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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Niezgoda über ihr Verfahren zur Rede. Statt aller Antwort hieb Niezgoda
auf ihn los; der ganze Haufe stimmte damit überein und prügelte den Ge¬
sandten zur Thür hinaus, wobei letzterer mein Portefeuille, das er irgendwie
erlangt haben mußte, auf dem Tisch zurückließ.

Indessen nahte sich mir ein Mensch, von dem ich nach seinem Bedienten¬
rock und Wappenknöpfen muthmaßte, daß er ein Lakai des Grasen sei, und
redete mich in gebrochenem Deutsch an, da man inzwischen aus den mir ge¬
raubten Papieren ersehen haben mußte, daß ich kein Pole, sondern ein Deutscher
war. Mit .meinem geschwollenen Gesicht und der noch heftig schmerzenden
Kehle konnte ich nur wenige und unzusammenhängende Worte vorbringen, wo¬
rauf der Lakai, der mit den Bauern unter einer Decke zu stecken schien, das
Portefeuille aufmachte und mit Kennermiene meinen Paß und die Handels¬
papiere besah. Offenbar konnte er aber nicht klug daraus werden, und ich
zeigte mit dem Finger, wobei ich mich aber, da meine Arme gebunden waren,
seitwärts an den Tisch stellen mußte, auf die in dem sich Paß befindenden Vlsa-
stempel.

"Die können falsch sein," riefen die Bauern, "denn Du bist sicherlich ein
Berather."

Darüber entstand ein verworrenes Hin- und Hergerathe; man fragte mich,
ob die Papiere alles wären, und dergleichen mehr. Die Bauern entzweiten
sich bei ihrem Examen selbst untereinander, Niezgoda fing Händel an und wurde
zu meiner heimlichen Genugthuung selbst tüchtig durchgeprügelt, gebunden und
hinaufgebracht.

Wie ich nun schon hoffte, daß sich alles zum Bessern wenden würde und
auch Will mich eine Weile verlassen hatte, kam ein neues Leiden über mich.
Es sammelte sich ein Haufen Weiber und junger Bengel um mich Gefesselten
und amüsirte sich mit dem Barte, indem sie fragten: "Bist du ein Jude? Bist
du ein Edelmann?" worauf andere erwiderten: "Nein, das ist ein Edelmann.
Wir werden jetzt nicht mehr für Herren arbeiten; wir sind jetzt selbst Herren."
Die Bursche schlugen mir mit Gerten ins Gesicht, was mir indessen lange nicht
so schmerzhaft war. als das Stechen und Bohren mit spitzen Stöcken in den
Leib und die Beine, wobei die Bestien riefen: "Na, thut das weh?" Meinen
Bart und einen Theil der Gestchtshaut rissen mir die Weiber flockenweise ab.

Während dieser Marter, von der man sich kaum einen Begriff machen
kann, erschien zu meinem Entsetzen wiederum der nichtswürdige Niezgoda, der
inzwischen sein Ansehn wieder hergestellt hatte, an der Spitze eines Haufens,
der den winselnden Baruch Schlajen hinter dem Ofen, wo er sich versteckt hatte,
hervorschleppte und schritt an mir vorbei in eine kleine Nebenstube des Krügers,
wohin er mich durch einen Bauer vor Gericht entbieten ließ. Ich konnte
nur mit Mühe die wenigen Schritte gehen und stellte mich vor ihn, an einen


Niezgoda über ihr Verfahren zur Rede. Statt aller Antwort hieb Niezgoda
auf ihn los; der ganze Haufe stimmte damit überein und prügelte den Ge¬
sandten zur Thür hinaus, wobei letzterer mein Portefeuille, das er irgendwie
erlangt haben mußte, auf dem Tisch zurückließ.

Indessen nahte sich mir ein Mensch, von dem ich nach seinem Bedienten¬
rock und Wappenknöpfen muthmaßte, daß er ein Lakai des Grasen sei, und
redete mich in gebrochenem Deutsch an, da man inzwischen aus den mir ge¬
raubten Papieren ersehen haben mußte, daß ich kein Pole, sondern ein Deutscher
war. Mit .meinem geschwollenen Gesicht und der noch heftig schmerzenden
Kehle konnte ich nur wenige und unzusammenhängende Worte vorbringen, wo¬
rauf der Lakai, der mit den Bauern unter einer Decke zu stecken schien, das
Portefeuille aufmachte und mit Kennermiene meinen Paß und die Handels¬
papiere besah. Offenbar konnte er aber nicht klug daraus werden, und ich
zeigte mit dem Finger, wobei ich mich aber, da meine Arme gebunden waren,
seitwärts an den Tisch stellen mußte, auf die in dem sich Paß befindenden Vlsa-
stempel.

„Die können falsch sein," riefen die Bauern, „denn Du bist sicherlich ein
Berather."

Darüber entstand ein verworrenes Hin- und Hergerathe; man fragte mich,
ob die Papiere alles wären, und dergleichen mehr. Die Bauern entzweiten
sich bei ihrem Examen selbst untereinander, Niezgoda fing Händel an und wurde
zu meiner heimlichen Genugthuung selbst tüchtig durchgeprügelt, gebunden und
hinaufgebracht.

Wie ich nun schon hoffte, daß sich alles zum Bessern wenden würde und
auch Will mich eine Weile verlassen hatte, kam ein neues Leiden über mich.
Es sammelte sich ein Haufen Weiber und junger Bengel um mich Gefesselten
und amüsirte sich mit dem Barte, indem sie fragten: „Bist du ein Jude? Bist
du ein Edelmann?" worauf andere erwiderten: „Nein, das ist ein Edelmann.
Wir werden jetzt nicht mehr für Herren arbeiten; wir sind jetzt selbst Herren."
Die Bursche schlugen mir mit Gerten ins Gesicht, was mir indessen lange nicht
so schmerzhaft war. als das Stechen und Bohren mit spitzen Stöcken in den
Leib und die Beine, wobei die Bestien riefen: „Na, thut das weh?" Meinen
Bart und einen Theil der Gestchtshaut rissen mir die Weiber flockenweise ab.

Während dieser Marter, von der man sich kaum einen Begriff machen
kann, erschien zu meinem Entsetzen wiederum der nichtswürdige Niezgoda, der
inzwischen sein Ansehn wieder hergestellt hatte, an der Spitze eines Haufens,
der den winselnden Baruch Schlajen hinter dem Ofen, wo er sich versteckt hatte,
hervorschleppte und schritt an mir vorbei in eine kleine Nebenstube des Krügers,
wohin er mich durch einen Bauer vor Gericht entbieten ließ. Ich konnte
nur mit Mühe die wenigen Schritte gehen und stellte mich vor ihn, an einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/55>, abgerufen am 15.01.2025.