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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Thierstudien in Kohle und Aquarell von Holbein und Dürer, diesen unbe¬
schreiblich geistvollen und delicaten Porträtzeichnungen mit farbigen Stiften von
dem großen Stecher Georg Schmidt, dieser schönen Studie des Mannes mit
dem spitzen Hut von Rembrandts Hand, den Miniaturen, den Federzeichnungen
von Mantegna und Signorelli, den Blättern vom alten ehrwürdigen Meister
Schongauer, den Farbenskizzen Karl Blechens, dem süßen kleinen Roccocoköps-
chen eines jungen Mädchens im Häubchen von einem Unbekannten, dem stolzen
Prachtbilde Louis des Fünfzehnten in einer Pastellausführung, welche an
Glanz und Kraft der Farbenwirkung dem besten Oelbilde nahe kommt.

Aber vor einem Bilde an dieser Wand bleibt auch der sehensmüdeste Beschauer
stehen, und das Gefühl der Abstumpfung weicht dem innigen Interesse, der
herzlichen Freude an der Betrachtung. Es ist das lebensgroße Brustbild einer
jungen Frau, ein bereits etwas ausgebleichtes Pastell aus den letzten siebziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts,' wie Tracht und Frisur andeutet. Auf
schmalen feinen Schultern und schlankem Halse, dessen Kleidausschnitt noch den
zartesten jugci Uichen Busen dem Blick zeigt, ein Köpfchen von einer holdseli¬
gen Lieblichkeit, von einem süßen Reiz, an dem jede Schilderung erlahmt.
Das überschwänglich üppige, anscheinend blonde, leicht gepuderte Haar, ist zu
der ungeheuerlichen Frisur jener Tage, aber in freiern Wellen, nicht dem stei¬
fen künstlichen Lockenbau, von der feinen Stirn aufwärts gethürmt und in der
Höhe von einem blauen Bande umschlungen. Diese über die Schulterbreite
noch hinausschwcllende Masse läßt durch den Gegensatz die delikaten Formen
und Züge des Gesichts noch feiner und zierlicher erscheinen. Das Köpfchen ist
leicht auf die linke Seite geneigt, als wäre dem zarten Halse die holde Last
zu schwer, und wirft dorthin aus einem Paar großer dunkelbrauner Augen voll
feuchten Schmelzes und süßen Feuers einen wahrhaft Sinn und Seele bethö¬
renden Blick. Weh dem, den er trifft! Glücklicherweise ist es nicht der Be¬
schauer selbst, aber man begreift vor diesem Bilde mancherlei oft wiederkehrende
romantische Sagen von der tödtlichen verzehrenden Leidenschaft, welche entzünd¬
bare Gemüther für irgendein gemaltes Idol, ein meisterliches Frauenbild er¬
griffen. Wenn wir dies holde Gespenst beschwören wollten, so könnte es von
einer glänzenden Vergangenheit, von leidenschaftlichen Abenteuern, von heißer
Fürstenlicbe, von versunkner Tagen übermüthiger freier Lust und viel heitern
Noccocosünden erzählen; denn im Leben nannte es sich Generalin Witt und
Gräfin Potocka. Aber der Maler, der dies wunderbare Bildniß geschaffen, ist
nicht genannt, und unsere sonst zum Taufen so bereiten Kunstgelehrten, wo es sich
um Meister früherer Jahrhunderte handelt, geben sich bei Werken aus dieser
sogenannten "Zeit des tiefen Verfalls" (!) nicht die gleiche Mühe.

Vorbei an der köstlichen Federzeichnung der Madonna mit dem Kinde von
Francesco Franc!", die vom kunstvollsten Rahmen umfaßt im Durchgang zum


Thierstudien in Kohle und Aquarell von Holbein und Dürer, diesen unbe¬
schreiblich geistvollen und delicaten Porträtzeichnungen mit farbigen Stiften von
dem großen Stecher Georg Schmidt, dieser schönen Studie des Mannes mit
dem spitzen Hut von Rembrandts Hand, den Miniaturen, den Federzeichnungen
von Mantegna und Signorelli, den Blättern vom alten ehrwürdigen Meister
Schongauer, den Farbenskizzen Karl Blechens, dem süßen kleinen Roccocoköps-
chen eines jungen Mädchens im Häubchen von einem Unbekannten, dem stolzen
Prachtbilde Louis des Fünfzehnten in einer Pastellausführung, welche an
Glanz und Kraft der Farbenwirkung dem besten Oelbilde nahe kommt.

Aber vor einem Bilde an dieser Wand bleibt auch der sehensmüdeste Beschauer
stehen, und das Gefühl der Abstumpfung weicht dem innigen Interesse, der
herzlichen Freude an der Betrachtung. Es ist das lebensgroße Brustbild einer
jungen Frau, ein bereits etwas ausgebleichtes Pastell aus den letzten siebziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts,' wie Tracht und Frisur andeutet. Auf
schmalen feinen Schultern und schlankem Halse, dessen Kleidausschnitt noch den
zartesten jugci Uichen Busen dem Blick zeigt, ein Köpfchen von einer holdseli¬
gen Lieblichkeit, von einem süßen Reiz, an dem jede Schilderung erlahmt.
Das überschwänglich üppige, anscheinend blonde, leicht gepuderte Haar, ist zu
der ungeheuerlichen Frisur jener Tage, aber in freiern Wellen, nicht dem stei¬
fen künstlichen Lockenbau, von der feinen Stirn aufwärts gethürmt und in der
Höhe von einem blauen Bande umschlungen. Diese über die Schulterbreite
noch hinausschwcllende Masse läßt durch den Gegensatz die delikaten Formen
und Züge des Gesichts noch feiner und zierlicher erscheinen. Das Köpfchen ist
leicht auf die linke Seite geneigt, als wäre dem zarten Halse die holde Last
zu schwer, und wirft dorthin aus einem Paar großer dunkelbrauner Augen voll
feuchten Schmelzes und süßen Feuers einen wahrhaft Sinn und Seele bethö¬
renden Blick. Weh dem, den er trifft! Glücklicherweise ist es nicht der Be¬
schauer selbst, aber man begreift vor diesem Bilde mancherlei oft wiederkehrende
romantische Sagen von der tödtlichen verzehrenden Leidenschaft, welche entzünd¬
bare Gemüther für irgendein gemaltes Idol, ein meisterliches Frauenbild er¬
griffen. Wenn wir dies holde Gespenst beschwören wollten, so könnte es von
einer glänzenden Vergangenheit, von leidenschaftlichen Abenteuern, von heißer
Fürstenlicbe, von versunkner Tagen übermüthiger freier Lust und viel heitern
Noccocosünden erzählen; denn im Leben nannte es sich Generalin Witt und
Gräfin Potocka. Aber der Maler, der dies wunderbare Bildniß geschaffen, ist
nicht genannt, und unsere sonst zum Taufen so bereiten Kunstgelehrten, wo es sich
um Meister früherer Jahrhunderte handelt, geben sich bei Werken aus dieser
sogenannten „Zeit des tiefen Verfalls" (!) nicht die gleiche Mühe.

Vorbei an der köstlichen Federzeichnung der Madonna mit dem Kinde von
Francesco Franc!«, die vom kunstvollsten Rahmen umfaßt im Durchgang zum


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[0242] Thierstudien in Kohle und Aquarell von Holbein und Dürer, diesen unbe¬ schreiblich geistvollen und delicaten Porträtzeichnungen mit farbigen Stiften von dem großen Stecher Georg Schmidt, dieser schönen Studie des Mannes mit dem spitzen Hut von Rembrandts Hand, den Miniaturen, den Federzeichnungen von Mantegna und Signorelli, den Blättern vom alten ehrwürdigen Meister Schongauer, den Farbenskizzen Karl Blechens, dem süßen kleinen Roccocoköps- chen eines jungen Mädchens im Häubchen von einem Unbekannten, dem stolzen Prachtbilde Louis des Fünfzehnten in einer Pastellausführung, welche an Glanz und Kraft der Farbenwirkung dem besten Oelbilde nahe kommt. Aber vor einem Bilde an dieser Wand bleibt auch der sehensmüdeste Beschauer stehen, und das Gefühl der Abstumpfung weicht dem innigen Interesse, der herzlichen Freude an der Betrachtung. Es ist das lebensgroße Brustbild einer jungen Frau, ein bereits etwas ausgebleichtes Pastell aus den letzten siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts,' wie Tracht und Frisur andeutet. Auf schmalen feinen Schultern und schlankem Halse, dessen Kleidausschnitt noch den zartesten jugci Uichen Busen dem Blick zeigt, ein Köpfchen von einer holdseli¬ gen Lieblichkeit, von einem süßen Reiz, an dem jede Schilderung erlahmt. Das überschwänglich üppige, anscheinend blonde, leicht gepuderte Haar, ist zu der ungeheuerlichen Frisur jener Tage, aber in freiern Wellen, nicht dem stei¬ fen künstlichen Lockenbau, von der feinen Stirn aufwärts gethürmt und in der Höhe von einem blauen Bande umschlungen. Diese über die Schulterbreite noch hinausschwcllende Masse läßt durch den Gegensatz die delikaten Formen und Züge des Gesichts noch feiner und zierlicher erscheinen. Das Köpfchen ist leicht auf die linke Seite geneigt, als wäre dem zarten Halse die holde Last zu schwer, und wirft dorthin aus einem Paar großer dunkelbrauner Augen voll feuchten Schmelzes und süßen Feuers einen wahrhaft Sinn und Seele bethö¬ renden Blick. Weh dem, den er trifft! Glücklicherweise ist es nicht der Be¬ schauer selbst, aber man begreift vor diesem Bilde mancherlei oft wiederkehrende romantische Sagen von der tödtlichen verzehrenden Leidenschaft, welche entzünd¬ bare Gemüther für irgendein gemaltes Idol, ein meisterliches Frauenbild er¬ griffen. Wenn wir dies holde Gespenst beschwören wollten, so könnte es von einer glänzenden Vergangenheit, von leidenschaftlichen Abenteuern, von heißer Fürstenlicbe, von versunkner Tagen übermüthiger freier Lust und viel heitern Noccocosünden erzählen; denn im Leben nannte es sich Generalin Witt und Gräfin Potocka. Aber der Maler, der dies wunderbare Bildniß geschaffen, ist nicht genannt, und unsere sonst zum Taufen so bereiten Kunstgelehrten, wo es sich um Meister früherer Jahrhunderte handelt, geben sich bei Werken aus dieser sogenannten „Zeit des tiefen Verfalls" (!) nicht die gleiche Mühe. Vorbei an der köstlichen Federzeichnung der Madonna mit dem Kinde von Francesco Franc!«, die vom kunstvollsten Rahmen umfaßt im Durchgang zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/242>, abgerufen am 15.01.2025.