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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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gemäß §. 82. gebildet werden kann, so erläßt der Ge.ichtshof das Urtheil ohne
Mitwirkung der Geschwornen. Unsre politischen Rechte seien nämlich allgemein
freiwillige. Er kenne "im Staatsorganismus nur drei Funktionen, denen die
Sicherheit der Person, materielles und geistiges Wohl ihrer Mitbürger anver¬
traut ist, ohne daß sie dazu ihre Qualification nachzuweisen verpflichtet sind,
nämlich die Geschwornen, Kammerdeputirten und Postillone."
Allein die letzteren zwei übernahmen freiwillig, die Geschwornen gezwungen ihr
Amt. Der Berichterstatter der Commission erwiderte hierauf sehr richtig und
maßvoll, der Antragsteller solle doch lieber sogleich direct die Aufhebung der
Schwurgerichte beantragen. Diese seltsamen Anträge des Freiherrn sielen mit
3 gegen 97 Stimmen.

Die Auswahl der Geschwornen aus der Urliste für die Dienstliste durch
die Regierungspräsidenten wurde selbst in diesem Hause angegriffen. Freiherr
v. Forstner wünschte eine Auswahl aus der Urliste für jede Sitzungsperiode
durch das Loos; denn eine einzelne Person werde bei einer so wichtigen Func-
tion immer mehr oder weniger befangen sein. --

Die neuentworfene preußische Strafproceßordnung hält --
freilich in der Absicht einer neuen Systemlostgkeit bei Auswahl der Geschwornen,
wovon unten gesprochen wird -- im Wesentlichen die heutigen Vorschriften
über die Bedingungen zur Berufung als Geschworner in nur ver¬
änderter Ordnung aufrecht. Das Lesen- und Schreibenkönnen fällt bei ihr
hinsichts "der intellectuellen.Fähigkeiten" der Geschwornen aus. (Vergl. unten.)
Dieses dürfte gerechtfertigt sein; denn ein Maß intellectueller Fähigkeiten
liegt in dem Lesen- und Schreibenkönnen nicht. Andre Vorschriften der Regierung
ferner, deren Resultate freilich allmälig erst zu Tage treten, sichern die allge¬
meinste Verbreitung jenes Könnens; endlich dürfte der Census, wenn auch un¬
beabsichtigt, wie unten gezeigt wird, schon gegen Geschworne sichern, welche
dieser elementaren Kenntniß entbehren. -- Den Census beschränkt der neue
Entwurf auf die obigen Sätze der Einkommen- und Classensteuer und deren
analog auf die Fälle, wo keine Classensteuer gezahlt wird, ausgedehnten Ma߬
stab. Denn nur diese Steuern geben einen sichern Anhalt für das reine Ein¬
kommen einer Person; Gewerbesteuer, Grundsteuer und> Gebäudesteuer ent¬
scheiden hierüber nicht. Sollte, sagen die Motive richtig, infolge dieser
Neuerung für einzelne Bezirke die Zahl der zu Geschwornen zu berufenden
Personen allzusehr beschränkt erscheinen, so würde eine Herabsetzung des Classen¬
steuersatzes in Frage kommen müssen. -- Von den Ausnahmen dieses Census
im heutigen Strafprocesse (Rechtsanwälte, Notare, Professoren, Aerzte) ist in
dem neuen Entwürfe nach Vorgang des für Hohenzollern erlassenen Gesetzes
vom 30. April 1861 mit Recht Abstand'genommen. Die genannten Personen
sind meistens wegen ihrer Steuersätze dennoch als Geschworne wählbar; auch


Grenzboten III. 18KS. 3

gemäß §. 82. gebildet werden kann, so erläßt der Ge.ichtshof das Urtheil ohne
Mitwirkung der Geschwornen. Unsre politischen Rechte seien nämlich allgemein
freiwillige. Er kenne „im Staatsorganismus nur drei Funktionen, denen die
Sicherheit der Person, materielles und geistiges Wohl ihrer Mitbürger anver¬
traut ist, ohne daß sie dazu ihre Qualification nachzuweisen verpflichtet sind,
nämlich die Geschwornen, Kammerdeputirten und Postillone."
Allein die letzteren zwei übernahmen freiwillig, die Geschwornen gezwungen ihr
Amt. Der Berichterstatter der Commission erwiderte hierauf sehr richtig und
maßvoll, der Antragsteller solle doch lieber sogleich direct die Aufhebung der
Schwurgerichte beantragen. Diese seltsamen Anträge des Freiherrn sielen mit
3 gegen 97 Stimmen.

Die Auswahl der Geschwornen aus der Urliste für die Dienstliste durch
die Regierungspräsidenten wurde selbst in diesem Hause angegriffen. Freiherr
v. Forstner wünschte eine Auswahl aus der Urliste für jede Sitzungsperiode
durch das Loos; denn eine einzelne Person werde bei einer so wichtigen Func-
tion immer mehr oder weniger befangen sein. —

Die neuentworfene preußische Strafproceßordnung hält —
freilich in der Absicht einer neuen Systemlostgkeit bei Auswahl der Geschwornen,
wovon unten gesprochen wird — im Wesentlichen die heutigen Vorschriften
über die Bedingungen zur Berufung als Geschworner in nur ver¬
änderter Ordnung aufrecht. Das Lesen- und Schreibenkönnen fällt bei ihr
hinsichts „der intellectuellen.Fähigkeiten" der Geschwornen aus. (Vergl. unten.)
Dieses dürfte gerechtfertigt sein; denn ein Maß intellectueller Fähigkeiten
liegt in dem Lesen- und Schreibenkönnen nicht. Andre Vorschriften der Regierung
ferner, deren Resultate freilich allmälig erst zu Tage treten, sichern die allge¬
meinste Verbreitung jenes Könnens; endlich dürfte der Census, wenn auch un¬
beabsichtigt, wie unten gezeigt wird, schon gegen Geschworne sichern, welche
dieser elementaren Kenntniß entbehren. — Den Census beschränkt der neue
Entwurf auf die obigen Sätze der Einkommen- und Classensteuer und deren
analog auf die Fälle, wo keine Classensteuer gezahlt wird, ausgedehnten Ma߬
stab. Denn nur diese Steuern geben einen sichern Anhalt für das reine Ein¬
kommen einer Person; Gewerbesteuer, Grundsteuer und> Gebäudesteuer ent¬
scheiden hierüber nicht. Sollte, sagen die Motive richtig, infolge dieser
Neuerung für einzelne Bezirke die Zahl der zu Geschwornen zu berufenden
Personen allzusehr beschränkt erscheinen, so würde eine Herabsetzung des Classen¬
steuersatzes in Frage kommen müssen. — Von den Ausnahmen dieses Census
im heutigen Strafprocesse (Rechtsanwälte, Notare, Professoren, Aerzte) ist in
dem neuen Entwürfe nach Vorgang des für Hohenzollern erlassenen Gesetzes
vom 30. April 1861 mit Recht Abstand'genommen. Die genannten Personen
sind meistens wegen ihrer Steuersätze dennoch als Geschworne wählbar; auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/23>, abgerufen am 15.01.2025.