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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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glücklich sollen die sein, welche 1,333 Tage (d. i. IV2 Monat länger) ausharren.
Diese Verkündigung soll Daniel geheim halten.

Zwar wird in den ersten Abschnitten des Buches von Daniel in der
dritten Person geredet, aber da in den spätern von ihm die erste gebraucht
wird, so ist kein Zweifel darüber, daß das ganze Buch als Werk des Daniel
angesehen werden soll. Wer nicht einem groben Supranaturalismus huldigt,
wird freilich die Echtheit des Buches sofort bei einer auch nur oberflächlichen
Betrachtung bezweifeln, doch wollen wir uns die hier geschilderten großen Er¬
eignisse und ihr Vcchältniß zu der uns bekannten Geschichte etwas genauer be¬
trachten, um nicht blos ein negatives, sondern auch ein positives Resultat über
die wirkliche Entstehung des Buches zu erlangen. Zu dem Ende betrachten
wir die hier gegebenen Enthüllungen über die Zukunft.

Die verschiedenen Visionen über die zukünftigen Reiche stimmen in wesent¬
lichen Stücken überein, und die ausdrücklichen Deutungen bestätigen dies voll¬
kommen. Die vier Reiche in Cap. 2 sind dieselben wie die in Cap. 7. Da
nun der Ausgang der Vision in Cap. 7 (das frevelhafte Horn) derselbe ist,
wie der in Cap'. 8, in dem uns geradezu die Namen der Reiche gegeben werden,
und da hiermit die Andeutungen und Ausführungen im 11. Cap. übereinstimmen,
so können wir den Hauptsinn der Bilder leicht fassen. Die Weltreiche sind
1) das babylonische, unter dem Daniel zuerst weissagt; 2) das medische; 3) das
Persische; 4) das griechische oder macedonische. Die nähere Verbindung des
medischen und persischen Reichs wird in Cap. 8 durch das Bild des zrveihö"
nigen Widders ausgedrückt. Alexander wird in Cap. 11, 3 und 8, 3 deutlich
hervorgehoben; ebenso die Zertheilung seiner Monarchie sofort nach ihm, 2,41 f.,
8, 6 und 11, 4. Die vier Reiche, weiche durch die nach den vier Himmels¬
gegenden gerichteten vier Hörner anstatt des einen (Alexanders) bezeichnet werden,
sind wahrscheinlich Thracien (5l.), Macedonien CA>), Syrien (0.), Aegypten (S.).
Cap. 11 schildert die Kämpfe der Scleutiden (Reich des Nordens) und Aegyptens
(Reich des Südens). Der König, auf den alle speciellen Schilderungen von
Cap. 6 an ausgehen, das frevelhafte Horn, das Lästermaul, der Tyrann, der
die Heiligthümer entehrt, die Opfer abschafft und das Volk Gottes aufs ärgste
drückt, ist Antiochus Epiphanes, den man beschuldigt, drei von seinen zehn Vor¬
gängern umgebracht zu haben (7, 8). Nach diesem erwartet der Seher
unmittelbar das Gottesreich.

Obgleich sich nun über die Bedeutung einiger Nebenpunkte namentlich in
dem sehr speciellen Cap. 11 streiten lave. so ist doch aus dem Gesagten die
Fiction ganz klar. Schon der Neuplatoniker Porphyrius (5 304 n. Chr. G.)
hat diese vollkommen erkannt. Er war durch genaue Studien zu der Ueber¬
zeugung gekommen, daß der Verfasser die Zeit bis auf den Epiphanes richtig
angegeben, von da an aber, weil er der Zukunft so wenig kundig gewesen


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glücklich sollen die sein, welche 1,333 Tage (d. i. IV2 Monat länger) ausharren.
Diese Verkündigung soll Daniel geheim halten.

Zwar wird in den ersten Abschnitten des Buches von Daniel in der
dritten Person geredet, aber da in den spätern von ihm die erste gebraucht
wird, so ist kein Zweifel darüber, daß das ganze Buch als Werk des Daniel
angesehen werden soll. Wer nicht einem groben Supranaturalismus huldigt,
wird freilich die Echtheit des Buches sofort bei einer auch nur oberflächlichen
Betrachtung bezweifeln, doch wollen wir uns die hier geschilderten großen Er¬
eignisse und ihr Vcchältniß zu der uns bekannten Geschichte etwas genauer be¬
trachten, um nicht blos ein negatives, sondern auch ein positives Resultat über
die wirkliche Entstehung des Buches zu erlangen. Zu dem Ende betrachten
wir die hier gegebenen Enthüllungen über die Zukunft.

Die verschiedenen Visionen über die zukünftigen Reiche stimmen in wesent¬
lichen Stücken überein, und die ausdrücklichen Deutungen bestätigen dies voll¬
kommen. Die vier Reiche in Cap. 2 sind dieselben wie die in Cap. 7. Da
nun der Ausgang der Vision in Cap. 7 (das frevelhafte Horn) derselbe ist,
wie der in Cap'. 8, in dem uns geradezu die Namen der Reiche gegeben werden,
und da hiermit die Andeutungen und Ausführungen im 11. Cap. übereinstimmen,
so können wir den Hauptsinn der Bilder leicht fassen. Die Weltreiche sind
1) das babylonische, unter dem Daniel zuerst weissagt; 2) das medische; 3) das
Persische; 4) das griechische oder macedonische. Die nähere Verbindung des
medischen und persischen Reichs wird in Cap. 8 durch das Bild des zrveihö»
nigen Widders ausgedrückt. Alexander wird in Cap. 11, 3 und 8, 3 deutlich
hervorgehoben; ebenso die Zertheilung seiner Monarchie sofort nach ihm, 2,41 f.,
8, 6 und 11, 4. Die vier Reiche, weiche durch die nach den vier Himmels¬
gegenden gerichteten vier Hörner anstatt des einen (Alexanders) bezeichnet werden,
sind wahrscheinlich Thracien (5l.), Macedonien CA>), Syrien (0.), Aegypten (S.).
Cap. 11 schildert die Kämpfe der Scleutiden (Reich des Nordens) und Aegyptens
(Reich des Südens). Der König, auf den alle speciellen Schilderungen von
Cap. 6 an ausgehen, das frevelhafte Horn, das Lästermaul, der Tyrann, der
die Heiligthümer entehrt, die Opfer abschafft und das Volk Gottes aufs ärgste
drückt, ist Antiochus Epiphanes, den man beschuldigt, drei von seinen zehn Vor¬
gängern umgebracht zu haben (7, 8). Nach diesem erwartet der Seher
unmittelbar das Gottesreich.

Obgleich sich nun über die Bedeutung einiger Nebenpunkte namentlich in
dem sehr speciellen Cap. 11 streiten lave. so ist doch aus dem Gesagten die
Fiction ganz klar. Schon der Neuplatoniker Porphyrius (5 304 n. Chr. G.)
hat diese vollkommen erkannt. Er war durch genaue Studien zu der Ueber¬
zeugung gekommen, daß der Verfasser die Zeit bis auf den Epiphanes richtig
angegeben, von da an aber, weil er der Zukunft so wenig kundig gewesen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/353>, abgerufen am 15.01.2025.