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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Capitel! die Geschichte von Wagners "Tannhnuser" in Paris. In dem Abschnitt
über die Parteien indeß geht er offenbar zu weit, wenn er das Vorhandensein
eigentlicher Parteien in Frankreich läugnet. Es ist gewiß eine arge Uebertreibung,
wenn er sagt: Frivoles Schäkern bilde den Grundzug des französischen National-
charakters, dieses leichtfertige Vcrgnügenfinden an hunderttausend Kleinigkeiten be¬
dinge eine gänzliche Gleichgiltigkeit gegen alle Dinge von ernsteren Gehalt, und die
Franzosen seien besonders deshalb Patrioten, weil sie der Patriotismus amüsirte.
Das paßt doch höchstens auf das Quartier Ladin und ähnliche Kreise.


Ueber das Seelenleben der Thiere. Thatsachen und Betrachtungen.
Von Maximilian Perty. Leipzig und Heidelberg, 186S. C. F. Wintersche
Verlagshandlung. 336 S.

Eine Schrift, die allerdings nicht darauf Anspruch macht, den Gegenstand
wissenschaftlich zu erschöpfen, die aber eine große Anzahl interessanter Beobachtungen
der Physiologen und Psychologen der letzten Jahrzehnte zusammenstellt, und deren
Ansichten über den Unterschied zwischen der Menschen- und der Thierseele, über das,
was man bei den Thieren Gemüth und Willen nennen kann, über Jnstinct und
Kunsttrieb der Thiere, über den psychologischen Charakter der einzelnen Classen der¬
selben u. s. w. sich hören lassen. Recht gut klingt namentlich, was der Verfasser
in Bezug auf den Unterschied zwischen der Menschenseele und der Seele der (höheren)
Thiere sagt. "Die Thiere werden körperlich und geistig früher reif als der
Mensch. Die meisten größeren Landsäugethiere sind in wenigen Jahren ausgewachsen
und fortpflanzungsfähig. Die meisten kommen in Uebereinstimmung hiermit in viel
kürzerer Zeit auch in den vollen Besitz ihrer seelischen Kräfte, zum Theil, weil die
körperlichen Bedingungen, namentlich die Ausbildung von Hirn-, Nerven- und
Sinnensystcm, früher vollständig gegeben sind als im Menschen. Dafür ist aber
auch ihre Vorstcllungswclt früher abgeschlossen und damit die Größe der möglichen
Vervollkommnung sehr beschränkt. Die meisten Vorstellungen der Thiere beziehen sich
auf das eben Gegenwärtige, und die Zahl ihrer Erinnerungsbilder ist nur klein.
Das Thier verhält sich etwa wie ein Kind oder ein ungebildeter Mensch, indem es
leicht, aber nur vorübergehend durch sinnliche Interessen aufgeregt wird und nach
deren Befriedigung wiederum in seine Gleichgiltigkeit zurücksinke, ohne daß Erregung
und Befriedigung ein Nachdenken hierüber veranlaßten und eine Erhöhung seines
geistigen Wesens anbahnten. Nur fragmentarisch gereizt, ist das Thier nicht wie der
Mensch im Stande, zuerst eine reiche Menge von Erfahrungen in sich anzusammeln
und festzuhalten und so zu verarbeiten, daß sich daraus Beweggründe zu zusammen¬
hängendem Handeln bilden. Während der Mensch in sich das ganze Universum
aufnimmt, nimmt das Thier nur einen kleinen Theil der äußeren Welt in seine
innere auf, und so sehlt seinem Seelenleben auch der Charakter der Allgemein¬
heit, indem es nicht zu umfassenden Begriffen fortschreiten, überhaupt nicht im
höhern Sinne denken, daher auch nicht sprechen kann.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag von F. L. Herbig. -- Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

Capitel! die Geschichte von Wagners „Tannhnuser" in Paris. In dem Abschnitt
über die Parteien indeß geht er offenbar zu weit, wenn er das Vorhandensein
eigentlicher Parteien in Frankreich läugnet. Es ist gewiß eine arge Uebertreibung,
wenn er sagt: Frivoles Schäkern bilde den Grundzug des französischen National-
charakters, dieses leichtfertige Vcrgnügenfinden an hunderttausend Kleinigkeiten be¬
dinge eine gänzliche Gleichgiltigkeit gegen alle Dinge von ernsteren Gehalt, und die
Franzosen seien besonders deshalb Patrioten, weil sie der Patriotismus amüsirte.
Das paßt doch höchstens auf das Quartier Ladin und ähnliche Kreise.


Ueber das Seelenleben der Thiere. Thatsachen und Betrachtungen.
Von Maximilian Perty. Leipzig und Heidelberg, 186S. C. F. Wintersche
Verlagshandlung. 336 S.

Eine Schrift, die allerdings nicht darauf Anspruch macht, den Gegenstand
wissenschaftlich zu erschöpfen, die aber eine große Anzahl interessanter Beobachtungen
der Physiologen und Psychologen der letzten Jahrzehnte zusammenstellt, und deren
Ansichten über den Unterschied zwischen der Menschen- und der Thierseele, über das,
was man bei den Thieren Gemüth und Willen nennen kann, über Jnstinct und
Kunsttrieb der Thiere, über den psychologischen Charakter der einzelnen Classen der¬
selben u. s. w. sich hören lassen. Recht gut klingt namentlich, was der Verfasser
in Bezug auf den Unterschied zwischen der Menschenseele und der Seele der (höheren)
Thiere sagt. „Die Thiere werden körperlich und geistig früher reif als der
Mensch. Die meisten größeren Landsäugethiere sind in wenigen Jahren ausgewachsen
und fortpflanzungsfähig. Die meisten kommen in Uebereinstimmung hiermit in viel
kürzerer Zeit auch in den vollen Besitz ihrer seelischen Kräfte, zum Theil, weil die
körperlichen Bedingungen, namentlich die Ausbildung von Hirn-, Nerven- und
Sinnensystcm, früher vollständig gegeben sind als im Menschen. Dafür ist aber
auch ihre Vorstcllungswclt früher abgeschlossen und damit die Größe der möglichen
Vervollkommnung sehr beschränkt. Die meisten Vorstellungen der Thiere beziehen sich
auf das eben Gegenwärtige, und die Zahl ihrer Erinnerungsbilder ist nur klein.
Das Thier verhält sich etwa wie ein Kind oder ein ungebildeter Mensch, indem es
leicht, aber nur vorübergehend durch sinnliche Interessen aufgeregt wird und nach
deren Befriedigung wiederum in seine Gleichgiltigkeit zurücksinke, ohne daß Erregung
und Befriedigung ein Nachdenken hierüber veranlaßten und eine Erhöhung seines
geistigen Wesens anbahnten. Nur fragmentarisch gereizt, ist das Thier nicht wie der
Mensch im Stande, zuerst eine reiche Menge von Erfahrungen in sich anzusammeln
und festzuhalten und so zu verarbeiten, daß sich daraus Beweggründe zu zusammen¬
hängendem Handeln bilden. Während der Mensch in sich das ganze Universum
aufnimmt, nimmt das Thier nur einen kleinen Theil der äußeren Welt in seine
innere auf, und so sehlt seinem Seelenleben auch der Charakter der Allgemein¬
heit, indem es nicht zu umfassenden Begriffen fortschreiten, überhaupt nicht im
höhern Sinne denken, daher auch nicht sprechen kann.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag von F. L. Herbig. — Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
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[0298] Capitel! die Geschichte von Wagners „Tannhnuser" in Paris. In dem Abschnitt über die Parteien indeß geht er offenbar zu weit, wenn er das Vorhandensein eigentlicher Parteien in Frankreich läugnet. Es ist gewiß eine arge Uebertreibung, wenn er sagt: Frivoles Schäkern bilde den Grundzug des französischen National- charakters, dieses leichtfertige Vcrgnügenfinden an hunderttausend Kleinigkeiten be¬ dinge eine gänzliche Gleichgiltigkeit gegen alle Dinge von ernsteren Gehalt, und die Franzosen seien besonders deshalb Patrioten, weil sie der Patriotismus amüsirte. Das paßt doch höchstens auf das Quartier Ladin und ähnliche Kreise. Ueber das Seelenleben der Thiere. Thatsachen und Betrachtungen. Von Maximilian Perty. Leipzig und Heidelberg, 186S. C. F. Wintersche Verlagshandlung. 336 S. Eine Schrift, die allerdings nicht darauf Anspruch macht, den Gegenstand wissenschaftlich zu erschöpfen, die aber eine große Anzahl interessanter Beobachtungen der Physiologen und Psychologen der letzten Jahrzehnte zusammenstellt, und deren Ansichten über den Unterschied zwischen der Menschen- und der Thierseele, über das, was man bei den Thieren Gemüth und Willen nennen kann, über Jnstinct und Kunsttrieb der Thiere, über den psychologischen Charakter der einzelnen Classen der¬ selben u. s. w. sich hören lassen. Recht gut klingt namentlich, was der Verfasser in Bezug auf den Unterschied zwischen der Menschenseele und der Seele der (höheren) Thiere sagt. „Die Thiere werden körperlich und geistig früher reif als der Mensch. Die meisten größeren Landsäugethiere sind in wenigen Jahren ausgewachsen und fortpflanzungsfähig. Die meisten kommen in Uebereinstimmung hiermit in viel kürzerer Zeit auch in den vollen Besitz ihrer seelischen Kräfte, zum Theil, weil die körperlichen Bedingungen, namentlich die Ausbildung von Hirn-, Nerven- und Sinnensystcm, früher vollständig gegeben sind als im Menschen. Dafür ist aber auch ihre Vorstcllungswclt früher abgeschlossen und damit die Größe der möglichen Vervollkommnung sehr beschränkt. Die meisten Vorstellungen der Thiere beziehen sich auf das eben Gegenwärtige, und die Zahl ihrer Erinnerungsbilder ist nur klein. Das Thier verhält sich etwa wie ein Kind oder ein ungebildeter Mensch, indem es leicht, aber nur vorübergehend durch sinnliche Interessen aufgeregt wird und nach deren Befriedigung wiederum in seine Gleichgiltigkeit zurücksinke, ohne daß Erregung und Befriedigung ein Nachdenken hierüber veranlaßten und eine Erhöhung seines geistigen Wesens anbahnten. Nur fragmentarisch gereizt, ist das Thier nicht wie der Mensch im Stande, zuerst eine reiche Menge von Erfahrungen in sich anzusammeln und festzuhalten und so zu verarbeiten, daß sich daraus Beweggründe zu zusammen¬ hängendem Handeln bilden. Während der Mensch in sich das ganze Universum aufnimmt, nimmt das Thier nur einen kleinen Theil der äußeren Welt in seine innere auf, und so sehlt seinem Seelenleben auch der Charakter der Allgemein¬ heit, indem es nicht zu umfassenden Begriffen fortschreiten, überhaupt nicht im höhern Sinne denken, daher auch nicht sprechen kann. Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch. Verlag von F. L. Herbig. — Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/298>, abgerufen am 15.01.2025.