern Meyerbeers nur mäßigen Erfolg der Afrikanerin in Frankreichs Hauptstadt. Ehe wir uns hier ein eigenes Urtheil über das uns vorliegende osuvi-s postrmirik gestatten, sei es erlaubt, einen kurzen Rückblick aus Meyerbeers Stel¬ lung in der Tonkunst überhaupt zu werfen. So weit die Geschichte der Tonkunst zurückreicht, begegnen wir kaum einem zweiten Namen, der sich, wie der Meyerbeers. schon bei Lebzeiten seines Trä¬ gers über alle Zonen unseres Erdballes verbreitet hätte. Meyerbeersche Opern werden so gut in Havanna, Mexiko, Newyork und Rio Janeiro, wie in Ma¬ drid, London, Petersburg und Calcutta gegeben. Was demnächst das eigentlich musikalische Urtheil der Welt über ihn betrifft, so sehen wir. daß er einer¬ seits die große Menge für sich hat, während wir unter seinen Fachgenossen, so wie unter den gebildeteren Dilettanten zwei entgegengesetzten Ansichten betreffs seiner begegnen. Die Einen, und unter diesen die Majorität der einer strengen Richtung in ihrer Kunst angehörenden Musiker, verdammen ihn gänzlich, die Anderen finden in ihm gerade den Mann, der mit dem musikalisch Bedeutenden das Gefällige. Effectvolle und den Sinnen schmeichelnde zu vereinigen wisse. Die Franzosen besonders wähnen, daß es ihm gelungen sei, mit deutschem Ernst und deutscher Tiefe französische Beweglichkeit und Rhythmik und italienischen Melodienreiz zu verbinden. Wir glauben sagen zu dürfen, daß hier das Wahre wie so oft in der Mitte liegt. Meyerbeer ist weder der große, unsterbliche Meister, zu welchem ihn seine begeisterten Verehrer machen möchten, noch der nur jüdisch berechnende Eklektiker, den seine Gegner in ihm finden, der das Sei¬ nige nimmt und sich aneignet, wo immer es ihm bequem ist, wenn nur Effecte beim großen Haufen damit erzielt werden. Ein Mann, dessen Name den Erdball umspannt, ein Mann, der bei den entgegengesetztesten Nationen und unter deren hervorragendsten Geistern dieselbe Anerkennung gefunden, ein Mann endlich, dessen Werke die Feuerprobe der Zeit schon insoweit bestanden haben, daß sich z. B. seine Stücke „Robert der Teufel" und „die Hugenotten" über ein Menschenalter auf allen Bühnen erhalten, kann nicht jener niedrige Schmeichler einer blöden Menge und ein Speculant auf ihre Schwächen sein, dessen Herr¬ schaft, wie die Kunstgeschichte lehrt, immer nur eine oberflächliche und flüchtig vorüberrauschende ist. Auf der anderen Seite aber kann ein Tonschöpfer, dessen Opern fast ebensosehr durch den Aufwand aller decorativer Pracht und aller

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/617>, abgerufen am 15.01.2025.