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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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testirte hier als Sachwalter des deutsche" Volkes. Auch ich stimme nicht für
die Reformacte, schallte es hunderttausendstimmig aus dessen Reihen, als am
Ende des Schauspiels der Vorhang siel.




Die Afrikanern.

Der Meister, dem wir die Hugenotten und den Struensee verdanken, ward
der Welt vor nicht viel mehr als einem Jahre durch den Tod entrissen. Aber
noch einmal tritt er wie ein Lebender unter uns und redet zur Menge in neuen
und doch ihm nur eigenthümlichen Melodien, wie sie uns aus seinem letzten
Werke, der Afrikanerin, entgegentönen. -- Meyerbeer hatte bereits den Winter
von 1863 auf 1864 in Paris zugebracht, um der Jnscenesetzung des lange er¬
warteten Werkes, das jenen geheimnißvollen Titel trägt, beizuwohnen. Mit der
bei ihm bekannten Aengstlichkeit überwachte er die Auswahl der geeignetesten
und renommirtestcn Sänger und Sängerinnen, die Abhaltung hinreichender Pro¬
ben und die Anfertigung einer blendenden äußeren Ausstattung zu dieser seiner
letzten großen Oper. Denn, obgleich ein Deutscher von Geburt, war er doch
darin ein Franzose, daß es ihm nicht genug schien, das Kind seines Geistes nur
geboren zu haben. Er glaubte es auch möglichst vor allen Zufällen schützen
zu müssen, die dasselbe bei seinem Eintritt in die Welt bedrohen konnten.
Und wenn er in seiner Fürsorge nach dieser Seite hin vielleicht etwas zu weit
ging, so wünschen wir doch manchem deutschen Landsmanne nur eine Ader
einer solchen Natur, damit er, statt bloßer Hoffnungen auf dereinstigen Nach¬
ruhm, sich auch einigen Wohlseins und Lohnes in dieser Zeitlichkeit zu er¬
freuen hätte.

Seine Afrikanerin sollte ihr sorgsamer Vater nicht mehr selber dem Publikum
vorführen; sie ward sein künstlerisches Vermächtniß an die Nachwelt. Aber
auch diesen Fall hatte unser Tondichter, mit der Voraussicht des Gründers
einer Dynastie, der die von ihm stammende Linie möglichst sicher zu stellen
sucht, in seine Berechnungen gezogen. Meister F6dis in Brüssel, eine als An¬
tiquar aus classisch-musikalischen Gebiete unanfechtbare und für die Pariser
darum mit einem besonderen Nimbus umkleidete Autorität, war von Meyerbeer
sür den Fall seines Todes testamentarisch zum Anordner der musikalischen


testirte hier als Sachwalter des deutsche» Volkes. Auch ich stimme nicht für
die Reformacte, schallte es hunderttausendstimmig aus dessen Reihen, als am
Ende des Schauspiels der Vorhang siel.




Die Afrikanern.

Der Meister, dem wir die Hugenotten und den Struensee verdanken, ward
der Welt vor nicht viel mehr als einem Jahre durch den Tod entrissen. Aber
noch einmal tritt er wie ein Lebender unter uns und redet zur Menge in neuen
und doch ihm nur eigenthümlichen Melodien, wie sie uns aus seinem letzten
Werke, der Afrikanerin, entgegentönen. — Meyerbeer hatte bereits den Winter
von 1863 auf 1864 in Paris zugebracht, um der Jnscenesetzung des lange er¬
warteten Werkes, das jenen geheimnißvollen Titel trägt, beizuwohnen. Mit der
bei ihm bekannten Aengstlichkeit überwachte er die Auswahl der geeignetesten
und renommirtestcn Sänger und Sängerinnen, die Abhaltung hinreichender Pro¬
ben und die Anfertigung einer blendenden äußeren Ausstattung zu dieser seiner
letzten großen Oper. Denn, obgleich ein Deutscher von Geburt, war er doch
darin ein Franzose, daß es ihm nicht genug schien, das Kind seines Geistes nur
geboren zu haben. Er glaubte es auch möglichst vor allen Zufällen schützen
zu müssen, die dasselbe bei seinem Eintritt in die Welt bedrohen konnten.
Und wenn er in seiner Fürsorge nach dieser Seite hin vielleicht etwas zu weit
ging, so wünschen wir doch manchem deutschen Landsmanne nur eine Ader
einer solchen Natur, damit er, statt bloßer Hoffnungen auf dereinstigen Nach¬
ruhm, sich auch einigen Wohlseins und Lohnes in dieser Zeitlichkeit zu er¬
freuen hätte.

Seine Afrikanerin sollte ihr sorgsamer Vater nicht mehr selber dem Publikum
vorführen; sie ward sein künstlerisches Vermächtniß an die Nachwelt. Aber
auch diesen Fall hatte unser Tondichter, mit der Voraussicht des Gründers
einer Dynastie, der die von ihm stammende Linie möglichst sicher zu stellen
sucht, in seine Berechnungen gezogen. Meister F6dis in Brüssel, eine als An¬
tiquar aus classisch-musikalischen Gebiete unanfechtbare und für die Pariser
darum mit einem besonderen Nimbus umkleidete Autorität, war von Meyerbeer
sür den Fall seines Todes testamentarisch zum Anordner der musikalischen


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[0616] testirte hier als Sachwalter des deutsche» Volkes. Auch ich stimme nicht für die Reformacte, schallte es hunderttausendstimmig aus dessen Reihen, als am Ende des Schauspiels der Vorhang siel. Die Afrikanern. Der Meister, dem wir die Hugenotten und den Struensee verdanken, ward der Welt vor nicht viel mehr als einem Jahre durch den Tod entrissen. Aber noch einmal tritt er wie ein Lebender unter uns und redet zur Menge in neuen und doch ihm nur eigenthümlichen Melodien, wie sie uns aus seinem letzten Werke, der Afrikanerin, entgegentönen. — Meyerbeer hatte bereits den Winter von 1863 auf 1864 in Paris zugebracht, um der Jnscenesetzung des lange er¬ warteten Werkes, das jenen geheimnißvollen Titel trägt, beizuwohnen. Mit der bei ihm bekannten Aengstlichkeit überwachte er die Auswahl der geeignetesten und renommirtestcn Sänger und Sängerinnen, die Abhaltung hinreichender Pro¬ ben und die Anfertigung einer blendenden äußeren Ausstattung zu dieser seiner letzten großen Oper. Denn, obgleich ein Deutscher von Geburt, war er doch darin ein Franzose, daß es ihm nicht genug schien, das Kind seines Geistes nur geboren zu haben. Er glaubte es auch möglichst vor allen Zufällen schützen zu müssen, die dasselbe bei seinem Eintritt in die Welt bedrohen konnten. Und wenn er in seiner Fürsorge nach dieser Seite hin vielleicht etwas zu weit ging, so wünschen wir doch manchem deutschen Landsmanne nur eine Ader einer solchen Natur, damit er, statt bloßer Hoffnungen auf dereinstigen Nach¬ ruhm, sich auch einigen Wohlseins und Lohnes in dieser Zeitlichkeit zu er¬ freuen hätte. Seine Afrikanerin sollte ihr sorgsamer Vater nicht mehr selber dem Publikum vorführen; sie ward sein künstlerisches Vermächtniß an die Nachwelt. Aber auch diesen Fall hatte unser Tondichter, mit der Voraussicht des Gründers einer Dynastie, der die von ihm stammende Linie möglichst sicher zu stellen sucht, in seine Berechnungen gezogen. Meister F6dis in Brüssel, eine als An¬ tiquar aus classisch-musikalischen Gebiete unanfechtbare und für die Pariser darum mit einem besonderen Nimbus umkleidete Autorität, war von Meyerbeer sür den Fall seines Todes testamentarisch zum Anordner der musikalischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/616>, abgerufen am 15.01.2025.