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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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das, was man nicht wollen kann. Merkt die Bevölkerung erst, daß von Schloß
Gottorf ein anderer Wind weht, so werden die Leute bald den Rock wechseln, der
dann nicht mehr warm und bequem sein wird. Vor allen Dingen müßte ein von der
Gerechtigkeit der preußischen Forderungen überzeugter, nicht auf die kieler Hof¬
politik hörender energischer Mann Departcmentschef der Justiz und Polizei
werden, damit ein "tu'in goverirmMt" unsre Schreier und Schwätzer überzeugte,
daß es mit der gemüthlichen Anarchie von nun an ein Ende habe.

Freilich wird man dagegen, rasch getröstet, einwerfen: "Das läßt Halbhuber
nicht zu!" und es ist wahr, dieser Wächter der Schleswig-holsteinischen Freiheit
hat schon manches Nützliche und Verständige hintertrieben oder aufgehalten.
Soll doch in Schleswig ein eigenes Schubfach existiren, in welches die
Sachen, die wegen mangelnder Uebereinstimmung in der obersten Civilbehörde
nicht zu erledigen sind, weggelegt werden. Aber soll das so bleiben, und will
man den Stein, den man sich durch das östreichische Bündniß an das Bein
gebunden hat, in alle Ewigkeit sich die nothwendigen Schritte hindern lassen?
Muß man das noch, nun so verzichte man auf die Einberufung der Stände, in denen
unter Halbhubers Aegide und der jetzigen gottorfer Regierung in Holstein
höchstens sieben bis acht und in Schleswig kaum zwei oder drei Stimmen mehr
für Preußen zu hören sein werden, und sehe zu. ob die Fortsetzung des Pro¬
visorismus dem Nebenregiment endlich die Kräfte und den Glauben an seine
Zukunft ausgehen läßt. Es ist traurig, daß die Schleswig-Holsteiner zu ihrem
wahren Besten gezwungen sein wollen, aber zu wünschen, daß Deutschlands
Interesse aus Rücksicht auf ihre Beschränktheit und ihren üblen Willen leide,
wäre unerlaubte Sentimentalität, und dieser wollen wenigstens wir, die na¬
tionalen, uns nicht schuldig machen.

Seit ich das geschrieben, hat der sechste Juli unsern Legitimisten und
Particularisten wieder einmal Gelegenheit zur Entfaltung ihrer Kräfte in großer
Parade gegeben. Schon die Woche vorher fanden sich in Kiel wohl oder übel
kleinere Gelegenheiten, loyal zu demonstriren. So bei der Versammlung zur
Gründung eines deutschen Vereins zur Rettung Schiffbrüchiger, wo man sie
am wenigsten hätte suchen sollen. Bei dem damals auf Bellevue veranstalteten
Festessen unter Staatsrath Franckes Vorsitz brachte den ersten officiellen Toast
der Nationalvereinsagent Wichmann aus Lübeck auf Herzog Friedrich aus, "da
in jedem constitutionellen Staat Sitte sei, zuerst das Wohl des Landesherrn
zu trinken". Nach dem Rechte, fuhr der Redner fort, wären wir ein constitu-
tioneller Staat, und nach dem Rechte hätten wir auch schon einen Landesherrn.
Herr Francke ließ später ein Hoch aus die preußische Fortschrittspartei folgen,
"welche mit denselben Gegnern wie wir kämpft". Sehr charakteristisch! Wichmann
wollte nachher noch für die Reichsverfassung ein gutes Wort einlegen, wurde
aber durch Zischen daran verhindert. Ebenfalls sehr charakteristisch!


das, was man nicht wollen kann. Merkt die Bevölkerung erst, daß von Schloß
Gottorf ein anderer Wind weht, so werden die Leute bald den Rock wechseln, der
dann nicht mehr warm und bequem sein wird. Vor allen Dingen müßte ein von der
Gerechtigkeit der preußischen Forderungen überzeugter, nicht auf die kieler Hof¬
politik hörender energischer Mann Departcmentschef der Justiz und Polizei
werden, damit ein „tu'in goverirmMt" unsre Schreier und Schwätzer überzeugte,
daß es mit der gemüthlichen Anarchie von nun an ein Ende habe.

Freilich wird man dagegen, rasch getröstet, einwerfen: „Das läßt Halbhuber
nicht zu!" und es ist wahr, dieser Wächter der Schleswig-holsteinischen Freiheit
hat schon manches Nützliche und Verständige hintertrieben oder aufgehalten.
Soll doch in Schleswig ein eigenes Schubfach existiren, in welches die
Sachen, die wegen mangelnder Uebereinstimmung in der obersten Civilbehörde
nicht zu erledigen sind, weggelegt werden. Aber soll das so bleiben, und will
man den Stein, den man sich durch das östreichische Bündniß an das Bein
gebunden hat, in alle Ewigkeit sich die nothwendigen Schritte hindern lassen?
Muß man das noch, nun so verzichte man auf die Einberufung der Stände, in denen
unter Halbhubers Aegide und der jetzigen gottorfer Regierung in Holstein
höchstens sieben bis acht und in Schleswig kaum zwei oder drei Stimmen mehr
für Preußen zu hören sein werden, und sehe zu. ob die Fortsetzung des Pro¬
visorismus dem Nebenregiment endlich die Kräfte und den Glauben an seine
Zukunft ausgehen läßt. Es ist traurig, daß die Schleswig-Holsteiner zu ihrem
wahren Besten gezwungen sein wollen, aber zu wünschen, daß Deutschlands
Interesse aus Rücksicht auf ihre Beschränktheit und ihren üblen Willen leide,
wäre unerlaubte Sentimentalität, und dieser wollen wenigstens wir, die na¬
tionalen, uns nicht schuldig machen.

Seit ich das geschrieben, hat der sechste Juli unsern Legitimisten und
Particularisten wieder einmal Gelegenheit zur Entfaltung ihrer Kräfte in großer
Parade gegeben. Schon die Woche vorher fanden sich in Kiel wohl oder übel
kleinere Gelegenheiten, loyal zu demonstriren. So bei der Versammlung zur
Gründung eines deutschen Vereins zur Rettung Schiffbrüchiger, wo man sie
am wenigsten hätte suchen sollen. Bei dem damals auf Bellevue veranstalteten
Festessen unter Staatsrath Franckes Vorsitz brachte den ersten officiellen Toast
der Nationalvereinsagent Wichmann aus Lübeck auf Herzog Friedrich aus, „da
in jedem constitutionellen Staat Sitte sei, zuerst das Wohl des Landesherrn
zu trinken". Nach dem Rechte, fuhr der Redner fort, wären wir ein constitu-
tioneller Staat, und nach dem Rechte hätten wir auch schon einen Landesherrn.
Herr Francke ließ später ein Hoch aus die preußische Fortschrittspartei folgen,
„welche mit denselben Gegnern wie wir kämpft". Sehr charakteristisch! Wichmann
wollte nachher noch für die Reichsverfassung ein gutes Wort einlegen, wurde
aber durch Zischen daran verhindert. Ebenfalls sehr charakteristisch!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/124>, abgerufen am 15.01.2025.