Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.den diese Bauten bekunden? Die Lobredner der Regierung wissen beides nicht Prüfen wir diese großen Worte an den Thatsachen. Wie die Regierung des nachmärzlichen Oestreich mit der Säbelherrschaft Man hatte mit Aufbietung aller Kräfte und indem man die Nationalitäten den diese Bauten bekunden? Die Lobredner der Regierung wissen beides nicht Prüfen wir diese großen Worte an den Thatsachen. Wie die Regierung des nachmärzlichen Oestreich mit der Säbelherrschaft Man hatte mit Aufbietung aller Kräfte und indem man die Nationalitäten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0288" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283641"/> <p xml:id="ID_804" prev="#ID_803"> den diese Bauten bekunden? Die Lobredner der Regierung wissen beides nicht<lb/> genug zu preisen. Nach ihnen wären die betreffenden Gebäude der neuesten<lb/> Aera das Beste, was die neuere Baukunst auszuweisen hat, und selbst die<lb/> Schöpfungen Karls des Vierten von Böhmen, Mathias Corvinus' oder Rudolfs<lb/> des Stifters blieben dagegen weit zurück. Man entblödete sich nicht zu be¬<lb/> haupten, „wenn Karl der Vierte die prager Neustadt angelegt und die steinerne<lb/> Moldaubrücke erbaut habe, so habe der Befehl zur Niederreißung der Basteien<lb/> mit einem Schlage Wien zur Weltstadt ersten Ranges gemacht"; das fünf¬<lb/> hundertjährige Riesenwerk, welches die beiden Hälften der Böhmcnhauptstadt ver¬<lb/> bindet, wurde allen Ernstes mit den beiden kurzen Kettenbrücken über den schmalen<lb/> Donauarm zwischen der Leopoldstadt und der innern Stadt verglichen; der<lb/> ofner Königspalast, fuhr man fort, der Vyssegrad bei Gran und der mächtige<lb/> Karlstcin seien auch zur Zeit ihrer größten Herrlichkeit mit dem wiener Arsenal<lb/> nicht in Parcillele zu bringen gewesen, und die Stephanskirche habe erst jetzt<lb/> die ihr mangelnde Vollendung erhalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_805"> Prüfen wir diese großen Worte an den Thatsachen.</p><lb/> <p xml:id="ID_806"> Wie die Regierung des nachmärzlichen Oestreich mit der Säbelherrschaft<lb/> begann und dann an deren Stelle das noch drückendere Joch des Priesters und<lb/> des Bureaukraten treten ließ, Vieles anfing und nur Weniges consequent durch¬<lb/> führte, wie sie fast überall mehr an den Effect als an den wahren Nutzen<lb/> dachte, so nehmen auch unter den seit dem Jahre 1848 ausgeführten Gebäuden<lb/> Kasernen und Kirchen den ersten Platz ein, wurden bereits in Angriff ge¬<lb/> nommene Projecte aufgegeben, und findet man endlich wohl viele große und<lb/> verzierte, aber nur wenige vollkommen zweckmäßig eingerichtete und schöne<lb/> Gebäude.</p><lb/> <p xml:id="ID_807" next="#ID_808"> Man hatte mit Aufbietung aller Kräfte und indem man die Nationalitäten<lb/> gegeneinander ins Treffen führte, die Revolution besiegt, aber man fürchtete<lb/> die Wiederkehr derselben und suchte sie durch alle möglichen äußerlichen Mittel<lb/> zu verhindern. Die alten Bergschlösser und Castelle bei den größeren Städten<lb/> wurden, nachdem sie Jahrhunderte hindurch fast nur als Ausenthalt für Eulen<lb/> und Fledermäuse gedient hatten, mit großem Kostenaufwande wiederhergestellt<lb/> und armirt, und die Zahl der in den amtlichen Ausweisen als „Festungen"<lb/> aufgeführten Plätze wurde binnen Jahresfrist ziemlich verdoppelt. Wien hatte<lb/> keine Citadelle, und da die Vollendung einer solchen viel Zeit erfordert hätte,<lb/> beschloß man, die Wälle der eigentlichen Stadt zu verstärken und in einen<lb/> Sammelplatz für deren Besatzung zu verwandeln. So entstanden denn aus<lb/> Geheiß des Generals Melden jene famosen — nunmehr spurlos verschwundenen<lb/> — Wachthäuser und Gallerten, welche sich auf den kolossalen Wällen wie<lb/> Schwalbennester ausnahmen und wohl nur von den furchtsamsten Spießbürgern<lb/> als etwas Besorgnis) Erregendes angesehen werden konnten. Auf Anregen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0288]
den diese Bauten bekunden? Die Lobredner der Regierung wissen beides nicht
genug zu preisen. Nach ihnen wären die betreffenden Gebäude der neuesten
Aera das Beste, was die neuere Baukunst auszuweisen hat, und selbst die
Schöpfungen Karls des Vierten von Böhmen, Mathias Corvinus' oder Rudolfs
des Stifters blieben dagegen weit zurück. Man entblödete sich nicht zu be¬
haupten, „wenn Karl der Vierte die prager Neustadt angelegt und die steinerne
Moldaubrücke erbaut habe, so habe der Befehl zur Niederreißung der Basteien
mit einem Schlage Wien zur Weltstadt ersten Ranges gemacht"; das fünf¬
hundertjährige Riesenwerk, welches die beiden Hälften der Böhmcnhauptstadt ver¬
bindet, wurde allen Ernstes mit den beiden kurzen Kettenbrücken über den schmalen
Donauarm zwischen der Leopoldstadt und der innern Stadt verglichen; der
ofner Königspalast, fuhr man fort, der Vyssegrad bei Gran und der mächtige
Karlstcin seien auch zur Zeit ihrer größten Herrlichkeit mit dem wiener Arsenal
nicht in Parcillele zu bringen gewesen, und die Stephanskirche habe erst jetzt
die ihr mangelnde Vollendung erhalten.
Prüfen wir diese großen Worte an den Thatsachen.
Wie die Regierung des nachmärzlichen Oestreich mit der Säbelherrschaft
begann und dann an deren Stelle das noch drückendere Joch des Priesters und
des Bureaukraten treten ließ, Vieles anfing und nur Weniges consequent durch¬
führte, wie sie fast überall mehr an den Effect als an den wahren Nutzen
dachte, so nehmen auch unter den seit dem Jahre 1848 ausgeführten Gebäuden
Kasernen und Kirchen den ersten Platz ein, wurden bereits in Angriff ge¬
nommene Projecte aufgegeben, und findet man endlich wohl viele große und
verzierte, aber nur wenige vollkommen zweckmäßig eingerichtete und schöne
Gebäude.
Man hatte mit Aufbietung aller Kräfte und indem man die Nationalitäten
gegeneinander ins Treffen führte, die Revolution besiegt, aber man fürchtete
die Wiederkehr derselben und suchte sie durch alle möglichen äußerlichen Mittel
zu verhindern. Die alten Bergschlösser und Castelle bei den größeren Städten
wurden, nachdem sie Jahrhunderte hindurch fast nur als Ausenthalt für Eulen
und Fledermäuse gedient hatten, mit großem Kostenaufwande wiederhergestellt
und armirt, und die Zahl der in den amtlichen Ausweisen als „Festungen"
aufgeführten Plätze wurde binnen Jahresfrist ziemlich verdoppelt. Wien hatte
keine Citadelle, und da die Vollendung einer solchen viel Zeit erfordert hätte,
beschloß man, die Wälle der eigentlichen Stadt zu verstärken und in einen
Sammelplatz für deren Besatzung zu verwandeln. So entstanden denn aus
Geheiß des Generals Melden jene famosen — nunmehr spurlos verschwundenen
— Wachthäuser und Gallerten, welche sich auf den kolossalen Wällen wie
Schwalbennester ausnahmen und wohl nur von den furchtsamsten Spießbürgern
als etwas Besorgnis) Erregendes angesehen werden konnten. Auf Anregen
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