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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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meinem fragte, erhielt ich die k. k. Kanzleistilantwort: Aerarialgefangene er¬
hielten keinen Kaffee. Als ich nun erklärte, ordentliche Speise haben zu wollen,
fragten die Schließer höhnisch: "Wovon?" -- "Von meinem Gelde, was aÄ
üöxosituin genommen ist." -- "Das ist nicht Ihr Geld, bevor Sie bewiesen ha-
den, daß es Ihnen gehört!" Nun lief mir doch die Laus über die Leber, und
so weh mir alle Glieder thaten, sprang ich, durch den Tag Ruhe wieder etwa"
erfrischt, auf, und erging mich in tausend Verwünschungen.

"Was!" rief ich, "nicht genug, daß mich die Bauern bis aus den Tod
mißhandelt und mich ausgeplündert haben, nicht genug, daß ich hier mit An-
dern, die ich gar nicht kenne, als desselben Verbrechens beschuldigt, eingesperrt
gehalten werde, soll ich auch noch für einen Dieb gehalten und unter schuftiger
Vorwänden im Gefängniß selbst bestohlen werden! Wo sind meine Papiere?
Wo ist mein Paß? Ich bin königlich preußischer Unterthan; euer Consul hat
mir durch Siegel und Unterschrift den Schutz aller östreichischen Behörden ver-
sprechen; und jetzt werde ich auf die Aussage viehisch betrunkener Bauern hin
hier eingesperrt, ohne den geringsten Schein des Rechts? Laßt Euch nicht bei-
kommen, mich betrügen zu wollen; sobald ich aus diesem verwünschten Loche
heraus bin, was in Kurzem geschehen muß, werde ich Euch bei Euern Vorgesetz¬
ten verklagen, und wenn ich bis zum Justizminister gehen sollte!"

Die Schließer wurden nun ganz verdutzt und sahen ein, daß sie mich nicht
schrauben konnten; denn darauf war es offenbar abgesehen. Diese Wichte
waren so gewöhnt, mit Gaunern umzugehen, daß sie selbst zu Gaunern ge¬
worden waren, und jedes Mitgefühl mit den Leiden Andrer in ihnen erstickt
War. Einer lief zu dem Herrn, der sich bei der Geldzählung schon als ehrlich
erwiesen hatte und Naleppa hieß, und dieser erlangte ohne Mühe von dem
Kammerpräsidenten Russinow die Erlaubniß, mir 50 Fi. zur einstweiligen Be¬
streitung meiner Kost und Anschaffung von Wäsche -- denn ich hatte nicht ein
Hemd, als das, welches ich auf dem Leibe trug und das war voll geronnenen
Blutes -- von meinem Gelde auszuhändigen. Ich bestellte mir demnach or¬
dentliche Speise und einige Wäsche, die ich so schnell wie möglich zu haben
wünschte. Ich hatte keine Vorstellung, wie lange ich noch sitzen sollte, und
trieb daher schon deswegen zur Eile. Aber ich kannte noch nicht zur Genüge
den Schneckengang der öffentlichen Geschäfte in Oestreich und hatte dazumal
keine Vorstellung von dem panischen Schrecken, der alle Beamten in Galizien
ergriffen hatte. Hätte ich diese Kenntnisse besessen, so würde ich ermessen ha¬
ben, was die lauen Versprechungen des Kreishauptmanns v. Festenburg und
des Präsidenten Russinow, die am vierten Tage meiner Gefangenschaft zu einem
vorläufigen Verhör in unsere Zelle kamen, zu bedeuten hatten. Ich bemerke
übrigens, daß, was ich bei solchen Gelegenheiten von den Andern aussagen
hörte, mir theils unverständlich, theils gleichgiltig. theils der Art war, daß


meinem fragte, erhielt ich die k. k. Kanzleistilantwort: Aerarialgefangene er¬
hielten keinen Kaffee. Als ich nun erklärte, ordentliche Speise haben zu wollen,
fragten die Schließer höhnisch: „Wovon?" — „Von meinem Gelde, was aÄ
üöxosituin genommen ist." — „Das ist nicht Ihr Geld, bevor Sie bewiesen ha-
den, daß es Ihnen gehört!" Nun lief mir doch die Laus über die Leber, und
so weh mir alle Glieder thaten, sprang ich, durch den Tag Ruhe wieder etwa»
erfrischt, auf, und erging mich in tausend Verwünschungen.

„Was!" rief ich, „nicht genug, daß mich die Bauern bis aus den Tod
mißhandelt und mich ausgeplündert haben, nicht genug, daß ich hier mit An-
dern, die ich gar nicht kenne, als desselben Verbrechens beschuldigt, eingesperrt
gehalten werde, soll ich auch noch für einen Dieb gehalten und unter schuftiger
Vorwänden im Gefängniß selbst bestohlen werden! Wo sind meine Papiere?
Wo ist mein Paß? Ich bin königlich preußischer Unterthan; euer Consul hat
mir durch Siegel und Unterschrift den Schutz aller östreichischen Behörden ver-
sprechen; und jetzt werde ich auf die Aussage viehisch betrunkener Bauern hin
hier eingesperrt, ohne den geringsten Schein des Rechts? Laßt Euch nicht bei-
kommen, mich betrügen zu wollen; sobald ich aus diesem verwünschten Loche
heraus bin, was in Kurzem geschehen muß, werde ich Euch bei Euern Vorgesetz¬
ten verklagen, und wenn ich bis zum Justizminister gehen sollte!"

Die Schließer wurden nun ganz verdutzt und sahen ein, daß sie mich nicht
schrauben konnten; denn darauf war es offenbar abgesehen. Diese Wichte
waren so gewöhnt, mit Gaunern umzugehen, daß sie selbst zu Gaunern ge¬
worden waren, und jedes Mitgefühl mit den Leiden Andrer in ihnen erstickt
War. Einer lief zu dem Herrn, der sich bei der Geldzählung schon als ehrlich
erwiesen hatte und Naleppa hieß, und dieser erlangte ohne Mühe von dem
Kammerpräsidenten Russinow die Erlaubniß, mir 50 Fi. zur einstweiligen Be¬
streitung meiner Kost und Anschaffung von Wäsche — denn ich hatte nicht ein
Hemd, als das, welches ich auf dem Leibe trug und das war voll geronnenen
Blutes — von meinem Gelde auszuhändigen. Ich bestellte mir demnach or¬
dentliche Speise und einige Wäsche, die ich so schnell wie möglich zu haben
wünschte. Ich hatte keine Vorstellung, wie lange ich noch sitzen sollte, und
trieb daher schon deswegen zur Eile. Aber ich kannte noch nicht zur Genüge
den Schneckengang der öffentlichen Geschäfte in Oestreich und hatte dazumal
keine Vorstellung von dem panischen Schrecken, der alle Beamten in Galizien
ergriffen hatte. Hätte ich diese Kenntnisse besessen, so würde ich ermessen ha¬
ben, was die lauen Versprechungen des Kreishauptmanns v. Festenburg und
des Präsidenten Russinow, die am vierten Tage meiner Gefangenschaft zu einem
vorläufigen Verhör in unsere Zelle kamen, zu bedeuten hatten. Ich bemerke
übrigens, daß, was ich bei solchen Gelegenheiten von den Andern aussagen
hörte, mir theils unverständlich, theils gleichgiltig. theils der Art war, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/60>, abgerufen am 15.01.2025.