Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.gierung Verlegenheiten zu bereiten. Das Streben der biedern Religionswächter Vor allem die Art und Weise ihrer Agitation begann jeden halbwegs Das Parteitreiben der Ultramontanen entbehrte keineswegs einer vortreff- Es sind das seltene Fälle; denn das Kirchenregiment hat sich nicht gescheut, gierung Verlegenheiten zu bereiten. Das Streben der biedern Religionswächter Vor allem die Art und Weise ihrer Agitation begann jeden halbwegs Das Parteitreiben der Ultramontanen entbehrte keineswegs einer vortreff- Es sind das seltene Fälle; denn das Kirchenregiment hat sich nicht gescheut, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0540" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283893"/> <p xml:id="ID_1554" prev="#ID_1553"> gierung Verlegenheiten zu bereiten. Das Streben der biedern Religionswächter<lb/> schlug ins grade Gegentheil um.</p><lb/> <p xml:id="ID_1555"> Vor allem die Art und Weise ihrer Agitation begann jeden halbwegs<lb/> anständigen Mann anzuekeln. Dieses Appelliren an den souveränen Unver¬<lb/> stand in ihren Flugschriften, in den kleinen Zeitungen der Partei, die plötzlich<lb/> wie Pilze aus dem Boden schössen, in den Versammlungen, die sie landauf<lb/> und ab veranstalteten und überall durch dieselben paar großmäuliger Redner<lb/> haranguiren ließen, mußte jeden Mann von politischer Einsicht, auch wenn er<lb/> zu den Gegnern des jetzigen Ministeriums gehörte, mit Bedenken erfüllen.<lb/> Noch mehr die vollendete Verachtung der bestehenden Gesetze, die ihre Führer<lb/> allenthalben trotz einer zur Schau getragenen „Gesetzestreue" verriethen. Wahl-<lb/> besprechungen der Wahlberechtigten, erklärt das Vereinsgesetz, dürften nie als<lb/> Volksversammlungen gelten. Die Ultramontanen dachten diesen Satz zur<lb/> Wiederbelebung des Kasinos zu benutzen. Allenthalben beriefen sie Volks¬<lb/> versammlungen, aber nirgends beschränkten sie die Zahl der Theilnehmer auf die<lb/> Wahlberechtigten. Unter der Führung der Geistlichen zogen, wie einst zu den<lb/> Kasinos, so jetzt zu den Wahlversammlungen neben den Männern auch Frauen<lb/> und Kinder herbei. Statt Wahlbesprechungen zu Pflegen, wurde das Kreuz<lb/> gegen die Regierung gepredigt. Und wenn nun der Bezirksbeamte solche Ver¬<lb/> sammlungen auflöste, die eben zu Volksversammlungen geworden waren, ohne<lb/> die für solche vorgeschriebenen Bestimmungen erfüllt zu haben, dann schrie die<lb/> fromme Partei über den entsetzlichen, unerträglichen Druck, der auf den Katho¬<lb/> liken dieses Landes laste. „Unter Blittersdorff waren wir freier" — behauptete<lb/> mit kecker Stirne das Hauptblatt der Partei, der „Badische Beobachter". In<lb/> der That, es erinnern diese Klagen an den Schmerzensschrei, den die Demokraten<lb/> unter dem Ministerium Bett über die „schmachvolle Unterdrückung" des Volkes<lb/> ausstießen, in einer Zeit, in welcher der Mißbrauch der Presse und des Vereins¬<lb/> wesens den Höhepunkt erreicht hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1556"> Das Parteitreiben der Ultramontanen entbehrte keineswegs einer vortreff-<lb/> lichen und unermüdlichen Leitung. In Freiburg sitzt eine Art „geheimer Na¬<lb/> tionalregierung" (die Herren haben sich in den „Köln. Blättern" selbst so ge-<lb/> nannt), welche ihre Circulare, Anweisungen, Flugblätter und Wahlprogramme<lb/> im Lande ausstreut, die kleinen der Partei dienstbaren Localblättchen mit ge¬<lb/> sinnungstüchtigen Artikeln versieht und die Verbindung der ruäis mäiZestAque<lb/> moles der fanatisirten Landbevölkerung mit der Curie des Erzbischofs in allen<lb/> den Fällen erhält, in welchen die Kirchenbehörde sich nicht selber an die Spitz«<lb/> der Agitation stellen kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1557" next="#ID_1558"> Es sind das seltene Fälle; denn das Kirchenregiment hat sich nicht gescheut,<lb/> in diesem Kampfe ganz offen der Regierung den Fehdehandschuh hinzuwerfen.<lb/> Es erschien ein sog. Hirtenbrief des alten, persönlich sehr wohlwollenden, aber</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0540]
gierung Verlegenheiten zu bereiten. Das Streben der biedern Religionswächter
schlug ins grade Gegentheil um.
Vor allem die Art und Weise ihrer Agitation begann jeden halbwegs
anständigen Mann anzuekeln. Dieses Appelliren an den souveränen Unver¬
stand in ihren Flugschriften, in den kleinen Zeitungen der Partei, die plötzlich
wie Pilze aus dem Boden schössen, in den Versammlungen, die sie landauf
und ab veranstalteten und überall durch dieselben paar großmäuliger Redner
haranguiren ließen, mußte jeden Mann von politischer Einsicht, auch wenn er
zu den Gegnern des jetzigen Ministeriums gehörte, mit Bedenken erfüllen.
Noch mehr die vollendete Verachtung der bestehenden Gesetze, die ihre Führer
allenthalben trotz einer zur Schau getragenen „Gesetzestreue" verriethen. Wahl-
besprechungen der Wahlberechtigten, erklärt das Vereinsgesetz, dürften nie als
Volksversammlungen gelten. Die Ultramontanen dachten diesen Satz zur
Wiederbelebung des Kasinos zu benutzen. Allenthalben beriefen sie Volks¬
versammlungen, aber nirgends beschränkten sie die Zahl der Theilnehmer auf die
Wahlberechtigten. Unter der Führung der Geistlichen zogen, wie einst zu den
Kasinos, so jetzt zu den Wahlversammlungen neben den Männern auch Frauen
und Kinder herbei. Statt Wahlbesprechungen zu Pflegen, wurde das Kreuz
gegen die Regierung gepredigt. Und wenn nun der Bezirksbeamte solche Ver¬
sammlungen auflöste, die eben zu Volksversammlungen geworden waren, ohne
die für solche vorgeschriebenen Bestimmungen erfüllt zu haben, dann schrie die
fromme Partei über den entsetzlichen, unerträglichen Druck, der auf den Katho¬
liken dieses Landes laste. „Unter Blittersdorff waren wir freier" — behauptete
mit kecker Stirne das Hauptblatt der Partei, der „Badische Beobachter". In
der That, es erinnern diese Klagen an den Schmerzensschrei, den die Demokraten
unter dem Ministerium Bett über die „schmachvolle Unterdrückung" des Volkes
ausstießen, in einer Zeit, in welcher der Mißbrauch der Presse und des Vereins¬
wesens den Höhepunkt erreicht hatte.
Das Parteitreiben der Ultramontanen entbehrte keineswegs einer vortreff-
lichen und unermüdlichen Leitung. In Freiburg sitzt eine Art „geheimer Na¬
tionalregierung" (die Herren haben sich in den „Köln. Blättern" selbst so ge-
nannt), welche ihre Circulare, Anweisungen, Flugblätter und Wahlprogramme
im Lande ausstreut, die kleinen der Partei dienstbaren Localblättchen mit ge¬
sinnungstüchtigen Artikeln versieht und die Verbindung der ruäis mäiZestAque
moles der fanatisirten Landbevölkerung mit der Curie des Erzbischofs in allen
den Fällen erhält, in welchen die Kirchenbehörde sich nicht selber an die Spitz«
der Agitation stellen kann.
Es sind das seltene Fälle; denn das Kirchenregiment hat sich nicht gescheut,
in diesem Kampfe ganz offen der Regierung den Fehdehandschuh hinzuwerfen.
Es erschien ein sog. Hirtenbrief des alten, persönlich sehr wohlwollenden, aber
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