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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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zeigt, unser heutiger Art. 84 herausentwickelt, sein Wortlaut stimmt in den
hier maßgebenden Stellen völlig mit zweien der voraufgegangenen Gesetze,
nämlich der Regierungsvorlage vom 20, Mai 1848 §. 57 und der octroyirten
Verfassungsurkunde vom S. December 1848, Art. 83 -- Gesetze, deren Vorschriften
über parlamentarische Redefreiheit selbst die Gegner als unbeschränkt und um¬
fassend anerkennen. Hiernach ist doch von vornherein nothwendig anzunehmen,
daß auch bei dem heutigen Art. 84 die Absicht waltete, die Redefreiheit in der¬
selben Unbeschränktheit durch ihn zu schützen, wie sie in seinen vier gesetzlichen
Quellen und Grundlagen geschützt war. Wollte man gerade das Gegentheil,
so mußte man in den Debatten über Art. 84 dicht aussprechen, und mußte
in seinem Wortlaute dies unverkennbar erklären, nicht aber in den Debatten
darüber schweigen und im Texte des Artikels lediglich Ausdrücke gebrauchen,
welche in zweien seiner gesetzlichen Grundlagen, wie gezeigt, gerade unbeschränkte
Redefreiheit bezeichneten, in ihrem gewöhnlichen Sinne aufgefaßt aber nur höchst
zweifelhaft eine Beschränkung ahnen ließen. -- Endlich !darf man nur unsern
Art. 84 mit der Reihe der (eben zu diesem Zwecke) oben wörtlich angeführten
Bestimmungen anderer Verfassungen über die parlamentarische Redefreiheit ver¬
gleichen, so erhellt, daß jene unbestritten für diese Freiheit und UnVerantwort¬
lichkeit der Abgeordneten schrankenlos auftretenden Vorschriften fast wörtlich
mit der preußischen Verfassung übereinstimmen, daß dagegen die Verfassungen,
welche die UnVerantwortlichkeit einschränken, ausdrücklich die einzelnen Fälle der
Einschränkung aufführen!

Die Einwände der Gegner sind somit hinfällig, und es ergiebt sich un¬
bestreitbar, daß auch die preußische Verfassung in Art. 84 jede gerichtliche Ver¬
folgung der Kammermitglieder ausschließt und hinsichtlich der Abstimmung die
letzteren völlig unverantwortlich läßt, hinsichts aller Meinungsäußerungen in der
Kammer aber sie nur der Kammer und deren Geschäftsordnung unterwirft.
Leider ist unterlassen worden, den hier also vorliegenden Grund zur Ausschließung
der Strafen, im Falle ein Kammermitglied in seinen Kammerreden das Straf¬
gesetz verletzte, in den IV. Titel des neuen preußischen Strafgesetzbuchs vom
14. April 18S1 aufzunehmen. Hier, wie an nicht wenigen andern Stellen der
neuern preußischen Gesetze, muß man beklagen, daß die Vorschriften der Ver¬
fassungsurkunde so unvollständig in die entsprechenden Bestimmungen der täglich
anzuwendenden Civil- und Criminalgesetze verarbeitet worden sind, daher einen
viel loseren Zusammenhang mit letzteren zu haben scheinen, als sie ihn wirklich
haben und, zumal in Zeiten so schwerer politischer Kämpfe, wie gegenwärtig,
ihn haben müssen.

Trotz dieses Mangels indeß sind die preußischen Richter dreier Instanzen
-- und in politisch sehr deprimirter Zeit -- nicht zweifelhaft gewesen, die oben
entwickelte und begründete Vorschrift der Verfassungsurkunde anzuerkennen und


Grenzboten III. 186ö. 14

zeigt, unser heutiger Art. 84 herausentwickelt, sein Wortlaut stimmt in den
hier maßgebenden Stellen völlig mit zweien der voraufgegangenen Gesetze,
nämlich der Regierungsvorlage vom 20, Mai 1848 §. 57 und der octroyirten
Verfassungsurkunde vom S. December 1848, Art. 83 — Gesetze, deren Vorschriften
über parlamentarische Redefreiheit selbst die Gegner als unbeschränkt und um¬
fassend anerkennen. Hiernach ist doch von vornherein nothwendig anzunehmen,
daß auch bei dem heutigen Art. 84 die Absicht waltete, die Redefreiheit in der¬
selben Unbeschränktheit durch ihn zu schützen, wie sie in seinen vier gesetzlichen
Quellen und Grundlagen geschützt war. Wollte man gerade das Gegentheil,
so mußte man in den Debatten über Art. 84 dicht aussprechen, und mußte
in seinem Wortlaute dies unverkennbar erklären, nicht aber in den Debatten
darüber schweigen und im Texte des Artikels lediglich Ausdrücke gebrauchen,
welche in zweien seiner gesetzlichen Grundlagen, wie gezeigt, gerade unbeschränkte
Redefreiheit bezeichneten, in ihrem gewöhnlichen Sinne aufgefaßt aber nur höchst
zweifelhaft eine Beschränkung ahnen ließen. — Endlich !darf man nur unsern
Art. 84 mit der Reihe der (eben zu diesem Zwecke) oben wörtlich angeführten
Bestimmungen anderer Verfassungen über die parlamentarische Redefreiheit ver¬
gleichen, so erhellt, daß jene unbestritten für diese Freiheit und UnVerantwort¬
lichkeit der Abgeordneten schrankenlos auftretenden Vorschriften fast wörtlich
mit der preußischen Verfassung übereinstimmen, daß dagegen die Verfassungen,
welche die UnVerantwortlichkeit einschränken, ausdrücklich die einzelnen Fälle der
Einschränkung aufführen!

Die Einwände der Gegner sind somit hinfällig, und es ergiebt sich un¬
bestreitbar, daß auch die preußische Verfassung in Art. 84 jede gerichtliche Ver¬
folgung der Kammermitglieder ausschließt und hinsichtlich der Abstimmung die
letzteren völlig unverantwortlich läßt, hinsichts aller Meinungsäußerungen in der
Kammer aber sie nur der Kammer und deren Geschäftsordnung unterwirft.
Leider ist unterlassen worden, den hier also vorliegenden Grund zur Ausschließung
der Strafen, im Falle ein Kammermitglied in seinen Kammerreden das Straf¬
gesetz verletzte, in den IV. Titel des neuen preußischen Strafgesetzbuchs vom
14. April 18S1 aufzunehmen. Hier, wie an nicht wenigen andern Stellen der
neuern preußischen Gesetze, muß man beklagen, daß die Vorschriften der Ver¬
fassungsurkunde so unvollständig in die entsprechenden Bestimmungen der täglich
anzuwendenden Civil- und Criminalgesetze verarbeitet worden sind, daher einen
viel loseren Zusammenhang mit letzteren zu haben scheinen, als sie ihn wirklich
haben und, zumal in Zeiten so schwerer politischer Kämpfe, wie gegenwärtig,
ihn haben müssen.

Trotz dieses Mangels indeß sind die preußischen Richter dreier Instanzen
— und in politisch sehr deprimirter Zeit — nicht zweifelhaft gewesen, die oben
entwickelte und begründete Vorschrift der Verfassungsurkunde anzuerkennen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/115>, abgerufen am 15.01.2025.