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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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dinavismus wie die Pest verabscheuen, und weil derselbe in der That dem Ein-
fluß der ursprünglich deutschen oder vorwiegend deutsch gebildeten Adelsgeschlechter
in Dänemark vollends ein Ende zu machen droht? Sollen wir die Verwirk¬
lichung der skandinavischen Idee verwünschen und bekämpfen, weil die dänischen
Patrioten davon vor allem erwarten, daß sie ein größeres oder geringeres
Stück von Schleswig an Dänemark zurückbringe?

Die Beantwortung dieser kritischen Frage wird großentheils von Schwedens
fernerer Haltung abhängen. Begreift man in Stockholm, daß die Unterstützung
der Westmächte allein noch keinen sicheren Erfolg in Aussicht stellt, daß es viel-
mehr darauf ankommt, den Bund der beiden großen Ostseemächte zu sprengen.
Preußen von Rußland zu trennen und für die Zurückerwerbung Finnlands,
als für Schwedens nächste nationale Aufgabe, die Unterstützung oder wenigstens
die Neutralität Preußens zu erkaufen; gelingt es ferner den Schweden, ihre Führer¬
stellung im Verein der skandinavischen Völker dazu zu benutzen, daß Norwegen
und Dänemark mit ihnen alle Anstrengungen zunächst gegen Rußland richten,
daß folglich der Gedanke an die Zurückerwerbung Dänisch-Schleswigs zum
wenigsten vorerst vertagt wir>: so besteht für eine nationale deutsche Politik
kein Grund, den Skandinaven ihre politische Einheit zu mißgönnen. Uns ist
mit der skandinavischen Union nicht die Pforte des Weltmeers zugeschlossen,
wie den Russen. Wir haben die Nordsee und obendrein voraussichtlich bald
den Nordostseekanal. Unsre nationale Politik ist überhaupt nicht wie die eroberungs-
süchtig.vrutale der Russen dabei interessirt, daß unsre Nachbarn in Zersplitterung
und Schwäche fortleben. Im Gegentheil, als gleichfalls ausgesetzt den Ueber-
griffen der beiden großen Militärmächte im Westen und Osten, können wir die
Erstarkung aller in ähnlicher Lage befindlichen Nationen der Mitte Europas,
oder überhaupt aller Nachbarn Rußlands und Frankreichs, nur lebhaft wünschen.
Die skandinavische Idee aber hat für uns noch den ferneren Vortheil', daß sie
von Frankreich und Rußland gründlich verschieden aufgefaßt wird und sie in
ihrem praktischen Verlauf unversöhnbar zu trennen verspricht. Denn während
Rußland allerdings kaum umhin kann, sie aufs äußerste zu bekämpfen, hat
Frankreich sie unter die Zahl jener civilisatorischen Ideen aufgenommen, für
welche es mitunter den Degen zieht. Es begünstigt Karls des Fünfzehnten Entwürfe.
Es mag immerhin der Meinung sein, damit nicht blos Rußland, sondern auch
Deutschland einen Pfahl ins Fleisch zu stoßen: die Hauptsache für uns ist, daß
es für die Unterstützung dieser Idee bis auf Weiteres engagirt ist. Wirken
wir ebenfalls in dieser Richtung, so kann es, sollte man denken, kaum alß.
glücken, dem werdenden skandinavischen Bunde eine ausschließliche Spitze gegen
Rußland zu verleihen.

Leider besteht vorerst nur sehr entfernte Aussicht, daß man sich in Berlin
einer unbefangenen und gesunden Anschauung in Betreff der nordischen Ver-


G renzboten II. 186S. 62

dinavismus wie die Pest verabscheuen, und weil derselbe in der That dem Ein-
fluß der ursprünglich deutschen oder vorwiegend deutsch gebildeten Adelsgeschlechter
in Dänemark vollends ein Ende zu machen droht? Sollen wir die Verwirk¬
lichung der skandinavischen Idee verwünschen und bekämpfen, weil die dänischen
Patrioten davon vor allem erwarten, daß sie ein größeres oder geringeres
Stück von Schleswig an Dänemark zurückbringe?

Die Beantwortung dieser kritischen Frage wird großentheils von Schwedens
fernerer Haltung abhängen. Begreift man in Stockholm, daß die Unterstützung
der Westmächte allein noch keinen sicheren Erfolg in Aussicht stellt, daß es viel-
mehr darauf ankommt, den Bund der beiden großen Ostseemächte zu sprengen.
Preußen von Rußland zu trennen und für die Zurückerwerbung Finnlands,
als für Schwedens nächste nationale Aufgabe, die Unterstützung oder wenigstens
die Neutralität Preußens zu erkaufen; gelingt es ferner den Schweden, ihre Führer¬
stellung im Verein der skandinavischen Völker dazu zu benutzen, daß Norwegen
und Dänemark mit ihnen alle Anstrengungen zunächst gegen Rußland richten,
daß folglich der Gedanke an die Zurückerwerbung Dänisch-Schleswigs zum
wenigsten vorerst vertagt wir>: so besteht für eine nationale deutsche Politik
kein Grund, den Skandinaven ihre politische Einheit zu mißgönnen. Uns ist
mit der skandinavischen Union nicht die Pforte des Weltmeers zugeschlossen,
wie den Russen. Wir haben die Nordsee und obendrein voraussichtlich bald
den Nordostseekanal. Unsre nationale Politik ist überhaupt nicht wie die eroberungs-
süchtig.vrutale der Russen dabei interessirt, daß unsre Nachbarn in Zersplitterung
und Schwäche fortleben. Im Gegentheil, als gleichfalls ausgesetzt den Ueber-
griffen der beiden großen Militärmächte im Westen und Osten, können wir die
Erstarkung aller in ähnlicher Lage befindlichen Nationen der Mitte Europas,
oder überhaupt aller Nachbarn Rußlands und Frankreichs, nur lebhaft wünschen.
Die skandinavische Idee aber hat für uns noch den ferneren Vortheil', daß sie
von Frankreich und Rußland gründlich verschieden aufgefaßt wird und sie in
ihrem praktischen Verlauf unversöhnbar zu trennen verspricht. Denn während
Rußland allerdings kaum umhin kann, sie aufs äußerste zu bekämpfen, hat
Frankreich sie unter die Zahl jener civilisatorischen Ideen aufgenommen, für
welche es mitunter den Degen zieht. Es begünstigt Karls des Fünfzehnten Entwürfe.
Es mag immerhin der Meinung sein, damit nicht blos Rußland, sondern auch
Deutschland einen Pfahl ins Fleisch zu stoßen: die Hauptsache für uns ist, daß
es für die Unterstützung dieser Idee bis auf Weiteres engagirt ist. Wirken
wir ebenfalls in dieser Richtung, so kann es, sollte man denken, kaum alß.
glücken, dem werdenden skandinavischen Bunde eine ausschließliche Spitze gegen
Rußland zu verleihen.

Leider besteht vorerst nur sehr entfernte Aussicht, daß man sich in Berlin
einer unbefangenen und gesunden Anschauung in Betreff der nordischen Ver-


G renzboten II. 186S. 62
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[0519] dinavismus wie die Pest verabscheuen, und weil derselbe in der That dem Ein- fluß der ursprünglich deutschen oder vorwiegend deutsch gebildeten Adelsgeschlechter in Dänemark vollends ein Ende zu machen droht? Sollen wir die Verwirk¬ lichung der skandinavischen Idee verwünschen und bekämpfen, weil die dänischen Patrioten davon vor allem erwarten, daß sie ein größeres oder geringeres Stück von Schleswig an Dänemark zurückbringe? Die Beantwortung dieser kritischen Frage wird großentheils von Schwedens fernerer Haltung abhängen. Begreift man in Stockholm, daß die Unterstützung der Westmächte allein noch keinen sicheren Erfolg in Aussicht stellt, daß es viel- mehr darauf ankommt, den Bund der beiden großen Ostseemächte zu sprengen. Preußen von Rußland zu trennen und für die Zurückerwerbung Finnlands, als für Schwedens nächste nationale Aufgabe, die Unterstützung oder wenigstens die Neutralität Preußens zu erkaufen; gelingt es ferner den Schweden, ihre Führer¬ stellung im Verein der skandinavischen Völker dazu zu benutzen, daß Norwegen und Dänemark mit ihnen alle Anstrengungen zunächst gegen Rußland richten, daß folglich der Gedanke an die Zurückerwerbung Dänisch-Schleswigs zum wenigsten vorerst vertagt wir>: so besteht für eine nationale deutsche Politik kein Grund, den Skandinaven ihre politische Einheit zu mißgönnen. Uns ist mit der skandinavischen Union nicht die Pforte des Weltmeers zugeschlossen, wie den Russen. Wir haben die Nordsee und obendrein voraussichtlich bald den Nordostseekanal. Unsre nationale Politik ist überhaupt nicht wie die eroberungs- süchtig.vrutale der Russen dabei interessirt, daß unsre Nachbarn in Zersplitterung und Schwäche fortleben. Im Gegentheil, als gleichfalls ausgesetzt den Ueber- griffen der beiden großen Militärmächte im Westen und Osten, können wir die Erstarkung aller in ähnlicher Lage befindlichen Nationen der Mitte Europas, oder überhaupt aller Nachbarn Rußlands und Frankreichs, nur lebhaft wünschen. Die skandinavische Idee aber hat für uns noch den ferneren Vortheil', daß sie von Frankreich und Rußland gründlich verschieden aufgefaßt wird und sie in ihrem praktischen Verlauf unversöhnbar zu trennen verspricht. Denn während Rußland allerdings kaum umhin kann, sie aufs äußerste zu bekämpfen, hat Frankreich sie unter die Zahl jener civilisatorischen Ideen aufgenommen, für welche es mitunter den Degen zieht. Es begünstigt Karls des Fünfzehnten Entwürfe. Es mag immerhin der Meinung sein, damit nicht blos Rußland, sondern auch Deutschland einen Pfahl ins Fleisch zu stoßen: die Hauptsache für uns ist, daß es für die Unterstützung dieser Idee bis auf Weiteres engagirt ist. Wirken wir ebenfalls in dieser Richtung, so kann es, sollte man denken, kaum alß. glücken, dem werdenden skandinavischen Bunde eine ausschließliche Spitze gegen Rußland zu verleihen. Leider besteht vorerst nur sehr entfernte Aussicht, daß man sich in Berlin einer unbefangenen und gesunden Anschauung in Betreff der nordischen Ver- G renzboten II. 186S. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/519>, abgerufen am 29.06.2024.