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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Wir haben soeben erwähnt, daß zuletzt noch Anhalt-Zerbst das Glück hatte,
den Engländern Soldaten für den Kampf mit den amerikanischen Insurgenten
liefern zu dürfen. DaS ging so zu.

Der Fürst Friedrich August von Anhalt-Zerbst (er regierte durch
göttliche Zulassung fast ein halbes Jahrhundert, von 1747 bis 1793) gebot
über ein Territorium von ungefähr fünfzehn Quadratmeilen mit etwa zwanzig¬
tausend Einwohnern, welches infolge von mancherlei Heimsuchungen, wie Miß-
wachs, Überschwemmung und Krieg, namentlich aber auch infolge der seit dem
dreißigjährigen Kriege schon andauernden Landplage fürstlicher Mißwirthschaft
zu den ausgehungertsten und verrottetsten Deutschlands gehörte. Seit 1716
wurden hier weniger Menschen geboren als begraben. Das Land besaß weder
Industrie noch Handel. Nirgends ringsum gab es verhältnißmäßig mehr Hage¬
stolze, vorzüglich unter den Beamten, weil die im siebzehnten Jahrhundert fest¬
gesetzte Besoldung derselben zu einem anständigen Haushalt kaum halb aus¬
reichte. Seit 1698 war kein Landtag mehr einberufen worden. Die Fürsten
herrschten vollkommen nach Laune, und Friedrich August übertraf darin selbst seine
Vorgänger. Er ist die Caricatur des kleinen Landesvaters des achtzehnten Jahr¬
hunderts. Der Bruder der Kaiserin Katharina von Rußland, hatte er ursprüng¬
lich vielleicht ebenso geniale Anlagen wie diese, dann aber muß man annehmen,
daß, was bei der großen Schwester auf dem mächtigen Czarenthrone sich ent¬
falten konnte, hier, in den winzigen Verhältnissen von Zerbst eingeengt, ver¬
dorren, verkrüppeln und Verrücktheit werden mußte.

Natürlich mußte ein derartiger Geist seinen großen Nachbar in Preußen,
der überall Leben zu wecken verstand, der unbarmherzig alte Vorurtheile und
Mißbräuche ausreutete und sich in seinem revolutionären Vorgehen durch nichts
hindern ließ, aufs gründlichste hassen, zumal der König ihm gelegentlich übel
mitspielte und unter anderm 17S8 einen Schützling Friedrich Augusts ohne viel
Federlesen im zerbster Schlosse verhaften ließ. Jener Haß ging so weit, daß
der Fürst 1763, um von Preußen möglichst entfernt zu sein, von Zerbst nach
Basel und später nach Luxemburg zog, von welchen Orten aus er sein Ländchen
dann durch höchst ergötzliche Rescripte regierte, wie sie in neuester Zeit Fürst
Heinrich der Zweiundstebzigste von Reuß-Schleiz-Lobenstein-Ebersdorf kaum
komischer zu Stande gebracht hätte. Als seine Unterthanen sich einst an ihn
wegen Abstellung von Beschwerden wandten, antwortete er ihnen, derartige
Lappalien gingen ihn nichts an, und wünsche er sehr, in seiner Zurückgezogen-
heit nicht mit ihren elenden Klagen behelligt zu werden. Als das nichts hals,
verbot er durch Anschlag, daß niemand ihm serner "nachlaufe", "bei Vermeidung
unausbleiblicher Ahndung"; selbst die Familien der Betreffenden sollten respon"
habet sein. Auf der Insel Wangeroge, die als Theil der Herrschaft Jever ihm
gehörte, errichtete er einen großen Galgen für Austerndiebe, es wurde indeß


Wir haben soeben erwähnt, daß zuletzt noch Anhalt-Zerbst das Glück hatte,
den Engländern Soldaten für den Kampf mit den amerikanischen Insurgenten
liefern zu dürfen. DaS ging so zu.

Der Fürst Friedrich August von Anhalt-Zerbst (er regierte durch
göttliche Zulassung fast ein halbes Jahrhundert, von 1747 bis 1793) gebot
über ein Territorium von ungefähr fünfzehn Quadratmeilen mit etwa zwanzig¬
tausend Einwohnern, welches infolge von mancherlei Heimsuchungen, wie Miß-
wachs, Überschwemmung und Krieg, namentlich aber auch infolge der seit dem
dreißigjährigen Kriege schon andauernden Landplage fürstlicher Mißwirthschaft
zu den ausgehungertsten und verrottetsten Deutschlands gehörte. Seit 1716
wurden hier weniger Menschen geboren als begraben. Das Land besaß weder
Industrie noch Handel. Nirgends ringsum gab es verhältnißmäßig mehr Hage¬
stolze, vorzüglich unter den Beamten, weil die im siebzehnten Jahrhundert fest¬
gesetzte Besoldung derselben zu einem anständigen Haushalt kaum halb aus¬
reichte. Seit 1698 war kein Landtag mehr einberufen worden. Die Fürsten
herrschten vollkommen nach Laune, und Friedrich August übertraf darin selbst seine
Vorgänger. Er ist die Caricatur des kleinen Landesvaters des achtzehnten Jahr¬
hunderts. Der Bruder der Kaiserin Katharina von Rußland, hatte er ursprüng¬
lich vielleicht ebenso geniale Anlagen wie diese, dann aber muß man annehmen,
daß, was bei der großen Schwester auf dem mächtigen Czarenthrone sich ent¬
falten konnte, hier, in den winzigen Verhältnissen von Zerbst eingeengt, ver¬
dorren, verkrüppeln und Verrücktheit werden mußte.

Natürlich mußte ein derartiger Geist seinen großen Nachbar in Preußen,
der überall Leben zu wecken verstand, der unbarmherzig alte Vorurtheile und
Mißbräuche ausreutete und sich in seinem revolutionären Vorgehen durch nichts
hindern ließ, aufs gründlichste hassen, zumal der König ihm gelegentlich übel
mitspielte und unter anderm 17S8 einen Schützling Friedrich Augusts ohne viel
Federlesen im zerbster Schlosse verhaften ließ. Jener Haß ging so weit, daß
der Fürst 1763, um von Preußen möglichst entfernt zu sein, von Zerbst nach
Basel und später nach Luxemburg zog, von welchen Orten aus er sein Ländchen
dann durch höchst ergötzliche Rescripte regierte, wie sie in neuester Zeit Fürst
Heinrich der Zweiundstebzigste von Reuß-Schleiz-Lobenstein-Ebersdorf kaum
komischer zu Stande gebracht hätte. Als seine Unterthanen sich einst an ihn
wegen Abstellung von Beschwerden wandten, antwortete er ihnen, derartige
Lappalien gingen ihn nichts an, und wünsche er sehr, in seiner Zurückgezogen-
heit nicht mit ihren elenden Klagen behelligt zu werden. Als das nichts hals,
verbot er durch Anschlag, daß niemand ihm serner „nachlaufe", „bei Vermeidung
unausbleiblicher Ahndung"; selbst die Familien der Betreffenden sollten respon«
habet sein. Auf der Insel Wangeroge, die als Theil der Herrschaft Jever ihm
gehörte, errichtete er einen großen Galgen für Austerndiebe, es wurde indeß


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[0434] Wir haben soeben erwähnt, daß zuletzt noch Anhalt-Zerbst das Glück hatte, den Engländern Soldaten für den Kampf mit den amerikanischen Insurgenten liefern zu dürfen. DaS ging so zu. Der Fürst Friedrich August von Anhalt-Zerbst (er regierte durch göttliche Zulassung fast ein halbes Jahrhundert, von 1747 bis 1793) gebot über ein Territorium von ungefähr fünfzehn Quadratmeilen mit etwa zwanzig¬ tausend Einwohnern, welches infolge von mancherlei Heimsuchungen, wie Miß- wachs, Überschwemmung und Krieg, namentlich aber auch infolge der seit dem dreißigjährigen Kriege schon andauernden Landplage fürstlicher Mißwirthschaft zu den ausgehungertsten und verrottetsten Deutschlands gehörte. Seit 1716 wurden hier weniger Menschen geboren als begraben. Das Land besaß weder Industrie noch Handel. Nirgends ringsum gab es verhältnißmäßig mehr Hage¬ stolze, vorzüglich unter den Beamten, weil die im siebzehnten Jahrhundert fest¬ gesetzte Besoldung derselben zu einem anständigen Haushalt kaum halb aus¬ reichte. Seit 1698 war kein Landtag mehr einberufen worden. Die Fürsten herrschten vollkommen nach Laune, und Friedrich August übertraf darin selbst seine Vorgänger. Er ist die Caricatur des kleinen Landesvaters des achtzehnten Jahr¬ hunderts. Der Bruder der Kaiserin Katharina von Rußland, hatte er ursprüng¬ lich vielleicht ebenso geniale Anlagen wie diese, dann aber muß man annehmen, daß, was bei der großen Schwester auf dem mächtigen Czarenthrone sich ent¬ falten konnte, hier, in den winzigen Verhältnissen von Zerbst eingeengt, ver¬ dorren, verkrüppeln und Verrücktheit werden mußte. Natürlich mußte ein derartiger Geist seinen großen Nachbar in Preußen, der überall Leben zu wecken verstand, der unbarmherzig alte Vorurtheile und Mißbräuche ausreutete und sich in seinem revolutionären Vorgehen durch nichts hindern ließ, aufs gründlichste hassen, zumal der König ihm gelegentlich übel mitspielte und unter anderm 17S8 einen Schützling Friedrich Augusts ohne viel Federlesen im zerbster Schlosse verhaften ließ. Jener Haß ging so weit, daß der Fürst 1763, um von Preußen möglichst entfernt zu sein, von Zerbst nach Basel und später nach Luxemburg zog, von welchen Orten aus er sein Ländchen dann durch höchst ergötzliche Rescripte regierte, wie sie in neuester Zeit Fürst Heinrich der Zweiundstebzigste von Reuß-Schleiz-Lobenstein-Ebersdorf kaum komischer zu Stande gebracht hätte. Als seine Unterthanen sich einst an ihn wegen Abstellung von Beschwerden wandten, antwortete er ihnen, derartige Lappalien gingen ihn nichts an, und wünsche er sehr, in seiner Zurückgezogen- heit nicht mit ihren elenden Klagen behelligt zu werden. Als das nichts hals, verbot er durch Anschlag, daß niemand ihm serner „nachlaufe", „bei Vermeidung unausbleiblicher Ahndung"; selbst die Familien der Betreffenden sollten respon« habet sein. Auf der Insel Wangeroge, die als Theil der Herrschaft Jever ihm gehörte, errichtete er einen großen Galgen für Austerndiebe, es wurde indeß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/434>, abgerufen am 15.01.2025.