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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Das Endergebniß des Fürstentags war ein gelindes xvssuinus. Die
deutschen Bundesverhältnisse blieben "schlechthin chaotisch", und die deutsche
Revolution wartete, um mit der Denkschrift vom 3. August zu reden, weiter
aus ihre Stunde. Preußen aber und seine Freunde, die in ähnlicher Lage
waren, hatten einige Ursache, sich Glück zu wünschen zu der geringen Will¬
fährigkeit, welcher Oestreichs Schachzug in Frankfurt begegnet war.

An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Daß es so hatte kommen müssen,
wollten jetzt auch viele von denen gewußt haben, welche bis zum Erscheinen
der Reformacte wenigstens auf ziemlich unveränderte Annahme des östreichischen
Entwurfs gehofft hatten. Wie es so gekommen, blieb bis heute dem großen
Publicum der Ungesalbten und Nichteingeweihten so gut wie verborgen; denn
von selbst hatte sich verstanden, daß die Fürsten nicht vor den Augen und
Ohren des Volks debattiren, sondern auch bei dieser Gelegenheit jenseits der
Wolke bleiben würden, welche seit den Tagen Ludwigs des Vierzehnten ihre
Sphäre von der gemeinen und profanen Welt trennt. Der Gang der Ver¬
handlungen eigne sich nicht zu öffentlicher Besprechung, hatte der Kaiser von
Oestreich in der ersten Sitzung gesagt, "welcher Ansicht allgemein beigepflichtet
wurde".

Inzwischen ist man andrer Meinung geworden, und so gelangte unter den
oben angeführten Ackerstücken aus der Zeit des Versuchs, die Verfassung
Deutschlands zu reformiren, in den von dem östreichischen Hof- und Ministerial"
rath v. Biegeleben geführten Protokollen der Sitzungen des Fürstencongresses
auch über jenes Wie Licht in die Oeffentlichkeit. Freilich immer nur gedämpftes,
aber wenn wir hier auch nur zusammenfassende Referate, nicht, wie von Be¬
rathungen weniger hochstehender parlamentarischer Versammlungen, wörtliche
Niederschrift der einzelnen Meinungsäußerungen erhalten, und wenn wir infolge
dessen genöthigt sind, uns manches, was zum Kolorit der Conferenz gehörte
und ihr Leben ausmachte, theils aus unsrer allgemeinen Kunde von Art und
Haltung der betreffenden hohen Persönlichkeiten, theils aus dem Munde der
Anekdote zu ergänzen, die bekanntlich auch hier nicht ganz schweigen konnte,
so erfahren wir doch manches Neue und Interessante über den Gang der Ver¬
handlungen und über die Beweggründe, welche die einzelnen erhabenen Redner
für ihre Stellung zu den auf die Tagesordnung gesetzten Fragen anführten.

Heben wir mit Hilfe dieser neuen Mittel das Bild des Fürstencongresses
von 1863 noch einmal aus dem Strom der Vergessenheit. Es wird die schon
anfangs Bedenklichen, die wir im Obigen reden ließen, noch mehr rechtfertigen
als einst der Blick in die Reformacte und der Vergleich derselben mit den
östreichischen Propositionen.

Wir sind im Conferenzsaal des fürstlich tburn- und taxisscheu Palastes auf
der eschenheimer Gasse in Frankfurt. Versammelt sind fünfundzwanzig deutsche


Das Endergebniß des Fürstentags war ein gelindes xvssuinus. Die
deutschen Bundesverhältnisse blieben „schlechthin chaotisch", und die deutsche
Revolution wartete, um mit der Denkschrift vom 3. August zu reden, weiter
aus ihre Stunde. Preußen aber und seine Freunde, die in ähnlicher Lage
waren, hatten einige Ursache, sich Glück zu wünschen zu der geringen Will¬
fährigkeit, welcher Oestreichs Schachzug in Frankfurt begegnet war.

An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Daß es so hatte kommen müssen,
wollten jetzt auch viele von denen gewußt haben, welche bis zum Erscheinen
der Reformacte wenigstens auf ziemlich unveränderte Annahme des östreichischen
Entwurfs gehofft hatten. Wie es so gekommen, blieb bis heute dem großen
Publicum der Ungesalbten und Nichteingeweihten so gut wie verborgen; denn
von selbst hatte sich verstanden, daß die Fürsten nicht vor den Augen und
Ohren des Volks debattiren, sondern auch bei dieser Gelegenheit jenseits der
Wolke bleiben würden, welche seit den Tagen Ludwigs des Vierzehnten ihre
Sphäre von der gemeinen und profanen Welt trennt. Der Gang der Ver¬
handlungen eigne sich nicht zu öffentlicher Besprechung, hatte der Kaiser von
Oestreich in der ersten Sitzung gesagt, „welcher Ansicht allgemein beigepflichtet
wurde".

Inzwischen ist man andrer Meinung geworden, und so gelangte unter den
oben angeführten Ackerstücken aus der Zeit des Versuchs, die Verfassung
Deutschlands zu reformiren, in den von dem östreichischen Hof- und Ministerial«
rath v. Biegeleben geführten Protokollen der Sitzungen des Fürstencongresses
auch über jenes Wie Licht in die Oeffentlichkeit. Freilich immer nur gedämpftes,
aber wenn wir hier auch nur zusammenfassende Referate, nicht, wie von Be¬
rathungen weniger hochstehender parlamentarischer Versammlungen, wörtliche
Niederschrift der einzelnen Meinungsäußerungen erhalten, und wenn wir infolge
dessen genöthigt sind, uns manches, was zum Kolorit der Conferenz gehörte
und ihr Leben ausmachte, theils aus unsrer allgemeinen Kunde von Art und
Haltung der betreffenden hohen Persönlichkeiten, theils aus dem Munde der
Anekdote zu ergänzen, die bekanntlich auch hier nicht ganz schweigen konnte,
so erfahren wir doch manches Neue und Interessante über den Gang der Ver¬
handlungen und über die Beweggründe, welche die einzelnen erhabenen Redner
für ihre Stellung zu den auf die Tagesordnung gesetzten Fragen anführten.

Heben wir mit Hilfe dieser neuen Mittel das Bild des Fürstencongresses
von 1863 noch einmal aus dem Strom der Vergessenheit. Es wird die schon
anfangs Bedenklichen, die wir im Obigen reden ließen, noch mehr rechtfertigen
als einst der Blick in die Reformacte und der Vergleich derselben mit den
östreichischen Propositionen.

Wir sind im Conferenzsaal des fürstlich tburn- und taxisscheu Palastes auf
der eschenheimer Gasse in Frankfurt. Versammelt sind fünfundzwanzig deutsche


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[0602] Das Endergebniß des Fürstentags war ein gelindes xvssuinus. Die deutschen Bundesverhältnisse blieben „schlechthin chaotisch", und die deutsche Revolution wartete, um mit der Denkschrift vom 3. August zu reden, weiter aus ihre Stunde. Preußen aber und seine Freunde, die in ähnlicher Lage waren, hatten einige Ursache, sich Glück zu wünschen zu der geringen Will¬ fährigkeit, welcher Oestreichs Schachzug in Frankfurt begegnet war. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Daß es so hatte kommen müssen, wollten jetzt auch viele von denen gewußt haben, welche bis zum Erscheinen der Reformacte wenigstens auf ziemlich unveränderte Annahme des östreichischen Entwurfs gehofft hatten. Wie es so gekommen, blieb bis heute dem großen Publicum der Ungesalbten und Nichteingeweihten so gut wie verborgen; denn von selbst hatte sich verstanden, daß die Fürsten nicht vor den Augen und Ohren des Volks debattiren, sondern auch bei dieser Gelegenheit jenseits der Wolke bleiben würden, welche seit den Tagen Ludwigs des Vierzehnten ihre Sphäre von der gemeinen und profanen Welt trennt. Der Gang der Ver¬ handlungen eigne sich nicht zu öffentlicher Besprechung, hatte der Kaiser von Oestreich in der ersten Sitzung gesagt, „welcher Ansicht allgemein beigepflichtet wurde". Inzwischen ist man andrer Meinung geworden, und so gelangte unter den oben angeführten Ackerstücken aus der Zeit des Versuchs, die Verfassung Deutschlands zu reformiren, in den von dem östreichischen Hof- und Ministerial« rath v. Biegeleben geführten Protokollen der Sitzungen des Fürstencongresses auch über jenes Wie Licht in die Oeffentlichkeit. Freilich immer nur gedämpftes, aber wenn wir hier auch nur zusammenfassende Referate, nicht, wie von Be¬ rathungen weniger hochstehender parlamentarischer Versammlungen, wörtliche Niederschrift der einzelnen Meinungsäußerungen erhalten, und wenn wir infolge dessen genöthigt sind, uns manches, was zum Kolorit der Conferenz gehörte und ihr Leben ausmachte, theils aus unsrer allgemeinen Kunde von Art und Haltung der betreffenden hohen Persönlichkeiten, theils aus dem Munde der Anekdote zu ergänzen, die bekanntlich auch hier nicht ganz schweigen konnte, so erfahren wir doch manches Neue und Interessante über den Gang der Ver¬ handlungen und über die Beweggründe, welche die einzelnen erhabenen Redner für ihre Stellung zu den auf die Tagesordnung gesetzten Fragen anführten. Heben wir mit Hilfe dieser neuen Mittel das Bild des Fürstencongresses von 1863 noch einmal aus dem Strom der Vergessenheit. Es wird die schon anfangs Bedenklichen, die wir im Obigen reden ließen, noch mehr rechtfertigen als einst der Blick in die Reformacte und der Vergleich derselben mit den östreichischen Propositionen. Wir sind im Conferenzsaal des fürstlich tburn- und taxisscheu Palastes auf der eschenheimer Gasse in Frankfurt. Versammelt sind fünfundzwanzig deutsche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/602>, abgerufen am 15.01.2025.