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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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schlingen, und der für den Abenteurer Nicolini. seinen Theaterdirector und Hof¬
kuppler, jährlich 30,000, für Lessing jährlich 300 Thaler übrig hat. Neben
ihm regiert der Erbprinz Ferdinand, nicht viel besser als der Vater, nur weniger
verschwenderisch und viel klüger. V?it ihm hat Faucitt zu thun, und an ihm
findet er bei der Unterhandlung seinen Meister. Nach einigem Feilschen wird
ein für die herzogliche Kasse recht günstiger Contract abgeschlossen: Braunschweig
liefert 4,300 Soldaten und empfängt dafür zunächst pro Mann 30 Kronen
Wcrbegeld, dann jährlich, so lange die Leute in englischen Diensten stehen,
64,500 Kronen und von dem Tage an, wo sie in die Heimath zurückkehren,
zwei Jahre lang das Doppelte dieser einfachen Subsidie.

Zweiter Act. Faucitt reist nach Kassel, wo die Landgrafen schon seit
etwa hundert Jahren das Vermäkeln armirter Unterthanen und Landsleute als
regelmäßiges kaufmännisches Geschäft betreiben und sich wohl dabei befinden.
DaS ausgeführte Porträt des hier regierenden LandesbeglückerS betrachte man
sich bei Kapp S. 67 bis 59. Für uns genügt, zu wissen, daß Landgraf
Friedrich der Zweite ein nüchterner Rechner und ordnungsliebender Geschäfts¬
mann sowie ein Herr, der auf seine Würde hält, daneben aber ein rücksichts¬
loser Egoist, ein Liebhaber französischer Sitte und Unsitte, maßlos baulustig,
zeitgemäß liederlich in geschlechtlichen Dingen und Vater von etwa hundert
unehelichen Kindern ist. Der englische Unterhändler hat hier in dem Minister
v. Schliessen einen der geriebensten Diplomaten damaliger Zeit sich gegenüber,
der die Noth Englands vortrefflich auszubeuten weiß, und so werden jenem
schließlich noch ungünstigere Bedingungen ausgeredet als in Braunschweig, wofür
er freilich auch über 12,000 Mann der besten Truppen einhandelt. Daß bei
dem Handel die Excellenz Schliessen selbst nicht leer ausgeht, versteht sich von
selbst. Rührend ist, die landesväterliche Gnade zu beobachten, die sich infolge
deS gemachten vortrefflichen Geschäfts über Hessen ergießt: Serenissimus streicht
außer dem Betrag einer angeblichen Schuldforderung aus dem siebenjährigen
Kriege, der unter andern Umständen nicht zu erlangen gewesen wäre, für jeden
der auf die amerikanische Schlachtbank verhandelten Unterthanen zuerst 30 Kronen
Werbegeld, dann noch einmal 37^/, Kronen jährlicher Subsidie in seinen Säckel,
König Georg bezahlt und verpflegt außerdem selbstverständlich die Gemietheten
für die Dauer des Krieges, und dafür geruht der Landgraf huldreichst, seinen
getreuen Hessen die halbe Kriegscontribution zu erlassen. Das Volk freilich sieht
die Wohlthat nicht ein, es wandert aus, so viel es kann, und die Meinung:
"Sind wir todt, so sind wir davon- ist unter den Zurückvleibenden eine ge¬
meine Rede. Daher vermuthlich der Ausdruck "blinde Hessen".

Dritter Act. Schauplatz Hanau. Hauptperson neben Faucitt der Sohn
deS Landgrafen Friedrich, Erbprinz Wilhelm, der die Grafschaft Hanau als
selbständiges Fürstentum verwaltet. Er ist ein noch ziemlich junger Mann,


schlingen, und der für den Abenteurer Nicolini. seinen Theaterdirector und Hof¬
kuppler, jährlich 30,000, für Lessing jährlich 300 Thaler übrig hat. Neben
ihm regiert der Erbprinz Ferdinand, nicht viel besser als der Vater, nur weniger
verschwenderisch und viel klüger. V?it ihm hat Faucitt zu thun, und an ihm
findet er bei der Unterhandlung seinen Meister. Nach einigem Feilschen wird
ein für die herzogliche Kasse recht günstiger Contract abgeschlossen: Braunschweig
liefert 4,300 Soldaten und empfängt dafür zunächst pro Mann 30 Kronen
Wcrbegeld, dann jährlich, so lange die Leute in englischen Diensten stehen,
64,500 Kronen und von dem Tage an, wo sie in die Heimath zurückkehren,
zwei Jahre lang das Doppelte dieser einfachen Subsidie.

Zweiter Act. Faucitt reist nach Kassel, wo die Landgrafen schon seit
etwa hundert Jahren das Vermäkeln armirter Unterthanen und Landsleute als
regelmäßiges kaufmännisches Geschäft betreiben und sich wohl dabei befinden.
DaS ausgeführte Porträt des hier regierenden LandesbeglückerS betrachte man
sich bei Kapp S. 67 bis 59. Für uns genügt, zu wissen, daß Landgraf
Friedrich der Zweite ein nüchterner Rechner und ordnungsliebender Geschäfts¬
mann sowie ein Herr, der auf seine Würde hält, daneben aber ein rücksichts¬
loser Egoist, ein Liebhaber französischer Sitte und Unsitte, maßlos baulustig,
zeitgemäß liederlich in geschlechtlichen Dingen und Vater von etwa hundert
unehelichen Kindern ist. Der englische Unterhändler hat hier in dem Minister
v. Schliessen einen der geriebensten Diplomaten damaliger Zeit sich gegenüber,
der die Noth Englands vortrefflich auszubeuten weiß, und so werden jenem
schließlich noch ungünstigere Bedingungen ausgeredet als in Braunschweig, wofür
er freilich auch über 12,000 Mann der besten Truppen einhandelt. Daß bei
dem Handel die Excellenz Schliessen selbst nicht leer ausgeht, versteht sich von
selbst. Rührend ist, die landesväterliche Gnade zu beobachten, die sich infolge
deS gemachten vortrefflichen Geschäfts über Hessen ergießt: Serenissimus streicht
außer dem Betrag einer angeblichen Schuldforderung aus dem siebenjährigen
Kriege, der unter andern Umständen nicht zu erlangen gewesen wäre, für jeden
der auf die amerikanische Schlachtbank verhandelten Unterthanen zuerst 30 Kronen
Werbegeld, dann noch einmal 37^/, Kronen jährlicher Subsidie in seinen Säckel,
König Georg bezahlt und verpflegt außerdem selbstverständlich die Gemietheten
für die Dauer des Krieges, und dafür geruht der Landgraf huldreichst, seinen
getreuen Hessen die halbe Kriegscontribution zu erlassen. Das Volk freilich sieht
die Wohlthat nicht ein, es wandert aus, so viel es kann, und die Meinung:
„Sind wir todt, so sind wir davon- ist unter den Zurückvleibenden eine ge¬
meine Rede. Daher vermuthlich der Ausdruck „blinde Hessen".

Dritter Act. Schauplatz Hanau. Hauptperson neben Faucitt der Sohn
deS Landgrafen Friedrich, Erbprinz Wilhelm, der die Grafschaft Hanau als
selbständiges Fürstentum verwaltet. Er ist ein noch ziemlich junger Mann,


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[0430] schlingen, und der für den Abenteurer Nicolini. seinen Theaterdirector und Hof¬ kuppler, jährlich 30,000, für Lessing jährlich 300 Thaler übrig hat. Neben ihm regiert der Erbprinz Ferdinand, nicht viel besser als der Vater, nur weniger verschwenderisch und viel klüger. V?it ihm hat Faucitt zu thun, und an ihm findet er bei der Unterhandlung seinen Meister. Nach einigem Feilschen wird ein für die herzogliche Kasse recht günstiger Contract abgeschlossen: Braunschweig liefert 4,300 Soldaten und empfängt dafür zunächst pro Mann 30 Kronen Wcrbegeld, dann jährlich, so lange die Leute in englischen Diensten stehen, 64,500 Kronen und von dem Tage an, wo sie in die Heimath zurückkehren, zwei Jahre lang das Doppelte dieser einfachen Subsidie. Zweiter Act. Faucitt reist nach Kassel, wo die Landgrafen schon seit etwa hundert Jahren das Vermäkeln armirter Unterthanen und Landsleute als regelmäßiges kaufmännisches Geschäft betreiben und sich wohl dabei befinden. DaS ausgeführte Porträt des hier regierenden LandesbeglückerS betrachte man sich bei Kapp S. 67 bis 59. Für uns genügt, zu wissen, daß Landgraf Friedrich der Zweite ein nüchterner Rechner und ordnungsliebender Geschäfts¬ mann sowie ein Herr, der auf seine Würde hält, daneben aber ein rücksichts¬ loser Egoist, ein Liebhaber französischer Sitte und Unsitte, maßlos baulustig, zeitgemäß liederlich in geschlechtlichen Dingen und Vater von etwa hundert unehelichen Kindern ist. Der englische Unterhändler hat hier in dem Minister v. Schliessen einen der geriebensten Diplomaten damaliger Zeit sich gegenüber, der die Noth Englands vortrefflich auszubeuten weiß, und so werden jenem schließlich noch ungünstigere Bedingungen ausgeredet als in Braunschweig, wofür er freilich auch über 12,000 Mann der besten Truppen einhandelt. Daß bei dem Handel die Excellenz Schliessen selbst nicht leer ausgeht, versteht sich von selbst. Rührend ist, die landesväterliche Gnade zu beobachten, die sich infolge deS gemachten vortrefflichen Geschäfts über Hessen ergießt: Serenissimus streicht außer dem Betrag einer angeblichen Schuldforderung aus dem siebenjährigen Kriege, der unter andern Umständen nicht zu erlangen gewesen wäre, für jeden der auf die amerikanische Schlachtbank verhandelten Unterthanen zuerst 30 Kronen Werbegeld, dann noch einmal 37^/, Kronen jährlicher Subsidie in seinen Säckel, König Georg bezahlt und verpflegt außerdem selbstverständlich die Gemietheten für die Dauer des Krieges, und dafür geruht der Landgraf huldreichst, seinen getreuen Hessen die halbe Kriegscontribution zu erlassen. Das Volk freilich sieht die Wohlthat nicht ein, es wandert aus, so viel es kann, und die Meinung: „Sind wir todt, so sind wir davon- ist unter den Zurückvleibenden eine ge¬ meine Rede. Daher vermuthlich der Ausdruck „blinde Hessen". Dritter Act. Schauplatz Hanau. Hauptperson neben Faucitt der Sohn deS Landgrafen Friedrich, Erbprinz Wilhelm, der die Grafschaft Hanau als selbständiges Fürstentum verwaltet. Er ist ein noch ziemlich junger Mann,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/430>, abgerufen am 15.01.2025.