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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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ersten Körner in die Luft geworfen, so wirft jetzt auch der Schnitter die drei
ersten Aehren in das Getreidefeld hinein, um die "Kornmntter" zu befriedigen
und das Getreide ergiebiger zu machen; und die zwei ersten Handvoll Halme,
welche zur Seite gelegt werden müssen, werden kreuzweise übereinander gelegt.
Wer nun nicht nach dem Takt schneiden, d. h. Schritt halten kann, dem wird
ein "Fulacher" (Faulacker) bereitet; die Voranschreitenden trennen ihn nämlich
von ihrer Gemeinschaft ab, indem sie in einiger Entfernung von ihm die durch
sein Zurückbleiben unterbrochene Linie wieder schließen und so den "Faulen"
auf einem isolirten Stück, einer kleinen Getreideinscl, zurücklassen. Das nennen
sie dann das Zipfelschneiden. Der Geiger spielt dabei seine stehende altmodische
Zipfelweise und singt ein Spottlied dazu, indeß das ganze Beschnitte den
Armen höhnt: "Ab, Acckerlein ab. so kommt der faule Schnitter drah!" Und
zum Spott gesellt sich oft noch der Schaden: der faule Schnitter, dem vorzugs¬
weise der appellative Schimpfname Hciisch beigelegt wird, muß zur Buße die
ganze durstige Gesellschaft mit Wein und Käse tractiren. Bisweilen geschieht
es aber auch umgekehrt, daß eiwa ein besonders flinker Flügelmann den Andern
vorausschncidet, unvermerkt quer durch das Feld fährt und alsdann zur andern
Seite plötzlich die Sichel schwingend auftaucht mit der jubelnden Genugthuung,
den Ueberraschten allesammt ein "Aeckerlein" abgeschnitten zu haben. -- Der
einzelne Schnitter soll aber auch nicht -- etwa mit der beliebten Formel: "Die
Katze will mir auf den Buckel springen" -- die Mühen der Arbeit beklagen,
um nicht Muth und Kräfte der Uebngen zu behindern. Wer sich mit unzeitiger
Empfindlichkeit über Rückenschmerzen beschwert, von dem spottet man: der Lenz
(Faullenzer) will ihm aufsitzen; ja man nöthigt ihn nicht selten unbarmherzig,
sich auf den Bauch zu legen und nach der Musik des Geigers von einem aus
dem Geschnitte sich auf dem Rücken herumtanzen zu lassen.

Fährt etwa in der brennenden Mittagshitze ein kühlender Luftzug über
das heiße Feld hin, dann vergißt wohl selten Einer oder der Andere seine
Nachbarn zu erinnern: "Das ist den arme Lüde ihres Trinkwili". Hat mau
ein Fuder geladen und der Bauer ist anwesend und macht nicht Miene, den
sonst üblichen Trunk zu verabreichen, so hält ihm irgendein kecker Geselle einen
Korb hin mit der Bitte, den Durstigen darin Wasser zu schöpfen. -- Vorüber¬
gehende grüßen mit der stehenden Frage: "Haut's es?" Und ebenso unver¬
änderlich lautet die Erwiderung: "Haut's es numme, so wetzt me!" Das Wetzen
der Sensen und Sicheln ist stets nur einem aus dem Geschnitte. wie billig dem
Geübtesten, übertragen. Der lose Neid hat aber das Sprichwort ersonnen:
"Wer gut wetzen kann, kann auch gut lügen" und umgekehrt; er meint. Sichel-
wetzen und Zungenwetzen liegen nicht eben weit auseinander. Der kurzweilige
Text, mit dem man die monotone Cadenz des Sichelschalles zu begleiten pflegt,
heißt: "Weeze me's nit, so Haut's es nit." Seltsam ist die noch überall ver-


Grmzboten III. 18os. 75

ersten Körner in die Luft geworfen, so wirft jetzt auch der Schnitter die drei
ersten Aehren in das Getreidefeld hinein, um die „Kornmntter" zu befriedigen
und das Getreide ergiebiger zu machen; und die zwei ersten Handvoll Halme,
welche zur Seite gelegt werden müssen, werden kreuzweise übereinander gelegt.
Wer nun nicht nach dem Takt schneiden, d. h. Schritt halten kann, dem wird
ein „Fulacher" (Faulacker) bereitet; die Voranschreitenden trennen ihn nämlich
von ihrer Gemeinschaft ab, indem sie in einiger Entfernung von ihm die durch
sein Zurückbleiben unterbrochene Linie wieder schließen und so den „Faulen"
auf einem isolirten Stück, einer kleinen Getreideinscl, zurücklassen. Das nennen
sie dann das Zipfelschneiden. Der Geiger spielt dabei seine stehende altmodische
Zipfelweise und singt ein Spottlied dazu, indeß das ganze Beschnitte den
Armen höhnt: „Ab, Acckerlein ab. so kommt der faule Schnitter drah!" Und
zum Spott gesellt sich oft noch der Schaden: der faule Schnitter, dem vorzugs¬
weise der appellative Schimpfname Hciisch beigelegt wird, muß zur Buße die
ganze durstige Gesellschaft mit Wein und Käse tractiren. Bisweilen geschieht
es aber auch umgekehrt, daß eiwa ein besonders flinker Flügelmann den Andern
vorausschncidet, unvermerkt quer durch das Feld fährt und alsdann zur andern
Seite plötzlich die Sichel schwingend auftaucht mit der jubelnden Genugthuung,
den Ueberraschten allesammt ein „Aeckerlein" abgeschnitten zu haben. — Der
einzelne Schnitter soll aber auch nicht — etwa mit der beliebten Formel: „Die
Katze will mir auf den Buckel springen" — die Mühen der Arbeit beklagen,
um nicht Muth und Kräfte der Uebngen zu behindern. Wer sich mit unzeitiger
Empfindlichkeit über Rückenschmerzen beschwert, von dem spottet man: der Lenz
(Faullenzer) will ihm aufsitzen; ja man nöthigt ihn nicht selten unbarmherzig,
sich auf den Bauch zu legen und nach der Musik des Geigers von einem aus
dem Geschnitte sich auf dem Rücken herumtanzen zu lassen.

Fährt etwa in der brennenden Mittagshitze ein kühlender Luftzug über
das heiße Feld hin, dann vergißt wohl selten Einer oder der Andere seine
Nachbarn zu erinnern: „Das ist den arme Lüde ihres Trinkwili". Hat mau
ein Fuder geladen und der Bauer ist anwesend und macht nicht Miene, den
sonst üblichen Trunk zu verabreichen, so hält ihm irgendein kecker Geselle einen
Korb hin mit der Bitte, den Durstigen darin Wasser zu schöpfen. — Vorüber¬
gehende grüßen mit der stehenden Frage: „Haut's es?" Und ebenso unver¬
änderlich lautet die Erwiderung: „Haut's es numme, so wetzt me!" Das Wetzen
der Sensen und Sicheln ist stets nur einem aus dem Geschnitte. wie billig dem
Geübtesten, übertragen. Der lose Neid hat aber das Sprichwort ersonnen:
„Wer gut wetzen kann, kann auch gut lügen" und umgekehrt; er meint. Sichel-
wetzen und Zungenwetzen liegen nicht eben weit auseinander. Der kurzweilige
Text, mit dem man die monotone Cadenz des Sichelschalles zu begleiten pflegt,
heißt: „Weeze me's nit, so Haut's es nit." Seltsam ist die noch überall ver-


Grmzboten III. 18os. 75
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[0585] ersten Körner in die Luft geworfen, so wirft jetzt auch der Schnitter die drei ersten Aehren in das Getreidefeld hinein, um die „Kornmntter" zu befriedigen und das Getreide ergiebiger zu machen; und die zwei ersten Handvoll Halme, welche zur Seite gelegt werden müssen, werden kreuzweise übereinander gelegt. Wer nun nicht nach dem Takt schneiden, d. h. Schritt halten kann, dem wird ein „Fulacher" (Faulacker) bereitet; die Voranschreitenden trennen ihn nämlich von ihrer Gemeinschaft ab, indem sie in einiger Entfernung von ihm die durch sein Zurückbleiben unterbrochene Linie wieder schließen und so den „Faulen" auf einem isolirten Stück, einer kleinen Getreideinscl, zurücklassen. Das nennen sie dann das Zipfelschneiden. Der Geiger spielt dabei seine stehende altmodische Zipfelweise und singt ein Spottlied dazu, indeß das ganze Beschnitte den Armen höhnt: „Ab, Acckerlein ab. so kommt der faule Schnitter drah!" Und zum Spott gesellt sich oft noch der Schaden: der faule Schnitter, dem vorzugs¬ weise der appellative Schimpfname Hciisch beigelegt wird, muß zur Buße die ganze durstige Gesellschaft mit Wein und Käse tractiren. Bisweilen geschieht es aber auch umgekehrt, daß eiwa ein besonders flinker Flügelmann den Andern vorausschncidet, unvermerkt quer durch das Feld fährt und alsdann zur andern Seite plötzlich die Sichel schwingend auftaucht mit der jubelnden Genugthuung, den Ueberraschten allesammt ein „Aeckerlein" abgeschnitten zu haben. — Der einzelne Schnitter soll aber auch nicht — etwa mit der beliebten Formel: „Die Katze will mir auf den Buckel springen" — die Mühen der Arbeit beklagen, um nicht Muth und Kräfte der Uebngen zu behindern. Wer sich mit unzeitiger Empfindlichkeit über Rückenschmerzen beschwert, von dem spottet man: der Lenz (Faullenzer) will ihm aufsitzen; ja man nöthigt ihn nicht selten unbarmherzig, sich auf den Bauch zu legen und nach der Musik des Geigers von einem aus dem Geschnitte sich auf dem Rücken herumtanzen zu lassen. Fährt etwa in der brennenden Mittagshitze ein kühlender Luftzug über das heiße Feld hin, dann vergißt wohl selten Einer oder der Andere seine Nachbarn zu erinnern: „Das ist den arme Lüde ihres Trinkwili". Hat mau ein Fuder geladen und der Bauer ist anwesend und macht nicht Miene, den sonst üblichen Trunk zu verabreichen, so hält ihm irgendein kecker Geselle einen Korb hin mit der Bitte, den Durstigen darin Wasser zu schöpfen. — Vorüber¬ gehende grüßen mit der stehenden Frage: „Haut's es?" Und ebenso unver¬ änderlich lautet die Erwiderung: „Haut's es numme, so wetzt me!" Das Wetzen der Sensen und Sicheln ist stets nur einem aus dem Geschnitte. wie billig dem Geübtesten, übertragen. Der lose Neid hat aber das Sprichwort ersonnen: „Wer gut wetzen kann, kann auch gut lügen" und umgekehrt; er meint. Sichel- wetzen und Zungenwetzen liegen nicht eben weit auseinander. Der kurzweilige Text, mit dem man die monotone Cadenz des Sichelschalles zu begleiten pflegt, heißt: „Weeze me's nit, so Haut's es nit." Seltsam ist die noch überall ver- Grmzboten III. 18os. 75

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/585>, abgerufen am 15.01.2025.