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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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ist der Saal besonders von Besuchern gefüllt; nur in den sonntäglichen Mittag¬
stunden, wo das Publikum ungehemmt durch die für jeden offen stehenden Säle
circulirt und dann freilich auf die Betrachtung der an den Wänden und außen
an den Schrankthüren planirten Blätter beschränkt bleibt. An den andern Tagen
nur hier und da ein Künstler, der nach dem ihm gerade praktisch Nothwendigen
in Costüm- und Porträtwerken herumspürt; eine junge Dame, die ein Hilde-
brandsches Aquarell oder einen reizenden alten Pastellkopf copirt; ein paar
"Kenner" und Sammler, die mit der Loupe in der Hand sich in die Untersuchung
solcher ganz entlegener Blätter, gewisser Drucke mit kleinen Besonderheiten, oder
"mit Einfällen" am Rande von gewissen Meistern, die sonst im ganzen Jahr
kein andrer profaner Mensch fordert, vergraben sitzen; hier und da eine Gesell¬
schaft von weltlichen Herren und Damen, die auf die verfängliche Frage des
Dieners, was sie zu sehen wünschten, verlegen irgendeinen mal gehörten
Künstlernamen ausgesprochen haben ^ und nun mit dem schlecht verhehlten und
unterdrückten Lachen des modernen "bis an die Sterne weit" vorgeschrittenen
berliner Civilisationsmenschen unter ihnen höchst komisch erscheinenden dürer-
schen Holzschnitten blättern; oder auch wohl bann und wann ein paar Fremde;
oder ein hoher Herr von So und So, mit der seiner Race eignen blitzschnellen
Fertigkeit im Auffassen aller Dinge und im Fertigwerden damit, flüchtig durch
alle Säle eilend, flüchtige Blicke auf die unsterblichen Meisterwerke an den
Wänden werfend, des begleitenden Dieners Erläuterungsversuche nur mit dem
vornehmsten unverständlichsten Schnarren der Erbweisheit erwidernd und nach
zwei Minuten bereits wieder wie ein glänzendes Meteor aus der Eingangsthür
verschwindend.

l Im Ganzen, während des größten Theils der Tageszeit, herrscht tiefste
Ruhe, kaum ein leises Flüstern, ein stilles Rauschen umgeschlagner Blätter, die
"verhüllten Schritte" der Beamten. Durch die klaren großen Fenster sieht man
das Wehen und Wechseln der Wolken; aber nichts, das uns zerstreute, dringt
auch von dort her auf uns ein. Lärm und Noth der Alltagswelt sind draußen
geblieben, hier finden sie uns nicht, hier stören sie nicht die schöne gesammelte
Beschaulichkeit, in die wir versinken, die rechte Stimmung, die feinsten Reize
der Kunst würdig zu genießen.

Der Beamte trägt die erste Mappe, die wir besahen, hinweg, eine zweite
herbeizuholen. Folgen wir ihm, zu sehen, wo er sie suchen wird.

Es hält schwer, von der Anordnung des ganz ungeheuren Besitzes von
Drucken und Zeichnungen, dessen sich das Cabinet rühmt, eine klare Anschauung
und Uebersicht zu geben. Ein ganz bestimmtes Princip, nach welchem jene
durchgeführt wäre, ergiebt sich nicht; so mag hier die Andeutung einiger der
dabei bestimmend gewesenen hauptsächlichsten Gesichtspunkte genügen. Haben wir
Von dem unsre Wünsche befragenden Beamten Handzeichnungen zur Be-


ist der Saal besonders von Besuchern gefüllt; nur in den sonntäglichen Mittag¬
stunden, wo das Publikum ungehemmt durch die für jeden offen stehenden Säle
circulirt und dann freilich auf die Betrachtung der an den Wänden und außen
an den Schrankthüren planirten Blätter beschränkt bleibt. An den andern Tagen
nur hier und da ein Künstler, der nach dem ihm gerade praktisch Nothwendigen
in Costüm- und Porträtwerken herumspürt; eine junge Dame, die ein Hilde-
brandsches Aquarell oder einen reizenden alten Pastellkopf copirt; ein paar
„Kenner" und Sammler, die mit der Loupe in der Hand sich in die Untersuchung
solcher ganz entlegener Blätter, gewisser Drucke mit kleinen Besonderheiten, oder
„mit Einfällen" am Rande von gewissen Meistern, die sonst im ganzen Jahr
kein andrer profaner Mensch fordert, vergraben sitzen; hier und da eine Gesell¬
schaft von weltlichen Herren und Damen, die auf die verfängliche Frage des
Dieners, was sie zu sehen wünschten, verlegen irgendeinen mal gehörten
Künstlernamen ausgesprochen haben ^ und nun mit dem schlecht verhehlten und
unterdrückten Lachen des modernen „bis an die Sterne weit" vorgeschrittenen
berliner Civilisationsmenschen unter ihnen höchst komisch erscheinenden dürer-
schen Holzschnitten blättern; oder auch wohl bann und wann ein paar Fremde;
oder ein hoher Herr von So und So, mit der seiner Race eignen blitzschnellen
Fertigkeit im Auffassen aller Dinge und im Fertigwerden damit, flüchtig durch
alle Säle eilend, flüchtige Blicke auf die unsterblichen Meisterwerke an den
Wänden werfend, des begleitenden Dieners Erläuterungsversuche nur mit dem
vornehmsten unverständlichsten Schnarren der Erbweisheit erwidernd und nach
zwei Minuten bereits wieder wie ein glänzendes Meteor aus der Eingangsthür
verschwindend.

l Im Ganzen, während des größten Theils der Tageszeit, herrscht tiefste
Ruhe, kaum ein leises Flüstern, ein stilles Rauschen umgeschlagner Blätter, die
„verhüllten Schritte" der Beamten. Durch die klaren großen Fenster sieht man
das Wehen und Wechseln der Wolken; aber nichts, das uns zerstreute, dringt
auch von dort her auf uns ein. Lärm und Noth der Alltagswelt sind draußen
geblieben, hier finden sie uns nicht, hier stören sie nicht die schöne gesammelte
Beschaulichkeit, in die wir versinken, die rechte Stimmung, die feinsten Reize
der Kunst würdig zu genießen.

Der Beamte trägt die erste Mappe, die wir besahen, hinweg, eine zweite
herbeizuholen. Folgen wir ihm, zu sehen, wo er sie suchen wird.

Es hält schwer, von der Anordnung des ganz ungeheuren Besitzes von
Drucken und Zeichnungen, dessen sich das Cabinet rühmt, eine klare Anschauung
und Uebersicht zu geben. Ein ganz bestimmtes Princip, nach welchem jene
durchgeführt wäre, ergiebt sich nicht; so mag hier die Andeutung einiger der
dabei bestimmend gewesenen hauptsächlichsten Gesichtspunkte genügen. Haben wir
Von dem unsre Wünsche befragenden Beamten Handzeichnungen zur Be-


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[0181] ist der Saal besonders von Besuchern gefüllt; nur in den sonntäglichen Mittag¬ stunden, wo das Publikum ungehemmt durch die für jeden offen stehenden Säle circulirt und dann freilich auf die Betrachtung der an den Wänden und außen an den Schrankthüren planirten Blätter beschränkt bleibt. An den andern Tagen nur hier und da ein Künstler, der nach dem ihm gerade praktisch Nothwendigen in Costüm- und Porträtwerken herumspürt; eine junge Dame, die ein Hilde- brandsches Aquarell oder einen reizenden alten Pastellkopf copirt; ein paar „Kenner" und Sammler, die mit der Loupe in der Hand sich in die Untersuchung solcher ganz entlegener Blätter, gewisser Drucke mit kleinen Besonderheiten, oder „mit Einfällen" am Rande von gewissen Meistern, die sonst im ganzen Jahr kein andrer profaner Mensch fordert, vergraben sitzen; hier und da eine Gesell¬ schaft von weltlichen Herren und Damen, die auf die verfängliche Frage des Dieners, was sie zu sehen wünschten, verlegen irgendeinen mal gehörten Künstlernamen ausgesprochen haben ^ und nun mit dem schlecht verhehlten und unterdrückten Lachen des modernen „bis an die Sterne weit" vorgeschrittenen berliner Civilisationsmenschen unter ihnen höchst komisch erscheinenden dürer- schen Holzschnitten blättern; oder auch wohl bann und wann ein paar Fremde; oder ein hoher Herr von So und So, mit der seiner Race eignen blitzschnellen Fertigkeit im Auffassen aller Dinge und im Fertigwerden damit, flüchtig durch alle Säle eilend, flüchtige Blicke auf die unsterblichen Meisterwerke an den Wänden werfend, des begleitenden Dieners Erläuterungsversuche nur mit dem vornehmsten unverständlichsten Schnarren der Erbweisheit erwidernd und nach zwei Minuten bereits wieder wie ein glänzendes Meteor aus der Eingangsthür verschwindend. l Im Ganzen, während des größten Theils der Tageszeit, herrscht tiefste Ruhe, kaum ein leises Flüstern, ein stilles Rauschen umgeschlagner Blätter, die „verhüllten Schritte" der Beamten. Durch die klaren großen Fenster sieht man das Wehen und Wechseln der Wolken; aber nichts, das uns zerstreute, dringt auch von dort her auf uns ein. Lärm und Noth der Alltagswelt sind draußen geblieben, hier finden sie uns nicht, hier stören sie nicht die schöne gesammelte Beschaulichkeit, in die wir versinken, die rechte Stimmung, die feinsten Reize der Kunst würdig zu genießen. Der Beamte trägt die erste Mappe, die wir besahen, hinweg, eine zweite herbeizuholen. Folgen wir ihm, zu sehen, wo er sie suchen wird. Es hält schwer, von der Anordnung des ganz ungeheuren Besitzes von Drucken und Zeichnungen, dessen sich das Cabinet rühmt, eine klare Anschauung und Uebersicht zu geben. Ein ganz bestimmtes Princip, nach welchem jene durchgeführt wäre, ergiebt sich nicht; so mag hier die Andeutung einiger der dabei bestimmend gewesenen hauptsächlichsten Gesichtspunkte genügen. Haben wir Von dem unsre Wünsche befragenden Beamten Handzeichnungen zur Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/181>, abgerufen am 28.01.2025.