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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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alles öffentlichen Rechtes in Preußen sind: wo die Verwaltungspraxis mit dem
Verfassungsrechte in Widerspruch steht, ist sie der Verfassung gemäß umzugestalten;
die erste und vorzüglichste Quelle aller staatsrechtlichen Interpretation ist die
Verfassung; das ältere Staatsrecht tritt als Jnterpretationsmitel nur subfidiarisch
auf, wo die Bestimmungen der Verfassung durchaus keinen Anhalt für die
Entscheidung einer Frage des öffentlichen Rechts geben.

Es ist für die Entwicklung des preußischen Verfassungswesens von sehr
ungünstigem Einfluß gewesen, daß mehre Jahre hindurch die erstere Richtung
im Abgeordnetenhause selbst, infolge der Erschlaffung, die nach den Stürmen
der Jahre 1848 und 1849 eingetreten war, ein entscheidendes Uebergewicht
gehabt hat. Man kann die rückläufige Bewegung dieser Periode als eine Re¬
action des absolutistisch-büreaukratischen gegen das constitutionelle Regime be¬
zeichnen; indessen ist dieser Ausdruck doch zu allgemein und unbestimmt, um
einen klaren Begriff von dem Kern und Wesen der Revisionsperiode zumal in
ihren letzten Ausläufern zu geben. Zunächst muß man festhalten, daß die
Tendenz des Ministeriums Manteuffel-Westphalen keineswegs darausgerichtet war,
die Verhältnisse, wie sie aus den Stürmen des Jahres 1848 hervorgegangen
waren, im Geiste des altpreußischen Staatswesens umzugestalten. Dieser Geist
war sehr wohl fähig, sich willig und vorbehaltlos in die neuen Verhältnisse
einzufügen; war doch die letzte große That dieses Geistes im innern Staats¬
leben darauf gerichtet gewesen, den Staat auf dem Wege der Verwaltungs¬
reform zum Verfassungsstaate umzubilden. Dies Vorbild war im Kampfe gegen
die Verfassung unbrauchbar; das Einzige, was aus der Stein-Hardenbergschen
Periode entnommen werden konnte, war die einheitliche Gestaltung und scharfe
Concentrirung der obersten Staatsleitung, aber im durchaus bürokratisch-
polizeilichen Sinne gefaßt: wie es denn ganz unzweifelhaft ist, daß in der
Gegenwart jede Reaction gegen ein bestehendes constitutionelles Staatswesen,
sei es mit Vorsatz und klarem Bewußtsein, sei es unwillkürlich unter dem Drucke
der Verhältnisse, sich in der Richtung der französischen Beamtenhierarchie be¬
wegen muß; die Beamten und insbesondere diejenigen unter ihnen, welche im
engsten Amtsbezirke wirksam sind, und daher den größten persönlichen Einfluß
auf die Stimmung der Bevölkerung auszuüben vermögen, werden aus einfachen
Organen der Verwaltung zu Trägern der politischen Richtung der jedesmaligen
Regierung. Daß das System jeden Augenblick in den radikalsten Parlamentarismus,
zu dessen Bekämpfung es gerade in Anwendung gebracht werden soll, umschlagen
kann, ist ebenso ersichtlich, wie es klar ist, daß man es mit keinem unpassenderer
Namen als dem eines specifisch königlichen Regiments bezeichnen kann. Diese
Bezeichnung würde nur dann wenigstens in gewissem Sinne richtig sein"
wenn sich voraussetzen ließe, daß die Regierung eines Versassungsstaates im
Stande wäre, sich vollständig frei von jedem Parteieinflusse zu erhalten; die?


alles öffentlichen Rechtes in Preußen sind: wo die Verwaltungspraxis mit dem
Verfassungsrechte in Widerspruch steht, ist sie der Verfassung gemäß umzugestalten;
die erste und vorzüglichste Quelle aller staatsrechtlichen Interpretation ist die
Verfassung; das ältere Staatsrecht tritt als Jnterpretationsmitel nur subfidiarisch
auf, wo die Bestimmungen der Verfassung durchaus keinen Anhalt für die
Entscheidung einer Frage des öffentlichen Rechts geben.

Es ist für die Entwicklung des preußischen Verfassungswesens von sehr
ungünstigem Einfluß gewesen, daß mehre Jahre hindurch die erstere Richtung
im Abgeordnetenhause selbst, infolge der Erschlaffung, die nach den Stürmen
der Jahre 1848 und 1849 eingetreten war, ein entscheidendes Uebergewicht
gehabt hat. Man kann die rückläufige Bewegung dieser Periode als eine Re¬
action des absolutistisch-büreaukratischen gegen das constitutionelle Regime be¬
zeichnen; indessen ist dieser Ausdruck doch zu allgemein und unbestimmt, um
einen klaren Begriff von dem Kern und Wesen der Revisionsperiode zumal in
ihren letzten Ausläufern zu geben. Zunächst muß man festhalten, daß die
Tendenz des Ministeriums Manteuffel-Westphalen keineswegs darausgerichtet war,
die Verhältnisse, wie sie aus den Stürmen des Jahres 1848 hervorgegangen
waren, im Geiste des altpreußischen Staatswesens umzugestalten. Dieser Geist
war sehr wohl fähig, sich willig und vorbehaltlos in die neuen Verhältnisse
einzufügen; war doch die letzte große That dieses Geistes im innern Staats¬
leben darauf gerichtet gewesen, den Staat auf dem Wege der Verwaltungs¬
reform zum Verfassungsstaate umzubilden. Dies Vorbild war im Kampfe gegen
die Verfassung unbrauchbar; das Einzige, was aus der Stein-Hardenbergschen
Periode entnommen werden konnte, war die einheitliche Gestaltung und scharfe
Concentrirung der obersten Staatsleitung, aber im durchaus bürokratisch-
polizeilichen Sinne gefaßt: wie es denn ganz unzweifelhaft ist, daß in der
Gegenwart jede Reaction gegen ein bestehendes constitutionelles Staatswesen,
sei es mit Vorsatz und klarem Bewußtsein, sei es unwillkürlich unter dem Drucke
der Verhältnisse, sich in der Richtung der französischen Beamtenhierarchie be¬
wegen muß; die Beamten und insbesondere diejenigen unter ihnen, welche im
engsten Amtsbezirke wirksam sind, und daher den größten persönlichen Einfluß
auf die Stimmung der Bevölkerung auszuüben vermögen, werden aus einfachen
Organen der Verwaltung zu Trägern der politischen Richtung der jedesmaligen
Regierung. Daß das System jeden Augenblick in den radikalsten Parlamentarismus,
zu dessen Bekämpfung es gerade in Anwendung gebracht werden soll, umschlagen
kann, ist ebenso ersichtlich, wie es klar ist, daß man es mit keinem unpassenderer
Namen als dem eines specifisch königlichen Regiments bezeichnen kann. Diese
Bezeichnung würde nur dann wenigstens in gewissem Sinne richtig sein»
wenn sich voraussetzen ließe, daß die Regierung eines Versassungsstaates im
Stande wäre, sich vollständig frei von jedem Parteieinflusse zu erhalten; die?


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[0496] alles öffentlichen Rechtes in Preußen sind: wo die Verwaltungspraxis mit dem Verfassungsrechte in Widerspruch steht, ist sie der Verfassung gemäß umzugestalten; die erste und vorzüglichste Quelle aller staatsrechtlichen Interpretation ist die Verfassung; das ältere Staatsrecht tritt als Jnterpretationsmitel nur subfidiarisch auf, wo die Bestimmungen der Verfassung durchaus keinen Anhalt für die Entscheidung einer Frage des öffentlichen Rechts geben. Es ist für die Entwicklung des preußischen Verfassungswesens von sehr ungünstigem Einfluß gewesen, daß mehre Jahre hindurch die erstere Richtung im Abgeordnetenhause selbst, infolge der Erschlaffung, die nach den Stürmen der Jahre 1848 und 1849 eingetreten war, ein entscheidendes Uebergewicht gehabt hat. Man kann die rückläufige Bewegung dieser Periode als eine Re¬ action des absolutistisch-büreaukratischen gegen das constitutionelle Regime be¬ zeichnen; indessen ist dieser Ausdruck doch zu allgemein und unbestimmt, um einen klaren Begriff von dem Kern und Wesen der Revisionsperiode zumal in ihren letzten Ausläufern zu geben. Zunächst muß man festhalten, daß die Tendenz des Ministeriums Manteuffel-Westphalen keineswegs darausgerichtet war, die Verhältnisse, wie sie aus den Stürmen des Jahres 1848 hervorgegangen waren, im Geiste des altpreußischen Staatswesens umzugestalten. Dieser Geist war sehr wohl fähig, sich willig und vorbehaltlos in die neuen Verhältnisse einzufügen; war doch die letzte große That dieses Geistes im innern Staats¬ leben darauf gerichtet gewesen, den Staat auf dem Wege der Verwaltungs¬ reform zum Verfassungsstaate umzubilden. Dies Vorbild war im Kampfe gegen die Verfassung unbrauchbar; das Einzige, was aus der Stein-Hardenbergschen Periode entnommen werden konnte, war die einheitliche Gestaltung und scharfe Concentrirung der obersten Staatsleitung, aber im durchaus bürokratisch- polizeilichen Sinne gefaßt: wie es denn ganz unzweifelhaft ist, daß in der Gegenwart jede Reaction gegen ein bestehendes constitutionelles Staatswesen, sei es mit Vorsatz und klarem Bewußtsein, sei es unwillkürlich unter dem Drucke der Verhältnisse, sich in der Richtung der französischen Beamtenhierarchie be¬ wegen muß; die Beamten und insbesondere diejenigen unter ihnen, welche im engsten Amtsbezirke wirksam sind, und daher den größten persönlichen Einfluß auf die Stimmung der Bevölkerung auszuüben vermögen, werden aus einfachen Organen der Verwaltung zu Trägern der politischen Richtung der jedesmaligen Regierung. Daß das System jeden Augenblick in den radikalsten Parlamentarismus, zu dessen Bekämpfung es gerade in Anwendung gebracht werden soll, umschlagen kann, ist ebenso ersichtlich, wie es klar ist, daß man es mit keinem unpassenderer Namen als dem eines specifisch königlichen Regiments bezeichnen kann. Diese Bezeichnung würde nur dann wenigstens in gewissem Sinne richtig sein» wenn sich voraussetzen ließe, daß die Regierung eines Versassungsstaates im Stande wäre, sich vollständig frei von jedem Parteieinflusse zu erhalten; die?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/496>, abgerufen am 26.06.2024.