Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.selbst von den Gegnern anerkannten Hauptthätigkeit der Abgeordneten, dem selbst von den Gegnern anerkannten Hauptthätigkeit der Abgeordneten, dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0114" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283467"/> <p xml:id="ID_339" prev="#ID_338" next="#ID_340"> selbst von den Gegnern anerkannten Hauptthätigkeit der Abgeordneten, dem<lb/> Abgeben der Meinung und der Stimme, in den meisten Fällen gar nicht zu<lb/> scheiden sein, wo nun in der einzelnen Rede die Meinung aufhörte und die<lb/> Aeußerung anfinge. Ja, der Abgeordnete kann doch bei der bloßen Motivirung<lb/> seiner Abstimmung allen sonstigen Inhalt einer „Aeußerung" vorbringen; nun<lb/> brauchte er gar nur alle seine Cxpcctorationen schließlich ausdrücklich als Aus¬<lb/> druck seiner „Meinung" zu erklären und es wäre auch dem scharfsinnigsten<lb/> politischen Gegner und Richter unmöglich, mit Gründen zu bestimmen, daß<lb/> hier und wie die Scheidung zwischen „Aeußerung" und „Meinung" Platz greife.<lb/> Diese Scheidung an sich ist also unwahr und unpraktisch. Aus der Geschichte<lb/> des Art. 84 ergiebt sich aber, wie dargelegt ist, daß beide Kammern die heutige<lb/> Wortfassung desselben als Inbegriff der ganzen Thätigkeit eines Abgeordneten<lb/> annahmen. Eben deshalb und nur deshalb ließen sie im Plenum, ja selbst<lb/> schon in den Commissionen alle beschränkenden, alle zweifelhaft zwischen „Meinung<lb/> und Aeußerung" scheidenden Anträge fallen. (Gerade auf die Ansicht der<lb/> Majorität in Commission und Plenum kommt es aber doch an, nicht darauf,<lb/> ob hier oder dort ein vereinzelter und unberücksichtigter Antrag gestellt wird.)<lb/> Eben deshalb serner erstreckte die Revisionscommission der zweiten Kammer mit<lb/> Ausschluß jeder gerichtlichen Verfolgung die Disciplinargewalt des Hauses bis<lb/> auf vorübergehende Exclusion von Mitgliedern; und in der ersten Kammer,<lb/> wo Kislar, wie gezeigt, gerade auf die jetzt von den Gegnern betonte Unter¬<lb/> scheidung zwischen „Meinung" und „Aeußerung" hinwies, und wo er, wie jetzt<lb/> die Gegner, den Gerichten die Verfolgung gegen die straffälligen Reden der<lb/> Kammermitgliedcr reserviren wollte, ließ das Haus seine Rede unberücksichtigt,<lb/> es ging stillschweigend darüber weg und lehrte damit, wie es den Artikel 84<lb/> verstanden wissen wollte. — Der oben citirte Wortlaut feiner des Gesetzes vom<lb/> 23. Juni 1848 und des Commissionsentwurfs der Nationalversammlung be¬<lb/> weisen gerade gegen die Auffassung der Gegner. Denn wollten diese recht um¬<lb/> fassend, allgemein die Redefreiheit der Kammermitgliedcr festsetzen, so brauchten<lb/> sie ja eben keine Scheidung zwischen „Wort" und „Meinung", „Aeußerung"<lb/> und „Meinung" festzuhalten, immer siel die ganze Thätigkeit der Mitglieder<lb/> höchstens unter die Aufsicht der Häuser. Hatte aber andrerseits eines der<lb/> unserm Art. 84 voraufgegangenen Gesetze die Absicht, recht unbeschränkt die<lb/> Redefreiheit der Abgeordneten auszusprechen und zu sichern, so war es doch<lb/> gewiß die unter dem Einflüsse der Märzcreignisse unmittelbar entstandene Re¬<lb/> gierungsvorlage vom 20. Mai 1848, und gerade sie sagt in K. 87 „Abstimmung"<lb/> und „ausgesprochene Meinungen". Ebenso braucht Art. 27 der Verfassungs¬<lb/> urkunde den Ausdruck „seine Meinung äußern" ganz im allgemeinen Sinne<lb/> „eine Aeußerung thun" und weiß nichts von einer sprachlichen Scheidung<lb/> »wischen beiden Worten. Aus allen jenen Gesetzen sodann hat sich, wie ge-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0114]
selbst von den Gegnern anerkannten Hauptthätigkeit der Abgeordneten, dem
Abgeben der Meinung und der Stimme, in den meisten Fällen gar nicht zu
scheiden sein, wo nun in der einzelnen Rede die Meinung aufhörte und die
Aeußerung anfinge. Ja, der Abgeordnete kann doch bei der bloßen Motivirung
seiner Abstimmung allen sonstigen Inhalt einer „Aeußerung" vorbringen; nun
brauchte er gar nur alle seine Cxpcctorationen schließlich ausdrücklich als Aus¬
druck seiner „Meinung" zu erklären und es wäre auch dem scharfsinnigsten
politischen Gegner und Richter unmöglich, mit Gründen zu bestimmen, daß
hier und wie die Scheidung zwischen „Aeußerung" und „Meinung" Platz greife.
Diese Scheidung an sich ist also unwahr und unpraktisch. Aus der Geschichte
des Art. 84 ergiebt sich aber, wie dargelegt ist, daß beide Kammern die heutige
Wortfassung desselben als Inbegriff der ganzen Thätigkeit eines Abgeordneten
annahmen. Eben deshalb und nur deshalb ließen sie im Plenum, ja selbst
schon in den Commissionen alle beschränkenden, alle zweifelhaft zwischen „Meinung
und Aeußerung" scheidenden Anträge fallen. (Gerade auf die Ansicht der
Majorität in Commission und Plenum kommt es aber doch an, nicht darauf,
ob hier oder dort ein vereinzelter und unberücksichtigter Antrag gestellt wird.)
Eben deshalb serner erstreckte die Revisionscommission der zweiten Kammer mit
Ausschluß jeder gerichtlichen Verfolgung die Disciplinargewalt des Hauses bis
auf vorübergehende Exclusion von Mitgliedern; und in der ersten Kammer,
wo Kislar, wie gezeigt, gerade auf die jetzt von den Gegnern betonte Unter¬
scheidung zwischen „Meinung" und „Aeußerung" hinwies, und wo er, wie jetzt
die Gegner, den Gerichten die Verfolgung gegen die straffälligen Reden der
Kammermitgliedcr reserviren wollte, ließ das Haus seine Rede unberücksichtigt,
es ging stillschweigend darüber weg und lehrte damit, wie es den Artikel 84
verstanden wissen wollte. — Der oben citirte Wortlaut feiner des Gesetzes vom
23. Juni 1848 und des Commissionsentwurfs der Nationalversammlung be¬
weisen gerade gegen die Auffassung der Gegner. Denn wollten diese recht um¬
fassend, allgemein die Redefreiheit der Kammermitgliedcr festsetzen, so brauchten
sie ja eben keine Scheidung zwischen „Wort" und „Meinung", „Aeußerung"
und „Meinung" festzuhalten, immer siel die ganze Thätigkeit der Mitglieder
höchstens unter die Aufsicht der Häuser. Hatte aber andrerseits eines der
unserm Art. 84 voraufgegangenen Gesetze die Absicht, recht unbeschränkt die
Redefreiheit der Abgeordneten auszusprechen und zu sichern, so war es doch
gewiß die unter dem Einflüsse der Märzcreignisse unmittelbar entstandene Re¬
gierungsvorlage vom 20. Mai 1848, und gerade sie sagt in K. 87 „Abstimmung"
und „ausgesprochene Meinungen". Ebenso braucht Art. 27 der Verfassungs¬
urkunde den Ausdruck „seine Meinung äußern" ganz im allgemeinen Sinne
„eine Aeußerung thun" und weiß nichts von einer sprachlichen Scheidung
»wischen beiden Worten. Aus allen jenen Gesetzen sodann hat sich, wie ge-
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