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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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nüchterne Betrachtung der Dinge zu fördern. Man überschätzt die Bedeutung
der Versammelten, die selbst mit Einrechnung der blos Vergnügten nur einen
kleinen Bruchtheil der Nution bilden, man sieht die Partei für das Volk, den
Stammesbrüder in der Festlaune für den wirklichen Werkeltagsmenschen aus
Bayern , Schwaben oder Oestreich an; man erblickt in dem Feste eine große
That, in den freiheitglühenden, vaterlandsrettenden Toasten, den oratorischen
Opfern von Gut und Blut ebenso viele kleine Thaten, und was schlimmer ist
als solche momentane Augentäuschungen, man nimmt häufig den Eindruck mit
nach Hause, als habe man in der That große Stunden verlebt, und neigt sich
darauf hin der Meinung zu, als ließe sich der deutsche Staat spielend aufrichten.

Hiergegen Protestiren wir als nüchterne Zuschauer. Wir haben tiefe
Achtung vor dem deutschen Gemüth, aber gar keine Achtung vor der bei un¬
sern Festen grassirenden Gemüthlichkeit und ihrem Bruder, dem vulgären Li¬
beralismus, der bei denselben ebenfalls mit zu Tische zu sitzen und die erste
Violine zu spielen Pflegt. Wir können uns, um ein Wort von den speciellen
Zwecken der beiden diesjährigen Hauptfeste zu sagen, für die Schützenbewegung
eine Zukunft denken, obwohl wir sie nicht ihrem Urbild in der Schweiz gleich¬
stellen können, wo jeder Schütze zugleich Soldat ist, während Deutschland noch
lange Jahrzehnte stehende Heere wird haben müssen. Für die Sänger dagegen,
die jetzt in Dresden sich zu patriotischen Chören vereinigen, wissen wir keine
Verwendung in der Oekonomie unsres politischen Lebens. Aber vielleicht läßt
sich für die Zwecke der Politik, die jetzt ein "reines Deutschland" neben Oest¬
reich und Preußen anzufertigen versuchen möchte, aus ihrer Stimmung einiges
Capital gewinnen, und es scheint, als sei man nicht abgeneigt, die Gelegenheit
nach dieser Richtung hin ein wenig auszunutzen.




Politische CorresMdenz.s)

Diese Korrespondenz wird nach einer Unterbrechung von mehren Monaten
wieder aufgenommen, während die heiße Julisonne auf ein friedloses Land her¬
niederscheint und eine bange Schwüle auf dem Volke lastet, wie sie dem Aus¬
bruch eines Unwetters vorauszugehen pflegt.

Die letzten Wochen sind verhängnifivoll für die preußische Politik gewesen.
Es ist leider genau so gekommen, wie zu befürchten war: die Spannung im
Innern Preußens ist zu einer Höhe gesteigert, welche eine Versöhnung zwischen



") D. R. nimmt diese Korrespondenz auf, bedauert aber, sich nur theilweise zu den darin
über Schleswig-Holstein geäußerten Ansichten und Erwartungen bekennen zu können.
Menzboten III. 1865. 25

nüchterne Betrachtung der Dinge zu fördern. Man überschätzt die Bedeutung
der Versammelten, die selbst mit Einrechnung der blos Vergnügten nur einen
kleinen Bruchtheil der Nution bilden, man sieht die Partei für das Volk, den
Stammesbrüder in der Festlaune für den wirklichen Werkeltagsmenschen aus
Bayern , Schwaben oder Oestreich an; man erblickt in dem Feste eine große
That, in den freiheitglühenden, vaterlandsrettenden Toasten, den oratorischen
Opfern von Gut und Blut ebenso viele kleine Thaten, und was schlimmer ist
als solche momentane Augentäuschungen, man nimmt häufig den Eindruck mit
nach Hause, als habe man in der That große Stunden verlebt, und neigt sich
darauf hin der Meinung zu, als ließe sich der deutsche Staat spielend aufrichten.

Hiergegen Protestiren wir als nüchterne Zuschauer. Wir haben tiefe
Achtung vor dem deutschen Gemüth, aber gar keine Achtung vor der bei un¬
sern Festen grassirenden Gemüthlichkeit und ihrem Bruder, dem vulgären Li¬
beralismus, der bei denselben ebenfalls mit zu Tische zu sitzen und die erste
Violine zu spielen Pflegt. Wir können uns, um ein Wort von den speciellen
Zwecken der beiden diesjährigen Hauptfeste zu sagen, für die Schützenbewegung
eine Zukunft denken, obwohl wir sie nicht ihrem Urbild in der Schweiz gleich¬
stellen können, wo jeder Schütze zugleich Soldat ist, während Deutschland noch
lange Jahrzehnte stehende Heere wird haben müssen. Für die Sänger dagegen,
die jetzt in Dresden sich zu patriotischen Chören vereinigen, wissen wir keine
Verwendung in der Oekonomie unsres politischen Lebens. Aber vielleicht läßt
sich für die Zwecke der Politik, die jetzt ein „reines Deutschland" neben Oest¬
reich und Preußen anzufertigen versuchen möchte, aus ihrer Stimmung einiges
Capital gewinnen, und es scheint, als sei man nicht abgeneigt, die Gelegenheit
nach dieser Richtung hin ein wenig auszunutzen.




Politische CorresMdenz.s)

Diese Korrespondenz wird nach einer Unterbrechung von mehren Monaten
wieder aufgenommen, während die heiße Julisonne auf ein friedloses Land her¬
niederscheint und eine bange Schwüle auf dem Volke lastet, wie sie dem Aus¬
bruch eines Unwetters vorauszugehen pflegt.

Die letzten Wochen sind verhängnifivoll für die preußische Politik gewesen.
Es ist leider genau so gekommen, wie zu befürchten war: die Spannung im
Innern Preußens ist zu einer Höhe gesteigert, welche eine Versöhnung zwischen



") D. R. nimmt diese Korrespondenz auf, bedauert aber, sich nur theilweise zu den darin
über Schleswig-Holstein geäußerten Ansichten und Erwartungen bekennen zu können.
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[0207] nüchterne Betrachtung der Dinge zu fördern. Man überschätzt die Bedeutung der Versammelten, die selbst mit Einrechnung der blos Vergnügten nur einen kleinen Bruchtheil der Nution bilden, man sieht die Partei für das Volk, den Stammesbrüder in der Festlaune für den wirklichen Werkeltagsmenschen aus Bayern , Schwaben oder Oestreich an; man erblickt in dem Feste eine große That, in den freiheitglühenden, vaterlandsrettenden Toasten, den oratorischen Opfern von Gut und Blut ebenso viele kleine Thaten, und was schlimmer ist als solche momentane Augentäuschungen, man nimmt häufig den Eindruck mit nach Hause, als habe man in der That große Stunden verlebt, und neigt sich darauf hin der Meinung zu, als ließe sich der deutsche Staat spielend aufrichten. Hiergegen Protestiren wir als nüchterne Zuschauer. Wir haben tiefe Achtung vor dem deutschen Gemüth, aber gar keine Achtung vor der bei un¬ sern Festen grassirenden Gemüthlichkeit und ihrem Bruder, dem vulgären Li¬ beralismus, der bei denselben ebenfalls mit zu Tische zu sitzen und die erste Violine zu spielen Pflegt. Wir können uns, um ein Wort von den speciellen Zwecken der beiden diesjährigen Hauptfeste zu sagen, für die Schützenbewegung eine Zukunft denken, obwohl wir sie nicht ihrem Urbild in der Schweiz gleich¬ stellen können, wo jeder Schütze zugleich Soldat ist, während Deutschland noch lange Jahrzehnte stehende Heere wird haben müssen. Für die Sänger dagegen, die jetzt in Dresden sich zu patriotischen Chören vereinigen, wissen wir keine Verwendung in der Oekonomie unsres politischen Lebens. Aber vielleicht läßt sich für die Zwecke der Politik, die jetzt ein „reines Deutschland" neben Oest¬ reich und Preußen anzufertigen versuchen möchte, aus ihrer Stimmung einiges Capital gewinnen, und es scheint, als sei man nicht abgeneigt, die Gelegenheit nach dieser Richtung hin ein wenig auszunutzen. Politische CorresMdenz.s) Diese Korrespondenz wird nach einer Unterbrechung von mehren Monaten wieder aufgenommen, während die heiße Julisonne auf ein friedloses Land her¬ niederscheint und eine bange Schwüle auf dem Volke lastet, wie sie dem Aus¬ bruch eines Unwetters vorauszugehen pflegt. Die letzten Wochen sind verhängnifivoll für die preußische Politik gewesen. Es ist leider genau so gekommen, wie zu befürchten war: die Spannung im Innern Preußens ist zu einer Höhe gesteigert, welche eine Versöhnung zwischen ") D. R. nimmt diese Korrespondenz auf, bedauert aber, sich nur theilweise zu den darin über Schleswig-Holstein geäußerten Ansichten und Erwartungen bekennen zu können. Menzboten III. 1865. 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/207>, abgerufen am 15.01.2025.