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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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in rein bureaukratischen Sinne, mehr mit dem Gesicht nach oben, als nach
unten auf die Bedürfnisse des Landes gerichtet. Dazu kommt, daß neben der
öffentlichen Verwaltung des Landes eine geheime besteht, welche für das Land
im Obercommando des Gensdarmeriecorps, einer der Aufrechterhaltung der Lan¬
despolizei gewidmeten Mannschaft, für die Stadt Kassel in dem Polizeidirector
ihre Spitze hat. Diese geheime Verwaltung besteht in der politischen Ueber-
wachung des Landes, seiner Bevölkerung und der Beamten; der Bezirkscom¬
mandant der Gensdarmerie empfängt die Berichte von der Mannschaft und
versendet sie an den Obercommandanten in Kassel, der neben dem Polizeidirector
von Kassel unmittelbaren Vortrag bei dem Regenten hat.*)

Man sieht, daß mit dieser Organisation der Regent ein unmittelbares
Auge auf alles haben möchte und auf vieles auch wirklich hat. Wo irgend-
einmal ein Beamter die von ihm beanspruchten Prärogative hintangesetzt hat.
kommt es leicht zu seiner Kenntniß, und er rechnet unter seine Prärogative
obendrein noch vieles, was gesetzlich nicht dazu gehört und was ihm verant¬
wortliche Minister niemals zugestehen würden; die vielbesprochene Vachenfeldsche
Neitbcchnangelegenheit hat ein Beispiel davon geliefert. Baupläne unterliegen
allerdings, wie im ganzen Lande, so auch in Kassel der Genehmigung der be¬
treffenden Regierungsbehörde, der Regent aber behält sich in Kassel die Schlu߬
entscheidung vor, woraus, da ihm das Ministerium nicht kräftig entgegentritt
und er sich nicht rasch zu entscheiden pflegt, die größten Nachtheile für den
Privatmann erwachsen. Man hat sich daher des Ausdrucks bedient, in Kassel
Würden die Häuser oft in die Höhe gestohlen, d. h. die Häuser fertig gebaut,
ehe die Genehmigung des Bauplanes eingetroffen sei; es sind aber auch schon
Beispiele vorgekommen, wo angefangene Bauten gehemmt und fertige wieder
niedergerissen wurden. Ein wesentliches Prärogativ ist in den Augen des
Landesherrn auch noch die Entscheidung über Aufnahme in den Unterthanen¬
verband, und das hat in Kurhessen schon sehr häusig zum Gegentheil von Frei¬
zügigkeit geführt. In Preußen geschieht z. B. die Aufnahme in den Unterthanen-
verband durch Aufnahme Seitens der Gemeinde und Bestätigung der Aufnahme
durch die Bezirksregierung. Dafür daß der neue Unterthan dem Könige und
dem Gesetze gehorsam bleibt, wird dann schon gesorgt; in Kurhessen ist Mi߬
trauen und Besorgniß größer. Ferner ist auch die Genehmigung der Feststellung
oder Abänderung der Eisenbahnfahrpläne aus den Händen der betreffenden
technischen Behörde in die Prärogative des Landesherrn übergegangen, wovon



-) Die Ausweisung des zum Deutschkatholicismus übergetretenen Pfarrers Biron aus
Hanau erfolgte seiner Zeit auf Gensdarmericcommandobericht über dem Manne in Hanau
"ach Rückkehr aus dem Gefängniß zu Mainz bereitete Ovationen und daraus erwachsende
Volksbewegung. Das Schlimme ist. daß sich die öffentliche Verwaltung, wie auch hier ge-
Mhen. der geheimen fügt.
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in rein bureaukratischen Sinne, mehr mit dem Gesicht nach oben, als nach
unten auf die Bedürfnisse des Landes gerichtet. Dazu kommt, daß neben der
öffentlichen Verwaltung des Landes eine geheime besteht, welche für das Land
im Obercommando des Gensdarmeriecorps, einer der Aufrechterhaltung der Lan¬
despolizei gewidmeten Mannschaft, für die Stadt Kassel in dem Polizeidirector
ihre Spitze hat. Diese geheime Verwaltung besteht in der politischen Ueber-
wachung des Landes, seiner Bevölkerung und der Beamten; der Bezirkscom¬
mandant der Gensdarmerie empfängt die Berichte von der Mannschaft und
versendet sie an den Obercommandanten in Kassel, der neben dem Polizeidirector
von Kassel unmittelbaren Vortrag bei dem Regenten hat.*)

Man sieht, daß mit dieser Organisation der Regent ein unmittelbares
Auge auf alles haben möchte und auf vieles auch wirklich hat. Wo irgend-
einmal ein Beamter die von ihm beanspruchten Prärogative hintangesetzt hat.
kommt es leicht zu seiner Kenntniß, und er rechnet unter seine Prärogative
obendrein noch vieles, was gesetzlich nicht dazu gehört und was ihm verant¬
wortliche Minister niemals zugestehen würden; die vielbesprochene Vachenfeldsche
Neitbcchnangelegenheit hat ein Beispiel davon geliefert. Baupläne unterliegen
allerdings, wie im ganzen Lande, so auch in Kassel der Genehmigung der be¬
treffenden Regierungsbehörde, der Regent aber behält sich in Kassel die Schlu߬
entscheidung vor, woraus, da ihm das Ministerium nicht kräftig entgegentritt
und er sich nicht rasch zu entscheiden pflegt, die größten Nachtheile für den
Privatmann erwachsen. Man hat sich daher des Ausdrucks bedient, in Kassel
Würden die Häuser oft in die Höhe gestohlen, d. h. die Häuser fertig gebaut,
ehe die Genehmigung des Bauplanes eingetroffen sei; es sind aber auch schon
Beispiele vorgekommen, wo angefangene Bauten gehemmt und fertige wieder
niedergerissen wurden. Ein wesentliches Prärogativ ist in den Augen des
Landesherrn auch noch die Entscheidung über Aufnahme in den Unterthanen¬
verband, und das hat in Kurhessen schon sehr häusig zum Gegentheil von Frei¬
zügigkeit geführt. In Preußen geschieht z. B. die Aufnahme in den Unterthanen-
verband durch Aufnahme Seitens der Gemeinde und Bestätigung der Aufnahme
durch die Bezirksregierung. Dafür daß der neue Unterthan dem Könige und
dem Gesetze gehorsam bleibt, wird dann schon gesorgt; in Kurhessen ist Mi߬
trauen und Besorgniß größer. Ferner ist auch die Genehmigung der Feststellung
oder Abänderung der Eisenbahnfahrpläne aus den Händen der betreffenden
technischen Behörde in die Prärogative des Landesherrn übergegangen, wovon



-) Die Ausweisung des zum Deutschkatholicismus übergetretenen Pfarrers Biron aus
Hanau erfolgte seiner Zeit auf Gensdarmericcommandobericht über dem Manne in Hanau
«ach Rückkehr aus dem Gefängniß zu Mainz bereitete Ovationen und daraus erwachsende
Volksbewegung. Das Schlimme ist. daß sich die öffentliche Verwaltung, wie auch hier ge-
Mhen. der geheimen fügt.
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[0529] in rein bureaukratischen Sinne, mehr mit dem Gesicht nach oben, als nach unten auf die Bedürfnisse des Landes gerichtet. Dazu kommt, daß neben der öffentlichen Verwaltung des Landes eine geheime besteht, welche für das Land im Obercommando des Gensdarmeriecorps, einer der Aufrechterhaltung der Lan¬ despolizei gewidmeten Mannschaft, für die Stadt Kassel in dem Polizeidirector ihre Spitze hat. Diese geheime Verwaltung besteht in der politischen Ueber- wachung des Landes, seiner Bevölkerung und der Beamten; der Bezirkscom¬ mandant der Gensdarmerie empfängt die Berichte von der Mannschaft und versendet sie an den Obercommandanten in Kassel, der neben dem Polizeidirector von Kassel unmittelbaren Vortrag bei dem Regenten hat.*) Man sieht, daß mit dieser Organisation der Regent ein unmittelbares Auge auf alles haben möchte und auf vieles auch wirklich hat. Wo irgend- einmal ein Beamter die von ihm beanspruchten Prärogative hintangesetzt hat. kommt es leicht zu seiner Kenntniß, und er rechnet unter seine Prärogative obendrein noch vieles, was gesetzlich nicht dazu gehört und was ihm verant¬ wortliche Minister niemals zugestehen würden; die vielbesprochene Vachenfeldsche Neitbcchnangelegenheit hat ein Beispiel davon geliefert. Baupläne unterliegen allerdings, wie im ganzen Lande, so auch in Kassel der Genehmigung der be¬ treffenden Regierungsbehörde, der Regent aber behält sich in Kassel die Schlu߬ entscheidung vor, woraus, da ihm das Ministerium nicht kräftig entgegentritt und er sich nicht rasch zu entscheiden pflegt, die größten Nachtheile für den Privatmann erwachsen. Man hat sich daher des Ausdrucks bedient, in Kassel Würden die Häuser oft in die Höhe gestohlen, d. h. die Häuser fertig gebaut, ehe die Genehmigung des Bauplanes eingetroffen sei; es sind aber auch schon Beispiele vorgekommen, wo angefangene Bauten gehemmt und fertige wieder niedergerissen wurden. Ein wesentliches Prärogativ ist in den Augen des Landesherrn auch noch die Entscheidung über Aufnahme in den Unterthanen¬ verband, und das hat in Kurhessen schon sehr häusig zum Gegentheil von Frei¬ zügigkeit geführt. In Preußen geschieht z. B. die Aufnahme in den Unterthanen- verband durch Aufnahme Seitens der Gemeinde und Bestätigung der Aufnahme durch die Bezirksregierung. Dafür daß der neue Unterthan dem Könige und dem Gesetze gehorsam bleibt, wird dann schon gesorgt; in Kurhessen ist Mi߬ trauen und Besorgniß größer. Ferner ist auch die Genehmigung der Feststellung oder Abänderung der Eisenbahnfahrpläne aus den Händen der betreffenden technischen Behörde in die Prärogative des Landesherrn übergegangen, wovon -) Die Ausweisung des zum Deutschkatholicismus übergetretenen Pfarrers Biron aus Hanau erfolgte seiner Zeit auf Gensdarmericcommandobericht über dem Manne in Hanau «ach Rückkehr aus dem Gefängniß zu Mainz bereitete Ovationen und daraus erwachsende Volksbewegung. Das Schlimme ist. daß sich die öffentliche Verwaltung, wie auch hier ge- Mhen. der geheimen fügt. 68*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/529>, abgerufen am 15.01.2025.