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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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zu stechen, welche in der Schleswig-holsteinischen Agitation gegen Preußen keinerlei
unberechtigte, antinationale Elemente wahrnehmen wollen. Und zwar wird die
Parteileitung in Zukunft noch mehr in den Vordergrund treten als bisher, da
das "herzogliche" Cabinet um seiner selbst willen mehr zurückzuhalten genöthigt
ist. Mit ihrem rechten Flügel, dem Altonaer Jessen, klammert sich diese Gesell¬
schaft noch an den Nationalverein -- mit dem linken reicht sie den süddeutschen
Radicalen die Hand, zumal den schwäbischen. Würtemberg, wiewohl überwiegend
Protestantisch, hat dem Anschluß an Preußen von jeher am leidenschaftlichsten
widerstrebt. Aber bis vor etwa zwei Jahren folgte das Volk einigen gereiften
und verständigen Führern, deren weiterer Blick keine allzu naiven Regungen des
Sondergeistes aufkommen ließ. Ludwig Seegers Tod, Adolph Seegers unheil¬
bare und jetzt ebenfalls in frühen Tod ausgegangene Krankheit, der Uebrigen
Schwerfälligkeit hat eine Lücke geschaffen, in welche sich zwei Flüchtlinge mit
Emigrantenpolitik, Karl Mayer und Ludwig Pfau, und ein bisher verdunkeltes
jüngeres Licht, Oesterlen, alsbald einzudrängen verstanden haben. Dies ist die
durch den Letztgenannten in Darmstadt repräsentirte Beobachterpartei, gegen
welche Hölder und die andern Gesinnungsgenossen der Gebrüder Seeger einen
bis jetzt ziemlich unglücklichen Kampf zu bestehen haben. Ehe da nicht die neue
Generation neue Talente und Charaktere emporträgt, wird man sich daran ge¬
wöhnen müssen, Würtemberg als die Heimath der politischen Schwabenstreiche
anzusehen.

Die darmstädter Partei hat noch keine deutlich erkennbare Farbe aufge¬
pflanzt. Sie schillert noch trotz einer Eckardtschen Rede. Daß sie, als die
"Männer der That" in sich schließend, statt des Programms gleich mit einer
Action hervortreten werde, können wir dem schaulustigen Publikum leider nicht
in Aussicht stellen. Hinsichtlich des Programms aber stehen die Herren vor
einem Scheidewege, der ihre Herkulesrolle fast in die des "Peter in der Fremde"
zu verkehren droht. Die Würtemverger nämlich scheinen ihre Sehnsucht nach
der deutschen Föderativrepublik vorläufig noch bezwingen und als Männer, die
in ihrem Lande Einfluß, ja sogar ein paar Kammersitze innehaben, ein Ziel
aufstecken zu wollen, welchem man sich auf parlamentarischem Wege nähern
kann. So wenig ihnen Herr v. Varnbüler auch zu Willen ist, so sehr sie im
Grunde die Dynastien sammt ihrem aristokratischen Schweif hassen, ihr Marsch
geht einstweilen doch auf die Trias los. Es ist aus innern Gründen wahr¬
scheinlich, daß der ähnlich situirte Herr v. Neergaard ihnen dazu die Hand reicht.
Anders aber die Herren Eckardt und Büchner, die. da sie zu Hause völlig in
der Luft stehen, am liebsten auch auf Luftschlösser den Flug ihrer Gedanken
richten. In ihnen werden wir die Verfechter der Idee der deutschen Föderativ¬
republik verehren dürfen.


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zu stechen, welche in der Schleswig-holsteinischen Agitation gegen Preußen keinerlei
unberechtigte, antinationale Elemente wahrnehmen wollen. Und zwar wird die
Parteileitung in Zukunft noch mehr in den Vordergrund treten als bisher, da
das „herzogliche" Cabinet um seiner selbst willen mehr zurückzuhalten genöthigt
ist. Mit ihrem rechten Flügel, dem Altonaer Jessen, klammert sich diese Gesell¬
schaft noch an den Nationalverein — mit dem linken reicht sie den süddeutschen
Radicalen die Hand, zumal den schwäbischen. Würtemberg, wiewohl überwiegend
Protestantisch, hat dem Anschluß an Preußen von jeher am leidenschaftlichsten
widerstrebt. Aber bis vor etwa zwei Jahren folgte das Volk einigen gereiften
und verständigen Führern, deren weiterer Blick keine allzu naiven Regungen des
Sondergeistes aufkommen ließ. Ludwig Seegers Tod, Adolph Seegers unheil¬
bare und jetzt ebenfalls in frühen Tod ausgegangene Krankheit, der Uebrigen
Schwerfälligkeit hat eine Lücke geschaffen, in welche sich zwei Flüchtlinge mit
Emigrantenpolitik, Karl Mayer und Ludwig Pfau, und ein bisher verdunkeltes
jüngeres Licht, Oesterlen, alsbald einzudrängen verstanden haben. Dies ist die
durch den Letztgenannten in Darmstadt repräsentirte Beobachterpartei, gegen
welche Hölder und die andern Gesinnungsgenossen der Gebrüder Seeger einen
bis jetzt ziemlich unglücklichen Kampf zu bestehen haben. Ehe da nicht die neue
Generation neue Talente und Charaktere emporträgt, wird man sich daran ge¬
wöhnen müssen, Würtemberg als die Heimath der politischen Schwabenstreiche
anzusehen.

Die darmstädter Partei hat noch keine deutlich erkennbare Farbe aufge¬
pflanzt. Sie schillert noch trotz einer Eckardtschen Rede. Daß sie, als die
„Männer der That" in sich schließend, statt des Programms gleich mit einer
Action hervortreten werde, können wir dem schaulustigen Publikum leider nicht
in Aussicht stellen. Hinsichtlich des Programms aber stehen die Herren vor
einem Scheidewege, der ihre Herkulesrolle fast in die des „Peter in der Fremde"
zu verkehren droht. Die Würtemverger nämlich scheinen ihre Sehnsucht nach
der deutschen Föderativrepublik vorläufig noch bezwingen und als Männer, die
in ihrem Lande Einfluß, ja sogar ein paar Kammersitze innehaben, ein Ziel
aufstecken zu wollen, welchem man sich auf parlamentarischem Wege nähern
kann. So wenig ihnen Herr v. Varnbüler auch zu Willen ist, so sehr sie im
Grunde die Dynastien sammt ihrem aristokratischen Schweif hassen, ihr Marsch
geht einstweilen doch auf die Trias los. Es ist aus innern Gründen wahr¬
scheinlich, daß der ähnlich situirte Herr v. Neergaard ihnen dazu die Hand reicht.
Anders aber die Herren Eckardt und Büchner, die. da sie zu Hause völlig in
der Luft stehen, am liebsten auch auf Luftschlösser den Flug ihrer Gedanken
richten. In ihnen werden wir die Verfechter der Idee der deutschen Föderativ¬
republik verehren dürfen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/545>, abgerufen am 15.01.2025.