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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Die Politische Bewegung im Norden.

Der gesammte skandinavische Norden wird gegenwärtig von Verfassungs¬
kämpfen in Athem gehalten.

In den größten und dringendsten konstitutionellen Schwierigkeiten befindet
sich Dänemark, von dessen zwei Verfassungen, der dem Königreich allein an"
gehörigen vom S. Juni 1849 und der das Königreich und Schleswig um>
fassenden vom 18. November 1863, die letztere seit dem vorjährigen Kriege
ihren Gegenstand verloren hat, nämlich die Einverleibung Schleswigs. Die
Gegner dieses eiderdänischen Grundgesetzes nahmen anfänglich an, mit dem
materiellen Sinne habe dasselbe zugleich seine formelle Kraft verloren.
Aber selbst das Ministerium Bluhme-David, obgleich im bewußten Gegensatz
zu den Eiderdänen entstanden, mochte sich dieser Meinung nicht anschließen.
So begannen denn die Verhandlungen über die Außerkraftsetzung der Verfassung
von 1863 und die mehr oder weniger vollständige Wiederherstellung der Ver¬
fassung von 1849. Der letzte Winter ging damit hin, daß zwischen der Ne¬
gierung und den beiden Thingen des Neichsraths. d. h. der Dänemark und
Schleswig gemeinsamen Institution der Novemberverfassung, noch eine Ver¬
ständigung gesucht wurde, deren Ergebniß dann noch der Zustimmung des aus¬
schließlich dänischen Reichstages bedurft hätte. Zu einer solchen Verständigung
indessen kam es nicht. Die im Reichsraths-Folkething herrschende Partei der
Bauernfreunde warf ihr zwei Steine in den Weg, über welche alles Entgegen¬
kommen der Regierung und des Landsthing stolperte. Sie behauptete erstens,
daß die Regierung zunächst an den Reichstag hätte gehen müssen, als die nun¬
mehr hauptsächlich oder allein noch berechtigte Landesvertretung; und zweitens
wollte sie von der Juniverfassung, die den breiten demokratischen Stempel des
Jahres 1849 trägt, wenig oder nichts preisgeben, sie vielmehr am liebsten
einfach wieder in Kraft treten sehen, namentlich aber nicht einer gemäßigt-
conservativen Umgestaltung des in dieser Verfassung enthaltenen Landsthing
zustimmen, wie Regierung und Neichsraths-Landsthing sie wünschten. Das
Landsthing der Junivcrfassung ist wenig mehr als eine zweite Auflage des


Grenzboten II. 186ö. 61
Die Politische Bewegung im Norden.

Der gesammte skandinavische Norden wird gegenwärtig von Verfassungs¬
kämpfen in Athem gehalten.

In den größten und dringendsten konstitutionellen Schwierigkeiten befindet
sich Dänemark, von dessen zwei Verfassungen, der dem Königreich allein an»
gehörigen vom S. Juni 1849 und der das Königreich und Schleswig um>
fassenden vom 18. November 1863, die letztere seit dem vorjährigen Kriege
ihren Gegenstand verloren hat, nämlich die Einverleibung Schleswigs. Die
Gegner dieses eiderdänischen Grundgesetzes nahmen anfänglich an, mit dem
materiellen Sinne habe dasselbe zugleich seine formelle Kraft verloren.
Aber selbst das Ministerium Bluhme-David, obgleich im bewußten Gegensatz
zu den Eiderdänen entstanden, mochte sich dieser Meinung nicht anschließen.
So begannen denn die Verhandlungen über die Außerkraftsetzung der Verfassung
von 1863 und die mehr oder weniger vollständige Wiederherstellung der Ver¬
fassung von 1849. Der letzte Winter ging damit hin, daß zwischen der Ne¬
gierung und den beiden Thingen des Neichsraths. d. h. der Dänemark und
Schleswig gemeinsamen Institution der Novemberverfassung, noch eine Ver¬
ständigung gesucht wurde, deren Ergebniß dann noch der Zustimmung des aus¬
schließlich dänischen Reichstages bedurft hätte. Zu einer solchen Verständigung
indessen kam es nicht. Die im Reichsraths-Folkething herrschende Partei der
Bauernfreunde warf ihr zwei Steine in den Weg, über welche alles Entgegen¬
kommen der Regierung und des Landsthing stolperte. Sie behauptete erstens,
daß die Regierung zunächst an den Reichstag hätte gehen müssen, als die nun¬
mehr hauptsächlich oder allein noch berechtigte Landesvertretung; und zweitens
wollte sie von der Juniverfassung, die den breiten demokratischen Stempel des
Jahres 1849 trägt, wenig oder nichts preisgeben, sie vielmehr am liebsten
einfach wieder in Kraft treten sehen, namentlich aber nicht einer gemäßigt-
conservativen Umgestaltung des in dieser Verfassung enthaltenen Landsthing
zustimmen, wie Regierung und Neichsraths-Landsthing sie wünschten. Das
Landsthing der Junivcrfassung ist wenig mehr als eine zweite Auflage des


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[0511] Die Politische Bewegung im Norden. Der gesammte skandinavische Norden wird gegenwärtig von Verfassungs¬ kämpfen in Athem gehalten. In den größten und dringendsten konstitutionellen Schwierigkeiten befindet sich Dänemark, von dessen zwei Verfassungen, der dem Königreich allein an» gehörigen vom S. Juni 1849 und der das Königreich und Schleswig um> fassenden vom 18. November 1863, die letztere seit dem vorjährigen Kriege ihren Gegenstand verloren hat, nämlich die Einverleibung Schleswigs. Die Gegner dieses eiderdänischen Grundgesetzes nahmen anfänglich an, mit dem materiellen Sinne habe dasselbe zugleich seine formelle Kraft verloren. Aber selbst das Ministerium Bluhme-David, obgleich im bewußten Gegensatz zu den Eiderdänen entstanden, mochte sich dieser Meinung nicht anschließen. So begannen denn die Verhandlungen über die Außerkraftsetzung der Verfassung von 1863 und die mehr oder weniger vollständige Wiederherstellung der Ver¬ fassung von 1849. Der letzte Winter ging damit hin, daß zwischen der Ne¬ gierung und den beiden Thingen des Neichsraths. d. h. der Dänemark und Schleswig gemeinsamen Institution der Novemberverfassung, noch eine Ver¬ ständigung gesucht wurde, deren Ergebniß dann noch der Zustimmung des aus¬ schließlich dänischen Reichstages bedurft hätte. Zu einer solchen Verständigung indessen kam es nicht. Die im Reichsraths-Folkething herrschende Partei der Bauernfreunde warf ihr zwei Steine in den Weg, über welche alles Entgegen¬ kommen der Regierung und des Landsthing stolperte. Sie behauptete erstens, daß die Regierung zunächst an den Reichstag hätte gehen müssen, als die nun¬ mehr hauptsächlich oder allein noch berechtigte Landesvertretung; und zweitens wollte sie von der Juniverfassung, die den breiten demokratischen Stempel des Jahres 1849 trägt, wenig oder nichts preisgeben, sie vielmehr am liebsten einfach wieder in Kraft treten sehen, namentlich aber nicht einer gemäßigt- conservativen Umgestaltung des in dieser Verfassung enthaltenen Landsthing zustimmen, wie Regierung und Neichsraths-Landsthing sie wünschten. Das Landsthing der Junivcrfassung ist wenig mehr als eine zweite Auflage des Grenzboten II. 186ö. 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/511>, abgerufen am 04.12.2024.