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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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rothen Saal hängt, treten wir wieder in diesen, da die Zeit zum Verlassen des
Cabinets drängt. Noch einige Minuten des Verweilens vor einer seiner Schrank¬
thüren und vor der Wand nahe der Pforte, durch die wir eben von dorther
kamen. Dort an der Rückseite des ersten höhern Schrankes zunächst der oben
erwähnten Barnöre ist es ein kleines da eingelassnes Blättchen, das uns in
immer gesteigerter Bewunderung fesselt. Ein winziger elender Garten mit dün¬
nen niedern Bäumchen, mit der Feder skizznt, in den wir von oben hinein¬
blicken, umstanden von alten Hinterhäusern mit hohen, spitzansteigenden, grauen
Dächern. Ein Ton für diese vom Licht getroffnen Flächen, eine wechselnde
Mischung von Gelb, Roth und Grau für die Schattenmassen der Hausmauern,
nur oben ganz dünn angetuscht, das ist das ganze Bild. Aber durch welches
Wunder der Kunst und Meisterschaft ist hier damit die volle Sonne selbst ge¬
malt, und zwar die Frühlingssonne in all ihrer Lieblichkeit, welche über die arm
seligste irdische Wirklichkeit, über verschimmelte Hofwände und kümmerliche
Gärtchen einen so lachenden Zauber hinbrcitet, daß er eines großen Künstlers
Seele zu solchem Werk begeisterte. Dieser Künstler war Ruysdael. Am 1. Mai
1641 lag er "wo Naastridit" (so sagt die Schrift oben rechts in der Ecke)
wohl in seinem Fenster und sah hinab in den alten stillen Hof davor, und
was er da sah, hat er uns hier "ZetooKent". An der Wand neben der Thür
hängt ein ganz verbranntes Papier mit einigen kühnen mächtigen Federzügen.
Wir kennen die erhabne Schöpfung, deren ersten Gedanken Rafael Sanzio in
diesen großen Zügen darauf hinwarf, wie er vor seines Geistes Auge aufstieg:
der Fischzug Petri, aus dem Reiche der vatikanischen Tapeten. Man sieht, er
sah dies Wunderwerk bereits ganz so vor sich, wie es auf dem Carton zu
Hamptoncourt in übermenschlicher Größe und Herrlichkeit später vollendet da¬
stand. Nur die Wasservögel im Vorgrund und die Landschaft hinten am See¬
ufer fehlen noch im Entwurf. Dieser zeigt keinen Namen, keine Chiffer, kein
Monogramm; und keine Zeichnung bedürfte weniger eines solchen zu ihrer Le-
gitimirung als diese. Denn der rafaelische Genius i" dieser Periode seiner
vollsten Reife, in der Fülle seiner ernsten Gewalt, seiner stillen Größe, seiner
schlichten Anmuth hat sich darin mit einer Kraft und Nachdrücklichkeit jedem Sehen¬
den offenbart, vor welcher noch nie ein Zweifel sich auch nur zu erheben wagte.

Mit diesem Eindruck in der Seele verlassen wir den Saal und seine an¬
dern Schätze. Um das, was wir davon in uns aufgenommen, nicht den hier
draußen sofort ringsum andrängenden, nun doppelt mißtönig verwirrenden,
modernen Kunsteinwirkungen hinzugeben, schließen wir am liebsten im Treppen¬
hause die Augen und wollen sie erst unten im Saale links vor dem Meoiceer-
grabmal Michelangelos oder rechts vor den erhabnen Resten phidiasscher Kunst,
den parthenonischen Giebeltrümmern und Culter-Friesen öffnen. Da athmen
Wir wieder dieselbe Luft "und Du Spürst keinen Uebergang/.




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rothen Saal hängt, treten wir wieder in diesen, da die Zeit zum Verlassen des
Cabinets drängt. Noch einige Minuten des Verweilens vor einer seiner Schrank¬
thüren und vor der Wand nahe der Pforte, durch die wir eben von dorther
kamen. Dort an der Rückseite des ersten höhern Schrankes zunächst der oben
erwähnten Barnöre ist es ein kleines da eingelassnes Blättchen, das uns in
immer gesteigerter Bewunderung fesselt. Ein winziger elender Garten mit dün¬
nen niedern Bäumchen, mit der Feder skizznt, in den wir von oben hinein¬
blicken, umstanden von alten Hinterhäusern mit hohen, spitzansteigenden, grauen
Dächern. Ein Ton für diese vom Licht getroffnen Flächen, eine wechselnde
Mischung von Gelb, Roth und Grau für die Schattenmassen der Hausmauern,
nur oben ganz dünn angetuscht, das ist das ganze Bild. Aber durch welches
Wunder der Kunst und Meisterschaft ist hier damit die volle Sonne selbst ge¬
malt, und zwar die Frühlingssonne in all ihrer Lieblichkeit, welche über die arm
seligste irdische Wirklichkeit, über verschimmelte Hofwände und kümmerliche
Gärtchen einen so lachenden Zauber hinbrcitet, daß er eines großen Künstlers
Seele zu solchem Werk begeisterte. Dieser Künstler war Ruysdael. Am 1. Mai
1641 lag er „wo Naastridit" (so sagt die Schrift oben rechts in der Ecke)
wohl in seinem Fenster und sah hinab in den alten stillen Hof davor, und
was er da sah, hat er uns hier „ZetooKent". An der Wand neben der Thür
hängt ein ganz verbranntes Papier mit einigen kühnen mächtigen Federzügen.
Wir kennen die erhabne Schöpfung, deren ersten Gedanken Rafael Sanzio in
diesen großen Zügen darauf hinwarf, wie er vor seines Geistes Auge aufstieg:
der Fischzug Petri, aus dem Reiche der vatikanischen Tapeten. Man sieht, er
sah dies Wunderwerk bereits ganz so vor sich, wie es auf dem Carton zu
Hamptoncourt in übermenschlicher Größe und Herrlichkeit später vollendet da¬
stand. Nur die Wasservögel im Vorgrund und die Landschaft hinten am See¬
ufer fehlen noch im Entwurf. Dieser zeigt keinen Namen, keine Chiffer, kein
Monogramm; und keine Zeichnung bedürfte weniger eines solchen zu ihrer Le-
gitimirung als diese. Denn der rafaelische Genius i» dieser Periode seiner
vollsten Reife, in der Fülle seiner ernsten Gewalt, seiner stillen Größe, seiner
schlichten Anmuth hat sich darin mit einer Kraft und Nachdrücklichkeit jedem Sehen¬
den offenbart, vor welcher noch nie ein Zweifel sich auch nur zu erheben wagte.

Mit diesem Eindruck in der Seele verlassen wir den Saal und seine an¬
dern Schätze. Um das, was wir davon in uns aufgenommen, nicht den hier
draußen sofort ringsum andrängenden, nun doppelt mißtönig verwirrenden,
modernen Kunsteinwirkungen hinzugeben, schließen wir am liebsten im Treppen¬
hause die Augen und wollen sie erst unten im Saale links vor dem Meoiceer-
grabmal Michelangelos oder rechts vor den erhabnen Resten phidiasscher Kunst,
den parthenonischen Giebeltrümmern und Culter-Friesen öffnen. Da athmen
Wir wieder dieselbe Luft „und Du Spürst keinen Uebergang/.




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[0243] rothen Saal hängt, treten wir wieder in diesen, da die Zeit zum Verlassen des Cabinets drängt. Noch einige Minuten des Verweilens vor einer seiner Schrank¬ thüren und vor der Wand nahe der Pforte, durch die wir eben von dorther kamen. Dort an der Rückseite des ersten höhern Schrankes zunächst der oben erwähnten Barnöre ist es ein kleines da eingelassnes Blättchen, das uns in immer gesteigerter Bewunderung fesselt. Ein winziger elender Garten mit dün¬ nen niedern Bäumchen, mit der Feder skizznt, in den wir von oben hinein¬ blicken, umstanden von alten Hinterhäusern mit hohen, spitzansteigenden, grauen Dächern. Ein Ton für diese vom Licht getroffnen Flächen, eine wechselnde Mischung von Gelb, Roth und Grau für die Schattenmassen der Hausmauern, nur oben ganz dünn angetuscht, das ist das ganze Bild. Aber durch welches Wunder der Kunst und Meisterschaft ist hier damit die volle Sonne selbst ge¬ malt, und zwar die Frühlingssonne in all ihrer Lieblichkeit, welche über die arm seligste irdische Wirklichkeit, über verschimmelte Hofwände und kümmerliche Gärtchen einen so lachenden Zauber hinbrcitet, daß er eines großen Künstlers Seele zu solchem Werk begeisterte. Dieser Künstler war Ruysdael. Am 1. Mai 1641 lag er „wo Naastridit" (so sagt die Schrift oben rechts in der Ecke) wohl in seinem Fenster und sah hinab in den alten stillen Hof davor, und was er da sah, hat er uns hier „ZetooKent". An der Wand neben der Thür hängt ein ganz verbranntes Papier mit einigen kühnen mächtigen Federzügen. Wir kennen die erhabne Schöpfung, deren ersten Gedanken Rafael Sanzio in diesen großen Zügen darauf hinwarf, wie er vor seines Geistes Auge aufstieg: der Fischzug Petri, aus dem Reiche der vatikanischen Tapeten. Man sieht, er sah dies Wunderwerk bereits ganz so vor sich, wie es auf dem Carton zu Hamptoncourt in übermenschlicher Größe und Herrlichkeit später vollendet da¬ stand. Nur die Wasservögel im Vorgrund und die Landschaft hinten am See¬ ufer fehlen noch im Entwurf. Dieser zeigt keinen Namen, keine Chiffer, kein Monogramm; und keine Zeichnung bedürfte weniger eines solchen zu ihrer Le- gitimirung als diese. Denn der rafaelische Genius i» dieser Periode seiner vollsten Reife, in der Fülle seiner ernsten Gewalt, seiner stillen Größe, seiner schlichten Anmuth hat sich darin mit einer Kraft und Nachdrücklichkeit jedem Sehen¬ den offenbart, vor welcher noch nie ein Zweifel sich auch nur zu erheben wagte. Mit diesem Eindruck in der Seele verlassen wir den Saal und seine an¬ dern Schätze. Um das, was wir davon in uns aufgenommen, nicht den hier draußen sofort ringsum andrängenden, nun doppelt mißtönig verwirrenden, modernen Kunsteinwirkungen hinzugeben, schließen wir am liebsten im Treppen¬ hause die Augen und wollen sie erst unten im Saale links vor dem Meoiceer- grabmal Michelangelos oder rechts vor den erhabnen Resten phidiasscher Kunst, den parthenonischen Giebeltrümmern und Culter-Friesen öffnen. Da athmen Wir wieder dieselbe Luft „und Du Spürst keinen Uebergang/. 29*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/243>, abgerufen am 15.01.2025.