Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.Befriedigung gefunden zu haben. Von einer eigentlich religiösen Wärme oder Befriedigung gefunden zu haben. Von einer eigentlich religiösen Wärme oder <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0394" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283747"/> <p xml:id="ID_1131" prev="#ID_1130" next="#ID_1132"> Befriedigung gefunden zu haben. Von einer eigentlich religiösen Wärme oder<lb/> gar Begeisterung finden wir dagegen keine Spur in seinen Briefen. Die ernste,<lb/> gemüthliche Vertiefung in das Problem über das Verhältniß des Menschen zum<lb/> Übersinnlichen, das alle Seelenkräfte in Anspruch nehmende Forschen und<lb/> Ringen nach der höchsten Wahrheit, welches eins der bedeutsamsten Merkmale<lb/> des deutschen Charakters ist, war ihm, dessen ganze Denkthätigkeit von frühester<lb/> Jugend an auf die Lösung einer ganz bestimmten Frage des politischen Lebens<lb/> gerichtet war, fremd. Der Glaube der katholischen Kirche ist ihm etwas Ge¬<lb/> gebenes, das er annimmt, ohne Zweifel, aber auch ohne Fanatismus. Sein<lb/> Katholicismus hindert ihn durchaus nicht, mit dem Protestanten, mit dem Frei-<lb/> denker in das engste Freundschaftsverhältnis) zu treten. Dennoch nimmt die<lb/> Betrachtung der kirchlichen Verhältnisse eine sehr bedeutende Stelle in seinen<lb/> Briefen ein, aber seine Betrachtung ist eine vorwiegend politische. Dies ist<lb/> aber nicht so zu verstehen, als ob er die Religion und Politik hätte vermischen<lb/> wollen: im Gegentheil war er überzeugt, daß die Kirche ihrer sittlichen Aufgabe,<lb/> die sie an dem Individuum und der Gesellschaft zu erfüllen habe, nur in dem<lb/> Falle gewachsen sei, wenn sie einerseits von jeder Theilnahme an der Lenkung<lb/> des Staates sich zurückzöge, andrerseits das Vorurtheil aufgäbe, daß die Pflicht<lb/> des katholischen Christen eine Parteinahme gegen die in der Gesellschaft le¬<lb/> bendigen, freiheitlichen Bestrebungen erfordere. Die Kirche mit der Freiheit zu<lb/> versöhnen, das war eine der Aufgaben, die er sich gestellt hatte. Die Unab¬<lb/> hängigkeit der Kirche vom Staate verstand er durchaus nicht im ultramontanen<lb/> Sinne als Abhängigkeit des Staates von der Kirche. Der Einfluß des Klerus<lb/> aus die Staatsverwaltung ist in seinen Augen ebenso verderblich für die Kirche<lb/> als für den Staat. Sehr ausführlich äußert er seine Ansichten über diesen<lb/> Punkt in einem Briefe an Lord Radnor vom Jahre 1836. Die Feindschaft<lb/> gegen die Religion, dies ist der wesentliche Inhalt seiner ausführlichen De-<lb/> duction, unter der Restauration war eine Folge des politischen Einflusses der<lb/> Priester. Grade diese Verbindung mit dem Klerus hat viel zum Sturze der<lb/> älteren Linie beigetragen. Unter der Julimonarchie, die gegen den Klerus an¬<lb/> fangs eher unfreundlich als günstig gestimmt war, wenn sie sich auch jeder<lb/> Feindseligkeit gegen denselben enthielt, trat alsbald eine Reaction zu Gunsten<lb/> der Kirche ein. Die irreligiösen Schriften sind äußerst selten geworden. Religion<lb/> und Priester sind gänzlich von den Karikaturen verschwunden. Nicht als ob<lb/> alle, die schwiegen, Liebe für die Religion gewonnen haben, aber sie haben<lb/> wenigstens keinen Haß mehr. Die Mehrzahl der Liberalen, welche früher grade<lb/> der Haß gegen die Religion an die Spitze der Opposition getrieben hatte, be¬<lb/> klagt jetzt die Schwäche des religiösen Geistes im Volke. In der Jugend aber<lb/> ist ein vollständiger Umschwung zu Gunsten der Religion eingetreten. Diese<lb/> Gedanken, vielfach modificirt und nach verschiedenen Richtungen hin ausgeführt,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0394]
Befriedigung gefunden zu haben. Von einer eigentlich religiösen Wärme oder
gar Begeisterung finden wir dagegen keine Spur in seinen Briefen. Die ernste,
gemüthliche Vertiefung in das Problem über das Verhältniß des Menschen zum
Übersinnlichen, das alle Seelenkräfte in Anspruch nehmende Forschen und
Ringen nach der höchsten Wahrheit, welches eins der bedeutsamsten Merkmale
des deutschen Charakters ist, war ihm, dessen ganze Denkthätigkeit von frühester
Jugend an auf die Lösung einer ganz bestimmten Frage des politischen Lebens
gerichtet war, fremd. Der Glaube der katholischen Kirche ist ihm etwas Ge¬
gebenes, das er annimmt, ohne Zweifel, aber auch ohne Fanatismus. Sein
Katholicismus hindert ihn durchaus nicht, mit dem Protestanten, mit dem Frei-
denker in das engste Freundschaftsverhältnis) zu treten. Dennoch nimmt die
Betrachtung der kirchlichen Verhältnisse eine sehr bedeutende Stelle in seinen
Briefen ein, aber seine Betrachtung ist eine vorwiegend politische. Dies ist
aber nicht so zu verstehen, als ob er die Religion und Politik hätte vermischen
wollen: im Gegentheil war er überzeugt, daß die Kirche ihrer sittlichen Aufgabe,
die sie an dem Individuum und der Gesellschaft zu erfüllen habe, nur in dem
Falle gewachsen sei, wenn sie einerseits von jeder Theilnahme an der Lenkung
des Staates sich zurückzöge, andrerseits das Vorurtheil aufgäbe, daß die Pflicht
des katholischen Christen eine Parteinahme gegen die in der Gesellschaft le¬
bendigen, freiheitlichen Bestrebungen erfordere. Die Kirche mit der Freiheit zu
versöhnen, das war eine der Aufgaben, die er sich gestellt hatte. Die Unab¬
hängigkeit der Kirche vom Staate verstand er durchaus nicht im ultramontanen
Sinne als Abhängigkeit des Staates von der Kirche. Der Einfluß des Klerus
aus die Staatsverwaltung ist in seinen Augen ebenso verderblich für die Kirche
als für den Staat. Sehr ausführlich äußert er seine Ansichten über diesen
Punkt in einem Briefe an Lord Radnor vom Jahre 1836. Die Feindschaft
gegen die Religion, dies ist der wesentliche Inhalt seiner ausführlichen De-
duction, unter der Restauration war eine Folge des politischen Einflusses der
Priester. Grade diese Verbindung mit dem Klerus hat viel zum Sturze der
älteren Linie beigetragen. Unter der Julimonarchie, die gegen den Klerus an¬
fangs eher unfreundlich als günstig gestimmt war, wenn sie sich auch jeder
Feindseligkeit gegen denselben enthielt, trat alsbald eine Reaction zu Gunsten
der Kirche ein. Die irreligiösen Schriften sind äußerst selten geworden. Religion
und Priester sind gänzlich von den Karikaturen verschwunden. Nicht als ob
alle, die schwiegen, Liebe für die Religion gewonnen haben, aber sie haben
wenigstens keinen Haß mehr. Die Mehrzahl der Liberalen, welche früher grade
der Haß gegen die Religion an die Spitze der Opposition getrieben hatte, be¬
klagt jetzt die Schwäche des religiösen Geistes im Volke. In der Jugend aber
ist ein vollständiger Umschwung zu Gunsten der Religion eingetreten. Diese
Gedanken, vielfach modificirt und nach verschiedenen Richtungen hin ausgeführt,
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