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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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eigentliche Prophetenthum haben diese Schulen auf keinen Fall eine hohe Be¬
deutung gehabt. Die großen, schöpferischen Propheten sind, was sie sind, durch
sich selbst, mögen sie nun in solchen Genossenschaften gebildet sein und gelebt
haben -- was wir übrigens von keinem wissen -- mögen sie blos durch die
innere Stimme zur prophetischen Wirksamkeit berufen sein, wie das Amos
(7, 14) so einfach wie ergreifend von sich selbst aussagt.

Auch ein ascetisches Leben, welches nach einigen Andeutungen von den
Propheten oft geführt worden zu sein scheint, war gewiß kein Erforderniß.
Die von den Königen hochgeehrten Propheten, wie Nathan, Jesaia, lebten
gewiß nicht in bedrängten Umständen, und selbst der vielgeprüfte Jeremia ge¬
bietet nach 32, 9 über ansehnliche Geldmittel (mag die dort erzählte symbolische
Handlung auch fingirt sein). Als äußeres Kennzeichen der Propheten wird
Sach. 13,4 (aus einer älteren Prophetie, welche dem Buche des Sacharja an¬
gehängt ist) ein zottiger Mantel genannt, welcher auch in der Geschichte Elias
mehrfach erwähnt wird.

In der ältern Zeit war am Prophetenthum jedenfalls noch mehr Aeußer-
liches als in der spätern, aus der wir die herrlichen prophetischen Reden haben.
Dazu gehört, daß die Propheten sich nach völlig sicheren Zeugnissen (1 Sam.
10, 5 f. und 2 Könige 3, 13) durch rauschende Musik in einen Zustand der
Verzückung versetzten. Ganz gegen die klaren Textworte, welche die prophetische
Begeisterung als Folge der Musik darstellen, hat man hier blos eine Begleitung
des prophetischen Vortrags durch Musik finden wollen. Die Art, wie sich die
Derwische durch Musik, Singen und Tanzen in Verzückung versetzen, giebt uns
eine, allerdings stark verzerrte, Analogie hierzu aus dem heutigen Orient.

Der subjective Charakter des Prophetenthums, das Vorherrschen des Ge¬
müths und der Phantasie vor der Reflexion führte allerdings leicht zu krank¬
haften Auswüchsen. Immer war da etwas Schwärmerei, und diese steigerte
sich stellenweise zur Verzückung und Naserei. Daher wird das von Uf,ti ab¬
geleitete Mtnabbs "sich als Prophet benehmen" wohl geradezu in der Bedeu¬
tung "toben" gebraucht, und der ruhige Beobachter nennt den Propheten
schlechthin einen Rasenden oder Verrückten (Jer. 29, 26; 2 Kön. 19,11). Eine
gewisse Gewaltsamkeit ist von der subjectiven Erregung und Begeisterung über¬
haupt unzertrennlich. Freilich verliert sich diese mit der Zeit mehr und mehr,
und der reine prophetische Gedanke tritt immer milder hervor; allein ganz hat
die hebräische Prophetie diese Gewaltsamkeit nie aufgegeben. Noch bei dem
schwermüthigen Jeremia und dem hohen Propheten, der zur Zeit des Cyrus
Ich. 40--66 schrieb, zeigen sich deutliche Spuren jenes stürmischen Eifers, den
uns die, freilich sagenhaften. Erzählungen von Elias Wirken für die reine
Religion vor Augen stellen.

Das Prophetenthum bestand während der ganzen Dauer der beiden israe-


eigentliche Prophetenthum haben diese Schulen auf keinen Fall eine hohe Be¬
deutung gehabt. Die großen, schöpferischen Propheten sind, was sie sind, durch
sich selbst, mögen sie nun in solchen Genossenschaften gebildet sein und gelebt
haben — was wir übrigens von keinem wissen — mögen sie blos durch die
innere Stimme zur prophetischen Wirksamkeit berufen sein, wie das Amos
(7, 14) so einfach wie ergreifend von sich selbst aussagt.

Auch ein ascetisches Leben, welches nach einigen Andeutungen von den
Propheten oft geführt worden zu sein scheint, war gewiß kein Erforderniß.
Die von den Königen hochgeehrten Propheten, wie Nathan, Jesaia, lebten
gewiß nicht in bedrängten Umständen, und selbst der vielgeprüfte Jeremia ge¬
bietet nach 32, 9 über ansehnliche Geldmittel (mag die dort erzählte symbolische
Handlung auch fingirt sein). Als äußeres Kennzeichen der Propheten wird
Sach. 13,4 (aus einer älteren Prophetie, welche dem Buche des Sacharja an¬
gehängt ist) ein zottiger Mantel genannt, welcher auch in der Geschichte Elias
mehrfach erwähnt wird.

In der ältern Zeit war am Prophetenthum jedenfalls noch mehr Aeußer-
liches als in der spätern, aus der wir die herrlichen prophetischen Reden haben.
Dazu gehört, daß die Propheten sich nach völlig sicheren Zeugnissen (1 Sam.
10, 5 f. und 2 Könige 3, 13) durch rauschende Musik in einen Zustand der
Verzückung versetzten. Ganz gegen die klaren Textworte, welche die prophetische
Begeisterung als Folge der Musik darstellen, hat man hier blos eine Begleitung
des prophetischen Vortrags durch Musik finden wollen. Die Art, wie sich die
Derwische durch Musik, Singen und Tanzen in Verzückung versetzen, giebt uns
eine, allerdings stark verzerrte, Analogie hierzu aus dem heutigen Orient.

Der subjective Charakter des Prophetenthums, das Vorherrschen des Ge¬
müths und der Phantasie vor der Reflexion führte allerdings leicht zu krank¬
haften Auswüchsen. Immer war da etwas Schwärmerei, und diese steigerte
sich stellenweise zur Verzückung und Naserei. Daher wird das von Uf,ti ab¬
geleitete Mtnabbs „sich als Prophet benehmen" wohl geradezu in der Bedeu¬
tung „toben" gebraucht, und der ruhige Beobachter nennt den Propheten
schlechthin einen Rasenden oder Verrückten (Jer. 29, 26; 2 Kön. 19,11). Eine
gewisse Gewaltsamkeit ist von der subjectiven Erregung und Begeisterung über¬
haupt unzertrennlich. Freilich verliert sich diese mit der Zeit mehr und mehr,
und der reine prophetische Gedanke tritt immer milder hervor; allein ganz hat
die hebräische Prophetie diese Gewaltsamkeit nie aufgegeben. Noch bei dem
schwermüthigen Jeremia und dem hohen Propheten, der zur Zeit des Cyrus
Ich. 40—66 schrieb, zeigen sich deutliche Spuren jenes stürmischen Eifers, den
uns die, freilich sagenhaften. Erzählungen von Elias Wirken für die reine
Religion vor Augen stellen.

Das Prophetenthum bestand während der ganzen Dauer der beiden israe-


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[0444] eigentliche Prophetenthum haben diese Schulen auf keinen Fall eine hohe Be¬ deutung gehabt. Die großen, schöpferischen Propheten sind, was sie sind, durch sich selbst, mögen sie nun in solchen Genossenschaften gebildet sein und gelebt haben — was wir übrigens von keinem wissen — mögen sie blos durch die innere Stimme zur prophetischen Wirksamkeit berufen sein, wie das Amos (7, 14) so einfach wie ergreifend von sich selbst aussagt. Auch ein ascetisches Leben, welches nach einigen Andeutungen von den Propheten oft geführt worden zu sein scheint, war gewiß kein Erforderniß. Die von den Königen hochgeehrten Propheten, wie Nathan, Jesaia, lebten gewiß nicht in bedrängten Umständen, und selbst der vielgeprüfte Jeremia ge¬ bietet nach 32, 9 über ansehnliche Geldmittel (mag die dort erzählte symbolische Handlung auch fingirt sein). Als äußeres Kennzeichen der Propheten wird Sach. 13,4 (aus einer älteren Prophetie, welche dem Buche des Sacharja an¬ gehängt ist) ein zottiger Mantel genannt, welcher auch in der Geschichte Elias mehrfach erwähnt wird. In der ältern Zeit war am Prophetenthum jedenfalls noch mehr Aeußer- liches als in der spätern, aus der wir die herrlichen prophetischen Reden haben. Dazu gehört, daß die Propheten sich nach völlig sicheren Zeugnissen (1 Sam. 10, 5 f. und 2 Könige 3, 13) durch rauschende Musik in einen Zustand der Verzückung versetzten. Ganz gegen die klaren Textworte, welche die prophetische Begeisterung als Folge der Musik darstellen, hat man hier blos eine Begleitung des prophetischen Vortrags durch Musik finden wollen. Die Art, wie sich die Derwische durch Musik, Singen und Tanzen in Verzückung versetzen, giebt uns eine, allerdings stark verzerrte, Analogie hierzu aus dem heutigen Orient. Der subjective Charakter des Prophetenthums, das Vorherrschen des Ge¬ müths und der Phantasie vor der Reflexion führte allerdings leicht zu krank¬ haften Auswüchsen. Immer war da etwas Schwärmerei, und diese steigerte sich stellenweise zur Verzückung und Naserei. Daher wird das von Uf,ti ab¬ geleitete Mtnabbs „sich als Prophet benehmen" wohl geradezu in der Bedeu¬ tung „toben" gebraucht, und der ruhige Beobachter nennt den Propheten schlechthin einen Rasenden oder Verrückten (Jer. 29, 26; 2 Kön. 19,11). Eine gewisse Gewaltsamkeit ist von der subjectiven Erregung und Begeisterung über¬ haupt unzertrennlich. Freilich verliert sich diese mit der Zeit mehr und mehr, und der reine prophetische Gedanke tritt immer milder hervor; allein ganz hat die hebräische Prophetie diese Gewaltsamkeit nie aufgegeben. Noch bei dem schwermüthigen Jeremia und dem hohen Propheten, der zur Zeit des Cyrus Ich. 40—66 schrieb, zeigen sich deutliche Spuren jenes stürmischen Eifers, den uns die, freilich sagenhaften. Erzählungen von Elias Wirken für die reine Religion vor Augen stellen. Das Prophetenthum bestand während der ganzen Dauer der beiden israe-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/444>, abgerufen am 15.01.2025.