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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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bei den UrWahlen stattfindet) gewählt werden. Als die hauptsächlichsten Be¬
rathungsgegenstände der Kreisversammlungen werden in dem Verwaltungsge¬
setze bezeichnet: Anlegung von Straßen, Brücken und Kanälen, Errichtung von
Sparkassen, Kreisschulanstalten, Waisen-, Armen- und Krankenhäusern, Auf¬
nahme von Anlehen u. s. w.

Die ersten UrWahlen zu diesen, wie wir sahen, lediglich mit Verwaltungs-
angelcgenheiten betrauten Versammlungen, die am 4. September gleichzeitig für
das ganze Land stattfanden, benutzten also die Ultramontanen, um ihre Agi¬
tation neu zu beleben, welche nach dem völligen Mißlingen der Kafinobcwegung
einige Monate lang geschlummert hatte.

Sie war vorbereitet worden durch Flugblätter, welche Auslösung der
Kammern und Abänderung des ziemlich conservativen Wahlgesetzes von 1818
forderten. Als der Wahltermin heranrückte, folgten diesen wenig bemerkten
Tirailleuren in Eilmärschen die geschlossenen Colonnen und das schwere Geschütz.
Keine Vorspiegelung war dieser Partei zu verworfen, um nicht aus dem wvhl-
assortirten Arsenal hervorgeholt und auf den Wahlplatz geschleudert zu werden.
Zunächst wehten plötzlich wieder auf allen Straßen die Fahnen einer drohenden
Neligionsgefahr. Um diese wahrscheinlich zu machen, wurde die Kompetenz
der Kreisversammlungen betont, Kreisschulanstalten zu errichten, natürlich aber
verschwiegen, daß darunter schlechterdings keine Volksschulen, sondern höhere
Bürger- und Fortbildungsschulen allein verstanden sein können. Dann aber
ging die Verdrehung der Wahrheit noch einen Schritt weiter. Es wurde dem
Landvolk (denn nur auf dem platten Lande und in den kleinsten Städten ver¬
suchte die Partei diesmal ihr Glück) vorgespiegelt, daß die Kreisversammlungen
im Stande sein wenden, einen Wechsel im Regierungssystem und in der Ge¬
setzgebung des Landes herbeizuführen. Es wurde förmlich darauf hingearbeitet,
11 Gegenkammern in den 11 Kreisen des Landes zu organisiren, mit ihrer
Hilfe zunächst die Abgeordnetenkammer zu sprengen, dann das Ministerium zu
stürzen. Die Führer hätten bedenken müssen, daß bei der Stellung, welche die
Negierung nach dem Gesetze zu den Kreisversammlungen einnimmt, dies Resultat
absolut nicht erreichbar sei. Die Landescvmmissäre und die Krcishauptleute
Wohnen nämlich den Sitzungen bei und haben vor allem Sorge zu tragen,
daß die Kreisversammlungen ihre Kompetenz nirgends überschreiten. Also selbst
durchaus klerikale Kreisversammlungen hätten allerdings die Interessen ihrer
Kreise den Befehlen ihrer Parteihäupter opfern, aber auf die Regierung selbst
durchaus keinen Einfluß ausüben können. Aber diese Einsicht war entweder
uicht vorhanden, oder sie wurde -- was wahrscheinlicher ist -- gewaltsam
Zurückgedrängt, und es handelte sich eigentlich für die Ultramontanen, die nun
plötzlich unter der Maske der "conservativen Opposition" den Schauplatz be¬
traten, nur darum, Unruhen anzustiften, den Boden zu unterwühlen, der Re-


bei den UrWahlen stattfindet) gewählt werden. Als die hauptsächlichsten Be¬
rathungsgegenstände der Kreisversammlungen werden in dem Verwaltungsge¬
setze bezeichnet: Anlegung von Straßen, Brücken und Kanälen, Errichtung von
Sparkassen, Kreisschulanstalten, Waisen-, Armen- und Krankenhäusern, Auf¬
nahme von Anlehen u. s. w.

Die ersten UrWahlen zu diesen, wie wir sahen, lediglich mit Verwaltungs-
angelcgenheiten betrauten Versammlungen, die am 4. September gleichzeitig für
das ganze Land stattfanden, benutzten also die Ultramontanen, um ihre Agi¬
tation neu zu beleben, welche nach dem völligen Mißlingen der Kafinobcwegung
einige Monate lang geschlummert hatte.

Sie war vorbereitet worden durch Flugblätter, welche Auslösung der
Kammern und Abänderung des ziemlich conservativen Wahlgesetzes von 1818
forderten. Als der Wahltermin heranrückte, folgten diesen wenig bemerkten
Tirailleuren in Eilmärschen die geschlossenen Colonnen und das schwere Geschütz.
Keine Vorspiegelung war dieser Partei zu verworfen, um nicht aus dem wvhl-
assortirten Arsenal hervorgeholt und auf den Wahlplatz geschleudert zu werden.
Zunächst wehten plötzlich wieder auf allen Straßen die Fahnen einer drohenden
Neligionsgefahr. Um diese wahrscheinlich zu machen, wurde die Kompetenz
der Kreisversammlungen betont, Kreisschulanstalten zu errichten, natürlich aber
verschwiegen, daß darunter schlechterdings keine Volksschulen, sondern höhere
Bürger- und Fortbildungsschulen allein verstanden sein können. Dann aber
ging die Verdrehung der Wahrheit noch einen Schritt weiter. Es wurde dem
Landvolk (denn nur auf dem platten Lande und in den kleinsten Städten ver¬
suchte die Partei diesmal ihr Glück) vorgespiegelt, daß die Kreisversammlungen
im Stande sein wenden, einen Wechsel im Regierungssystem und in der Ge¬
setzgebung des Landes herbeizuführen. Es wurde förmlich darauf hingearbeitet,
11 Gegenkammern in den 11 Kreisen des Landes zu organisiren, mit ihrer
Hilfe zunächst die Abgeordnetenkammer zu sprengen, dann das Ministerium zu
stürzen. Die Führer hätten bedenken müssen, daß bei der Stellung, welche die
Negierung nach dem Gesetze zu den Kreisversammlungen einnimmt, dies Resultat
absolut nicht erreichbar sei. Die Landescvmmissäre und die Krcishauptleute
Wohnen nämlich den Sitzungen bei und haben vor allem Sorge zu tragen,
daß die Kreisversammlungen ihre Kompetenz nirgends überschreiten. Also selbst
durchaus klerikale Kreisversammlungen hätten allerdings die Interessen ihrer
Kreise den Befehlen ihrer Parteihäupter opfern, aber auf die Regierung selbst
durchaus keinen Einfluß ausüben können. Aber diese Einsicht war entweder
uicht vorhanden, oder sie wurde — was wahrscheinlicher ist — gewaltsam
Zurückgedrängt, und es handelte sich eigentlich für die Ultramontanen, die nun
plötzlich unter der Maske der „conservativen Opposition" den Schauplatz be¬
traten, nur darum, Unruhen anzustiften, den Boden zu unterwühlen, der Re-


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[0539] bei den UrWahlen stattfindet) gewählt werden. Als die hauptsächlichsten Be¬ rathungsgegenstände der Kreisversammlungen werden in dem Verwaltungsge¬ setze bezeichnet: Anlegung von Straßen, Brücken und Kanälen, Errichtung von Sparkassen, Kreisschulanstalten, Waisen-, Armen- und Krankenhäusern, Auf¬ nahme von Anlehen u. s. w. Die ersten UrWahlen zu diesen, wie wir sahen, lediglich mit Verwaltungs- angelcgenheiten betrauten Versammlungen, die am 4. September gleichzeitig für das ganze Land stattfanden, benutzten also die Ultramontanen, um ihre Agi¬ tation neu zu beleben, welche nach dem völligen Mißlingen der Kafinobcwegung einige Monate lang geschlummert hatte. Sie war vorbereitet worden durch Flugblätter, welche Auslösung der Kammern und Abänderung des ziemlich conservativen Wahlgesetzes von 1818 forderten. Als der Wahltermin heranrückte, folgten diesen wenig bemerkten Tirailleuren in Eilmärschen die geschlossenen Colonnen und das schwere Geschütz. Keine Vorspiegelung war dieser Partei zu verworfen, um nicht aus dem wvhl- assortirten Arsenal hervorgeholt und auf den Wahlplatz geschleudert zu werden. Zunächst wehten plötzlich wieder auf allen Straßen die Fahnen einer drohenden Neligionsgefahr. Um diese wahrscheinlich zu machen, wurde die Kompetenz der Kreisversammlungen betont, Kreisschulanstalten zu errichten, natürlich aber verschwiegen, daß darunter schlechterdings keine Volksschulen, sondern höhere Bürger- und Fortbildungsschulen allein verstanden sein können. Dann aber ging die Verdrehung der Wahrheit noch einen Schritt weiter. Es wurde dem Landvolk (denn nur auf dem platten Lande und in den kleinsten Städten ver¬ suchte die Partei diesmal ihr Glück) vorgespiegelt, daß die Kreisversammlungen im Stande sein wenden, einen Wechsel im Regierungssystem und in der Ge¬ setzgebung des Landes herbeizuführen. Es wurde förmlich darauf hingearbeitet, 11 Gegenkammern in den 11 Kreisen des Landes zu organisiren, mit ihrer Hilfe zunächst die Abgeordnetenkammer zu sprengen, dann das Ministerium zu stürzen. Die Führer hätten bedenken müssen, daß bei der Stellung, welche die Negierung nach dem Gesetze zu den Kreisversammlungen einnimmt, dies Resultat absolut nicht erreichbar sei. Die Landescvmmissäre und die Krcishauptleute Wohnen nämlich den Sitzungen bei und haben vor allem Sorge zu tragen, daß die Kreisversammlungen ihre Kompetenz nirgends überschreiten. Also selbst durchaus klerikale Kreisversammlungen hätten allerdings die Interessen ihrer Kreise den Befehlen ihrer Parteihäupter opfern, aber auf die Regierung selbst durchaus keinen Einfluß ausüben können. Aber diese Einsicht war entweder uicht vorhanden, oder sie wurde — was wahrscheinlicher ist — gewaltsam Zurückgedrängt, und es handelte sich eigentlich für die Ultramontanen, die nun plötzlich unter der Maske der „conservativen Opposition" den Schauplatz be¬ traten, nur darum, Unruhen anzustiften, den Boden zu unterwühlen, der Re-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/539>, abgerufen am 15.01.2025.