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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Verirrungen Einhalt zu thun; allein nur dem Wohlleben ergeben, ohne geistige
Bildung und auf zeitlichen Gewinn bedacht, bedürfte sie selbst der gründlichsten
Reform. Im ganzen brixener Sprengel bestand keine wissenschaftliche Lehranstalt,
ja selbst in der Domschule reichte der Unterricht nicht über die Elementargegen¬
stände. Wie wenig Sebastian Sperantius sich um die Abstellung des ärger"
lichen Lebens der Priester kümmerte, zeigt sein Verhalten zur Synode von
Mühldorf 1522, wo darüber berathen werden sollte; er entschuldigte sein Aus¬
bleiben davon mit der baldigen Ankunft des Erzherzogs in Innsbruck, der ihn
auch später zu seinem Kanzler ernannte. Die nachgebornen Söhne des hohen
Adels verzehrten die Einkünfte ihrer fetten Pfründen fern davon in süßer
Gemächlichkeit und ließen sich in der Leistung ihrer Pflichten durch träge Mönche
vertreten; der niedere Klerus hielt Weinschänkcn, mischte sich in Raufhändel,
erlaubte gegen Bezahlung offenbare Sünden und war so unwissend, daß auf
einer zu Brixen 1528 gehaltenen Diöcesansynode selbst die Formel der Los¬
sprechung in der Beichte vorgeschrieben werden mußte. Nur gegen die auf dem
Reichstag zu Nürnberg beschlossene Türkensteuer, wozu die Pfaffheit den dritten
Theil ihrer Einkünfte auf ein ganzes Jahr beitragen sollte, erhob sie sich mit
großem Geschrei und sandte zwei Abgeordnete aus Brixen und Trient an den
Erzherzog zur Abwendung dieses Unheils.

Ferdinand, in dem strenggläubigen Spanien und der Schule absoluter
Herrschaft erzogen, glaubte den Irrthum blos durch Zwang und Abschreckung
unterdrücken zu können. Er befahl dem brixener Bischof, das wormser Edict,
über dessen Vernachlässigung sich auch der Kaiser beschwerte, auszuführen und
seine eigenen Befehle gegen die Verbreitung der lutherischen Lehre, die man
von jener der Wiedertäufer nicht unterschied, genau zu vollziehen. Diesem zu¬
folge sollten nur Verführte, die aus offener Kanzel im Beisein der Gemeinde
widerriefen und Buße thaten, begnadigt, Widerspenstige mit Fasten und Ruthen¬
streichen gezüchtigt. Unverbesserliche und Rückfällige mit dem Schwert gerichtet,
abtrünnige Weiber aber in einen Sack gesteckt, ertränkt und mit der Einziehung
ihrer Verlassenschaft bestraft werden. So strenge Maßregeln, womit der Erz¬
herzog hier wie in Schwaben den Abfall vom allein wahren Glauben aufzu¬
halten dachte, mußten das schon von der Last ungewöhnlicher Steuern und
anderen neuen Plagen schwer gedrückte Volk noch mehr erbittern. Nicht blos
herabgekommene Leute, die beim Umsturz des Bestehenden zu gewinnen hofften,
sondern auch die reichsten Bauern, wie der Pfefferer und Keferer in Neustift,
lehnten sich aus religiösem Fanatismus auf und kündeten den Richtern und
Gemeinden öffentlich Fehde an, oder sagten ihnen ab. wie man es nannte.
Der Chronist Kirchmayr versichert, daß derlei Friedensbrecher "gar wohlfeil"
gewesen. Wieder war es die Umgegend von Brixen, wo sie sich am meisten
hervorthaten, in jener Stadt allein wurden in drei Wochen 47 Menschen hin-


Gremboten III. 186S. 20

Verirrungen Einhalt zu thun; allein nur dem Wohlleben ergeben, ohne geistige
Bildung und auf zeitlichen Gewinn bedacht, bedürfte sie selbst der gründlichsten
Reform. Im ganzen brixener Sprengel bestand keine wissenschaftliche Lehranstalt,
ja selbst in der Domschule reichte der Unterricht nicht über die Elementargegen¬
stände. Wie wenig Sebastian Sperantius sich um die Abstellung des ärger»
lichen Lebens der Priester kümmerte, zeigt sein Verhalten zur Synode von
Mühldorf 1522, wo darüber berathen werden sollte; er entschuldigte sein Aus¬
bleiben davon mit der baldigen Ankunft des Erzherzogs in Innsbruck, der ihn
auch später zu seinem Kanzler ernannte. Die nachgebornen Söhne des hohen
Adels verzehrten die Einkünfte ihrer fetten Pfründen fern davon in süßer
Gemächlichkeit und ließen sich in der Leistung ihrer Pflichten durch träge Mönche
vertreten; der niedere Klerus hielt Weinschänkcn, mischte sich in Raufhändel,
erlaubte gegen Bezahlung offenbare Sünden und war so unwissend, daß auf
einer zu Brixen 1528 gehaltenen Diöcesansynode selbst die Formel der Los¬
sprechung in der Beichte vorgeschrieben werden mußte. Nur gegen die auf dem
Reichstag zu Nürnberg beschlossene Türkensteuer, wozu die Pfaffheit den dritten
Theil ihrer Einkünfte auf ein ganzes Jahr beitragen sollte, erhob sie sich mit
großem Geschrei und sandte zwei Abgeordnete aus Brixen und Trient an den
Erzherzog zur Abwendung dieses Unheils.

Ferdinand, in dem strenggläubigen Spanien und der Schule absoluter
Herrschaft erzogen, glaubte den Irrthum blos durch Zwang und Abschreckung
unterdrücken zu können. Er befahl dem brixener Bischof, das wormser Edict,
über dessen Vernachlässigung sich auch der Kaiser beschwerte, auszuführen und
seine eigenen Befehle gegen die Verbreitung der lutherischen Lehre, die man
von jener der Wiedertäufer nicht unterschied, genau zu vollziehen. Diesem zu¬
folge sollten nur Verführte, die aus offener Kanzel im Beisein der Gemeinde
widerriefen und Buße thaten, begnadigt, Widerspenstige mit Fasten und Ruthen¬
streichen gezüchtigt. Unverbesserliche und Rückfällige mit dem Schwert gerichtet,
abtrünnige Weiber aber in einen Sack gesteckt, ertränkt und mit der Einziehung
ihrer Verlassenschaft bestraft werden. So strenge Maßregeln, womit der Erz¬
herzog hier wie in Schwaben den Abfall vom allein wahren Glauben aufzu¬
halten dachte, mußten das schon von der Last ungewöhnlicher Steuern und
anderen neuen Plagen schwer gedrückte Volk noch mehr erbittern. Nicht blos
herabgekommene Leute, die beim Umsturz des Bestehenden zu gewinnen hofften,
sondern auch die reichsten Bauern, wie der Pfefferer und Keferer in Neustift,
lehnten sich aus religiösem Fanatismus auf und kündeten den Richtern und
Gemeinden öffentlich Fehde an, oder sagten ihnen ab. wie man es nannte.
Der Chronist Kirchmayr versichert, daß derlei Friedensbrecher „gar wohlfeil"
gewesen. Wieder war es die Umgegend von Brixen, wo sie sich am meisten
hervorthaten, in jener Stadt allein wurden in drei Wochen 47 Menschen hin-


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[0165] Verirrungen Einhalt zu thun; allein nur dem Wohlleben ergeben, ohne geistige Bildung und auf zeitlichen Gewinn bedacht, bedürfte sie selbst der gründlichsten Reform. Im ganzen brixener Sprengel bestand keine wissenschaftliche Lehranstalt, ja selbst in der Domschule reichte der Unterricht nicht über die Elementargegen¬ stände. Wie wenig Sebastian Sperantius sich um die Abstellung des ärger» lichen Lebens der Priester kümmerte, zeigt sein Verhalten zur Synode von Mühldorf 1522, wo darüber berathen werden sollte; er entschuldigte sein Aus¬ bleiben davon mit der baldigen Ankunft des Erzherzogs in Innsbruck, der ihn auch später zu seinem Kanzler ernannte. Die nachgebornen Söhne des hohen Adels verzehrten die Einkünfte ihrer fetten Pfründen fern davon in süßer Gemächlichkeit und ließen sich in der Leistung ihrer Pflichten durch träge Mönche vertreten; der niedere Klerus hielt Weinschänkcn, mischte sich in Raufhändel, erlaubte gegen Bezahlung offenbare Sünden und war so unwissend, daß auf einer zu Brixen 1528 gehaltenen Diöcesansynode selbst die Formel der Los¬ sprechung in der Beichte vorgeschrieben werden mußte. Nur gegen die auf dem Reichstag zu Nürnberg beschlossene Türkensteuer, wozu die Pfaffheit den dritten Theil ihrer Einkünfte auf ein ganzes Jahr beitragen sollte, erhob sie sich mit großem Geschrei und sandte zwei Abgeordnete aus Brixen und Trient an den Erzherzog zur Abwendung dieses Unheils. Ferdinand, in dem strenggläubigen Spanien und der Schule absoluter Herrschaft erzogen, glaubte den Irrthum blos durch Zwang und Abschreckung unterdrücken zu können. Er befahl dem brixener Bischof, das wormser Edict, über dessen Vernachlässigung sich auch der Kaiser beschwerte, auszuführen und seine eigenen Befehle gegen die Verbreitung der lutherischen Lehre, die man von jener der Wiedertäufer nicht unterschied, genau zu vollziehen. Diesem zu¬ folge sollten nur Verführte, die aus offener Kanzel im Beisein der Gemeinde widerriefen und Buße thaten, begnadigt, Widerspenstige mit Fasten und Ruthen¬ streichen gezüchtigt. Unverbesserliche und Rückfällige mit dem Schwert gerichtet, abtrünnige Weiber aber in einen Sack gesteckt, ertränkt und mit der Einziehung ihrer Verlassenschaft bestraft werden. So strenge Maßregeln, womit der Erz¬ herzog hier wie in Schwaben den Abfall vom allein wahren Glauben aufzu¬ halten dachte, mußten das schon von der Last ungewöhnlicher Steuern und anderen neuen Plagen schwer gedrückte Volk noch mehr erbittern. Nicht blos herabgekommene Leute, die beim Umsturz des Bestehenden zu gewinnen hofften, sondern auch die reichsten Bauern, wie der Pfefferer und Keferer in Neustift, lehnten sich aus religiösem Fanatismus auf und kündeten den Richtern und Gemeinden öffentlich Fehde an, oder sagten ihnen ab. wie man es nannte. Der Chronist Kirchmayr versichert, daß derlei Friedensbrecher „gar wohlfeil" gewesen. Wieder war es die Umgegend von Brixen, wo sie sich am meisten hervorthaten, in jener Stadt allein wurden in drei Wochen 47 Menschen hin- Gremboten III. 186S. 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/165>, abgerufen am 15.01.2025.