Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.jammervoller Zustand zum Vorschein kam, und sich kein Körpertheil zeigte, wo Nun stellten die Leute noch drei Pritschen in unsern Kerker und gaben Am andern Morgen brachte man den Andern Kaffee, und als ich nach 7*
jammervoller Zustand zum Vorschein kam, und sich kein Körpertheil zeigte, wo Nun stellten die Leute noch drei Pritschen in unsern Kerker und gaben Am andern Morgen brachte man den Andern Kaffee, und als ich nach 7*
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jammervoller Zustand zum Vorschein kam, und sich kein Körpertheil zeigte, wo
ich nicht mehr oder minder schwere Verletzungen hatte, rief man den Gefängni߬
arzt Dr. Tarde, der aber sehr entfernt von der Humanität war, die man sonst
an den Aerzten rühmt. Er begnügte sich mit einer ganz oberflächlichen Be¬
trachtung und meinte, es wäre nicht so schlimm, wie es aussähe; ich sollte mir
nur kalte Wasserumschläge auf den Kopf legen. Das war geradezu ein Hohn
für mich, da ich infolge der Gelenkgeschwulst meine Arme gar nicht bis zur
Höhe des Kopfes bringen konnte. Zu Umschlägen verabreichte man mir schmutzige
Lappen aus den zerrissenen Hemden der Spitzbuben, die hier gesessen hatten,
welche mich mit solchem Ekel erfüllten, daß, als der Koch sich erbot, sie mir
aufzulegen, ich es mir verbat, wodurch ich freilich die brennende Hitze der
Wunden nicht löschte. Demnächst nahm man uns alle Habseligkeiten außer den
Kleidern, die wir auf dem Leibe hatten, weg. Nun hatten die Bauern bei der
Plünderung meines Schlittens mich freilich vieler werthvollen Gegenstände be¬
raubt, die Reisetasche mit ihrem ganzen Inhalt an Kleidern, Wäsche, ein dicker
Burnuß, die Pistolen u. s. w. waren unwiederbringlich verschwunden, und beim
Binden der Arme hatte ein schlauer Patron mir im Gedränge einen werth¬
vollen Siegelring vom Finger gedreht. Aber mein Geld hatten sie in der
ungetrübten Besoffenheit, die bei ihrem Aufstande herrschte, nicht entdeckt; die
4200 Gulden in Papier und die 100 in Gold sowie einige Cigarren steckten
wohlverwahrt in der Brusttasche meines Rockes. Auf den ingeniösen Einfall,
Geld bei einem reisenden Kaufmann zu suchen, waren die Bauern nicht ge¬
kommen. Jetzt aber mußte ich das Geld abliefern, und der Kerkermeister zählte
es aus mein Verlangen vor meinen Augen durch, wobei er sich leider zweimal
irrte, indem er durchaus eine Banknote zu 100 und eine zu 50 Gulden weniger
fand, als ich angab. Erst als zum dritten Male ein anderer Beamter zählte,
fand sich meine Angabe bestätigt. Gewarnt, bat ich Graf Tyskiewicz, die
Summe mit einem Stückchen Holz in die Tünche der Gefängnißwand zu kratzen
und rief die Anwesenden zu Zeugen auf.
Nun stellten die Leute noch drei Pritschen in unsern Kerker und gaben
jedem von uns einen Strohsack, der abscheulich hart und zerlumpt war. Wir
wurden schließlich von den Kerlen gefragt, was wir essen wollten. Der Graf
bestellte für sich und seine beiden Leute Essen bei dem Kerkermeister und wies
ihn zum Behuf der Bezahlung auf ein Handlungshaus an. Ich, unlustig zu
allem und ernstlich krank, hatte mich auf meine Pritsche gelegt und antwortete
auf dieselbe Frage, er sollte sich zum Teufel scheren. Dies sollte ich büßen;
denn man brachte mir die ordinäre, elende Gefangenkost, zu der ich keinen
Appetit gehabt haben würde, selbst wenn ich in meinem Zustande überhaupt
Eßlust gespürt hätte.
Am andern Morgen brachte man den Andern Kaffee, und als ich nach
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