Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.hielt und nur ein paar Mal zu handgreiflichen Conflicten führte, die bei solchen Am 4. September war der Kampf an den Wahlurnen, welche für alle Die Wahlen der Wahlmänner zu den 11 Kreisversammlungen sind in Die protestantischen Gemeinden haben durchschnittlich im Sinne des Fort- hielt und nur ein paar Mal zu handgreiflichen Conflicten führte, die bei solchen Am 4. September war der Kampf an den Wahlurnen, welche für alle Die Wahlen der Wahlmänner zu den 11 Kreisversammlungen sind in Die protestantischen Gemeinden haben durchschnittlich im Sinne des Fort- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0542" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283895"/> <p xml:id="ID_1562" prev="#ID_1561"> hielt und nur ein paar Mal zu handgreiflichen Conflicten führte, die bei solchen<lb/> Anlässen, wo derbe und aufgeregte Landbewohner feindselig aufeinanderstoßen,<lb/> nun einmal unvermeidlich sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_1563"> Am 4. September war der Kampf an den Wahlurnen, welche für alle<lb/> selbständigen Männer, die über 2ö Jahre alt und seit einem Jahre im Bezirk<lb/> ansässig waren, überall von Morgens 8 bis 12 Uhr offen standen, ein überaus<lb/> lebhafter. Nicht nur in den größeren und kleineren Städten, auch auf dem<lb/> platten Lande traten oft mehr als zwei Drittel der Wahlberechtigten an die<lb/> Urnen. So lange die Bevölkerung Badens an der Verwaltung der öffentlichen<lb/> Angelegenheiten Antheil hat, also seit beinahe 50 Jahren, war eine solche Be¬<lb/> theiligung noch nicht erlebt worden. Und dies erfreuliche Resultat hatte man<lb/> lediglich den Ultramontanen zu verdanken. Ohne ihre aufs Aeußerste getriebene<lb/> Agitation hätte vielleicht nicht die Hälfte der Männer, die am 4. September<lb/> wählten, dies politische Recht ausgeübt. Der drohenden Gefahr einer Reaction<lb/> gegenüber, welche freilich ein ultramontaner Ausfall dieser Wahlen nicht un¬<lb/> mittelbar gebracht, aber doch möglicherweise eingeleitet hätte, betrachtete jeder<lb/> urtheilsfähige Bürger das ihm zustehende Recht zu wählen als eine unerläßliche<lb/> Pflicht. Und das ist gewiß ein Fortschritt im politischen Leben, den wir jetzt<lb/> den Nückschrittsmännern verdanken, wenn sich die Ueberzeugung immer mehr<lb/> und mehr Bahn bricht, daß eigentlich jedes von dem Volke erworbene politische<lb/> Recht auch die Pflicht es auszuüben für den Patrioten involvirt, und daß<lb/> das Unterlassen der Ausübung geradezu eine Pflichtverletzung ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1564"> Die Wahlen der Wahlmänner zu den 11 Kreisversammlungen sind in<lb/> überwiegender Mehrzahl liberal ausgefallen. In den größeren Städten sind<lb/> die Klerikalen mit einer ganz gewaltigen Majorität geschlagen worden, vor allem<lb/> bedeutungsvoll in Karlsruhe selbst, wo die ultramontan-conservative Partei die<lb/> Keckheit gehabt hatte, auf ihre Wahlliste fast den ganzen Hofdienst des Gro߬<lb/> herzogs und eine Menge hoher Beamten zu setzen — eine wahre Proscriptions-<lb/> liste. wie uns ein hochgestellter Mann gesagt hat, unzuverlässiger und zweifel¬<lb/> hafter Anhänger des herrschenden Systems. Auf dem platten Lande dagegen<lb/> hat die ultramontane Partei einige Wahlstege zu verzeichnen, hauptsächlich in<lb/> ganz kleinen, vom Verkehr entlegenen Dörfern, dann in solchen Ortschaften, in<lb/> denen noch heute die finstern Wirkungen des alten bischöflichen Regiments nicht<lb/> vernichtet sind, selbst in ein paar kleinen Städten, wo der Einfluß der Priester<lb/> stärker war als das gesunde Urtheil der Bürger. In einem solchen Städtchen<lb/> hat es sich zugetragen, daß, nachdem der liberale Ausfall der Wahlen im ganzen<lb/> Lande bekannt geworden war, die Erwählten der Klerikalen sich plötzlich ihrer<lb/> Patrone schämten und es für eine Beleidigung erklärten, wenn man sie ultra¬<lb/> montan nenne.</p><lb/> <p xml:id="ID_1565" next="#ID_1566"> Die protestantischen Gemeinden haben durchschnittlich im Sinne des Fort-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0542]
hielt und nur ein paar Mal zu handgreiflichen Conflicten führte, die bei solchen
Anlässen, wo derbe und aufgeregte Landbewohner feindselig aufeinanderstoßen,
nun einmal unvermeidlich sind.
Am 4. September war der Kampf an den Wahlurnen, welche für alle
selbständigen Männer, die über 2ö Jahre alt und seit einem Jahre im Bezirk
ansässig waren, überall von Morgens 8 bis 12 Uhr offen standen, ein überaus
lebhafter. Nicht nur in den größeren und kleineren Städten, auch auf dem
platten Lande traten oft mehr als zwei Drittel der Wahlberechtigten an die
Urnen. So lange die Bevölkerung Badens an der Verwaltung der öffentlichen
Angelegenheiten Antheil hat, also seit beinahe 50 Jahren, war eine solche Be¬
theiligung noch nicht erlebt worden. Und dies erfreuliche Resultat hatte man
lediglich den Ultramontanen zu verdanken. Ohne ihre aufs Aeußerste getriebene
Agitation hätte vielleicht nicht die Hälfte der Männer, die am 4. September
wählten, dies politische Recht ausgeübt. Der drohenden Gefahr einer Reaction
gegenüber, welche freilich ein ultramontaner Ausfall dieser Wahlen nicht un¬
mittelbar gebracht, aber doch möglicherweise eingeleitet hätte, betrachtete jeder
urtheilsfähige Bürger das ihm zustehende Recht zu wählen als eine unerläßliche
Pflicht. Und das ist gewiß ein Fortschritt im politischen Leben, den wir jetzt
den Nückschrittsmännern verdanken, wenn sich die Ueberzeugung immer mehr
und mehr Bahn bricht, daß eigentlich jedes von dem Volke erworbene politische
Recht auch die Pflicht es auszuüben für den Patrioten involvirt, und daß
das Unterlassen der Ausübung geradezu eine Pflichtverletzung ist.
Die Wahlen der Wahlmänner zu den 11 Kreisversammlungen sind in
überwiegender Mehrzahl liberal ausgefallen. In den größeren Städten sind
die Klerikalen mit einer ganz gewaltigen Majorität geschlagen worden, vor allem
bedeutungsvoll in Karlsruhe selbst, wo die ultramontan-conservative Partei die
Keckheit gehabt hatte, auf ihre Wahlliste fast den ganzen Hofdienst des Gro߬
herzogs und eine Menge hoher Beamten zu setzen — eine wahre Proscriptions-
liste. wie uns ein hochgestellter Mann gesagt hat, unzuverlässiger und zweifel¬
hafter Anhänger des herrschenden Systems. Auf dem platten Lande dagegen
hat die ultramontane Partei einige Wahlstege zu verzeichnen, hauptsächlich in
ganz kleinen, vom Verkehr entlegenen Dörfern, dann in solchen Ortschaften, in
denen noch heute die finstern Wirkungen des alten bischöflichen Regiments nicht
vernichtet sind, selbst in ein paar kleinen Städten, wo der Einfluß der Priester
stärker war als das gesunde Urtheil der Bürger. In einem solchen Städtchen
hat es sich zugetragen, daß, nachdem der liberale Ausfall der Wahlen im ganzen
Lande bekannt geworden war, die Erwählten der Klerikalen sich plötzlich ihrer
Patrone schämten und es für eine Beleidigung erklärten, wenn man sie ultra¬
montan nenne.
Die protestantischen Gemeinden haben durchschnittlich im Sinne des Fort-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |