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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Sinnes, daß der Mann, auch nachdem er zu Wohlstand gelangt ist, keinen Sitz
im Abgeordnetenhause einzunehmen wünscht, sondern sich in seinem Comptoir
zu Köln behaglicher und mehr an seiner richtigen Stelle fühlt. Und fürs zweite
will es uns so vorkommen, als stehe hinter ihm ein anderer, der eigentlich alle
diese.großen Entwürfe ausheckt, aus welchen Herrn Classens junge Berühmtheit
sich ihre Staffeln gebaut hat.

Das erste, zur Ausführung gekommene Abgeordnetenfest auf dem Rheins
und das zweite, gewaltsam vereitelte, die Bürgerkrone, welche Präsident Grabow
empfing, als er die versöhnlich klingenden Phrasen der Thronrede im letzten
Januar mit einer bittern Aufzählung der Beschwerden des Landes beantwortete
-- alle diese politischen Maßregeln werden in eingeweihten Kreisen, so viel sich
ermessen läßt, auf eine andere Quelle als Herrn Classen-Kappelmanns Gehirn
zurückgeführt. Sie sollen von Herrn Heinrich Bürgers herrühren, der einst
neben dem sogenannten "rothen Becker" obenan auf der Anklagebank des zu-
sammengcschwindelten kölner Cvmmunistenprvcesses saß und jetzt, nachdem er
einige Strafjahre auf verschiedene" preußischen Festungen elend genug verbüßt
hat, in Köln als Schriftsteller sein Brod verdient. Besucher der Generalver¬
sammlungen des Nationalvereins kennen ihn von Koburg 1862 und von Eisenach
1864 her, seine glühende, lebhaft gesiiculirende, an romanische Vorbilder er¬
innernde Beredsamkeit, seine wiederholten Versuche, den Nationalverein auf aus¬
geprägte revolutionäre Bahnen zu drängen. In der Rheinischen Zeitung, deren
stehender Mitarbeiter er ist, vertritt er neben dem ruhigeren und zu Trans¬
actionen aufgelegteren Dr. Becker -- seinem früheren Schicksalsgenossen -- die
Schärfe und Gluth politischer Leidenschaft. Seiner inneren Disposition nach
ist er nicht Fortschrittsmann, sondern unbedingter Demokrat. Ja, man mag
noch zweifeln, ob er seine ehemalige socialistisch-revolutionäre Weltanschauung
so rückhaltlos wie Becker mit einer nationalökonomisch-liberalen vertauscht hat,
wenn er auch die unzeitigen Angriffe Lassalles auf die Fortschrittspartei öffentlich
gemißbilligt und zurückgewiesen hat. Bei allem Parteihaß hat Herr Bürgers
jedenfalls die Besonnenheit, seine eigne kampfbereite Person nicht ohne Noth
in den Vordergrund zu schieben, sondern läßt es geschehen, ja befördert es sogar,
daß sein Freund Classen-Kappelmann zeitweilig allen Ruhm allein erntet. Ideen,
welche mit dem Namen Bürgers behaftet vielleicht schon im mittleren Bürger¬
stande keinen Curs mehr gewinnen würden, erhalten weittragenden Credit,
wenn der Stempel des "ersten Bürgers von Köln" auf ihnen zu erblicken ist.
Das Popularitätscapital wird nicht verzettelt, das die Männer der Rheinischen
Zeitung aufzubringen im Stande sind, vielmehr auf ein Haupt gehäuft und
dieses so über alle anderen Köpfe im politischen Israel erhöht. Zur rechten
Zeit wird Herr Bürgers seinen vorgeschobenen Freund schon abzulösen wissen.
Herr Classen für die langweilige Zeit der Vorbereitungen, wo man mehr des


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Sinnes, daß der Mann, auch nachdem er zu Wohlstand gelangt ist, keinen Sitz
im Abgeordnetenhause einzunehmen wünscht, sondern sich in seinem Comptoir
zu Köln behaglicher und mehr an seiner richtigen Stelle fühlt. Und fürs zweite
will es uns so vorkommen, als stehe hinter ihm ein anderer, der eigentlich alle
diese.großen Entwürfe ausheckt, aus welchen Herrn Classens junge Berühmtheit
sich ihre Staffeln gebaut hat.

Das erste, zur Ausführung gekommene Abgeordnetenfest auf dem Rheins
und das zweite, gewaltsam vereitelte, die Bürgerkrone, welche Präsident Grabow
empfing, als er die versöhnlich klingenden Phrasen der Thronrede im letzten
Januar mit einer bittern Aufzählung der Beschwerden des Landes beantwortete
— alle diese politischen Maßregeln werden in eingeweihten Kreisen, so viel sich
ermessen läßt, auf eine andere Quelle als Herrn Classen-Kappelmanns Gehirn
zurückgeführt. Sie sollen von Herrn Heinrich Bürgers herrühren, der einst
neben dem sogenannten „rothen Becker" obenan auf der Anklagebank des zu-
sammengcschwindelten kölner Cvmmunistenprvcesses saß und jetzt, nachdem er
einige Strafjahre auf verschiedene» preußischen Festungen elend genug verbüßt
hat, in Köln als Schriftsteller sein Brod verdient. Besucher der Generalver¬
sammlungen des Nationalvereins kennen ihn von Koburg 1862 und von Eisenach
1864 her, seine glühende, lebhaft gesiiculirende, an romanische Vorbilder er¬
innernde Beredsamkeit, seine wiederholten Versuche, den Nationalverein auf aus¬
geprägte revolutionäre Bahnen zu drängen. In der Rheinischen Zeitung, deren
stehender Mitarbeiter er ist, vertritt er neben dem ruhigeren und zu Trans¬
actionen aufgelegteren Dr. Becker — seinem früheren Schicksalsgenossen — die
Schärfe und Gluth politischer Leidenschaft. Seiner inneren Disposition nach
ist er nicht Fortschrittsmann, sondern unbedingter Demokrat. Ja, man mag
noch zweifeln, ob er seine ehemalige socialistisch-revolutionäre Weltanschauung
so rückhaltlos wie Becker mit einer nationalökonomisch-liberalen vertauscht hat,
wenn er auch die unzeitigen Angriffe Lassalles auf die Fortschrittspartei öffentlich
gemißbilligt und zurückgewiesen hat. Bei allem Parteihaß hat Herr Bürgers
jedenfalls die Besonnenheit, seine eigne kampfbereite Person nicht ohne Noth
in den Vordergrund zu schieben, sondern läßt es geschehen, ja befördert es sogar,
daß sein Freund Classen-Kappelmann zeitweilig allen Ruhm allein erntet. Ideen,
welche mit dem Namen Bürgers behaftet vielleicht schon im mittleren Bürger¬
stande keinen Curs mehr gewinnen würden, erhalten weittragenden Credit,
wenn der Stempel des „ersten Bürgers von Köln" auf ihnen zu erblicken ist.
Das Popularitätscapital wird nicht verzettelt, das die Männer der Rheinischen
Zeitung aufzubringen im Stande sind, vielmehr auf ein Haupt gehäuft und
dieses so über alle anderen Köpfe im politischen Israel erhöht. Zur rechten
Zeit wird Herr Bürgers seinen vorgeschobenen Freund schon abzulösen wissen.
Herr Classen für die langweilige Zeit der Vorbereitungen, wo man mehr des


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[0345] Sinnes, daß der Mann, auch nachdem er zu Wohlstand gelangt ist, keinen Sitz im Abgeordnetenhause einzunehmen wünscht, sondern sich in seinem Comptoir zu Köln behaglicher und mehr an seiner richtigen Stelle fühlt. Und fürs zweite will es uns so vorkommen, als stehe hinter ihm ein anderer, der eigentlich alle diese.großen Entwürfe ausheckt, aus welchen Herrn Classens junge Berühmtheit sich ihre Staffeln gebaut hat. Das erste, zur Ausführung gekommene Abgeordnetenfest auf dem Rheins und das zweite, gewaltsam vereitelte, die Bürgerkrone, welche Präsident Grabow empfing, als er die versöhnlich klingenden Phrasen der Thronrede im letzten Januar mit einer bittern Aufzählung der Beschwerden des Landes beantwortete — alle diese politischen Maßregeln werden in eingeweihten Kreisen, so viel sich ermessen läßt, auf eine andere Quelle als Herrn Classen-Kappelmanns Gehirn zurückgeführt. Sie sollen von Herrn Heinrich Bürgers herrühren, der einst neben dem sogenannten „rothen Becker" obenan auf der Anklagebank des zu- sammengcschwindelten kölner Cvmmunistenprvcesses saß und jetzt, nachdem er einige Strafjahre auf verschiedene» preußischen Festungen elend genug verbüßt hat, in Köln als Schriftsteller sein Brod verdient. Besucher der Generalver¬ sammlungen des Nationalvereins kennen ihn von Koburg 1862 und von Eisenach 1864 her, seine glühende, lebhaft gesiiculirende, an romanische Vorbilder er¬ innernde Beredsamkeit, seine wiederholten Versuche, den Nationalverein auf aus¬ geprägte revolutionäre Bahnen zu drängen. In der Rheinischen Zeitung, deren stehender Mitarbeiter er ist, vertritt er neben dem ruhigeren und zu Trans¬ actionen aufgelegteren Dr. Becker — seinem früheren Schicksalsgenossen — die Schärfe und Gluth politischer Leidenschaft. Seiner inneren Disposition nach ist er nicht Fortschrittsmann, sondern unbedingter Demokrat. Ja, man mag noch zweifeln, ob er seine ehemalige socialistisch-revolutionäre Weltanschauung so rückhaltlos wie Becker mit einer nationalökonomisch-liberalen vertauscht hat, wenn er auch die unzeitigen Angriffe Lassalles auf die Fortschrittspartei öffentlich gemißbilligt und zurückgewiesen hat. Bei allem Parteihaß hat Herr Bürgers jedenfalls die Besonnenheit, seine eigne kampfbereite Person nicht ohne Noth in den Vordergrund zu schieben, sondern läßt es geschehen, ja befördert es sogar, daß sein Freund Classen-Kappelmann zeitweilig allen Ruhm allein erntet. Ideen, welche mit dem Namen Bürgers behaftet vielleicht schon im mittleren Bürger¬ stande keinen Curs mehr gewinnen würden, erhalten weittragenden Credit, wenn der Stempel des „ersten Bürgers von Köln" auf ihnen zu erblicken ist. Das Popularitätscapital wird nicht verzettelt, das die Männer der Rheinischen Zeitung aufzubringen im Stande sind, vielmehr auf ein Haupt gehäuft und dieses so über alle anderen Köpfe im politischen Israel erhöht. Zur rechten Zeit wird Herr Bürgers seinen vorgeschobenen Freund schon abzulösen wissen. Herr Classen für die langweilige Zeit der Vorbereitungen, wo man mehr des 46*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/345>, abgerufen am 15.01.2025.