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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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MMsche Romane.

Daß der Geist, aus dem die Bücher Tobie und Judith hervorgegangen
sind, ein weit edlerer ist als der, welchem das Buch Esther und der Aristcas-
brief entsprangen, habe ich schon vor kurzem in diesen Blättern angedeutet.
Schon die Pflicht der Gerechtigkeit erheischt daher von mir, daß ich der
Besprechung der letzten beiden Bücher die des erstgenannten Paares folgen
lasse, damit der Leser nicht eine zu niedrige Meinung über den Werth des alt¬
jüdischen Romanes im Allgemeinen bekomme.

1. Judith.

Der griechische Text, den wir in den gewöhnlichen griechischen Bibeln
finden, und der, wie wir unten sehen werden, dem Urtext am nächsten steht,
hat folgenden Inhalt:

Nebukadnezar, König der Assyrer in Ninive, liegt im Streit mit Arphaxad,
König der Meder, welcher seine Hauptstadt Ekbatana gewaltig befestigt hat.
Der assyrische König entbietet alle Bewohner Vorderasiens bis nach Aethiopien
hin zur Heeresfolge, aber sie gehorchen nicht. Dennoch schlägt er im siebzehnten
Jahre seiner Regierung den Arphaxad und bringt ihn um, worauf er mit seinem
^reichen Heere ein 120tägigcs Freudenfest feiert.

Im Beginn des folgenden Jahres beschließt er mit seinen Großen, die
unbotmäßigen Völker zu züchtigen. Olophernes, sein erster Feldherr, soll sie
unterwerfen; über die, welche sich ergeben, will er selbst später Gericht halten;
die widerspenstigen soll der Heerführer vernichten. Mit gewaltiger Heeresmacht
zieht dieser aus; alles unterwirft sich. Die Namen der Völker, Länder und
Städte, welche er berührt, sind zum Theil undeutlich und verwirrt, so daß wir
die Richtung des Zuges nicht genau erkennen können, aber so viel ist klar,
nach und nach sind alle Länder ohne Widerstand in den Händen der Assyrer,
mit Ausnahme des gebirgigen Landes der Juden mit Inbegriff Samariens
(welches durchaus als zu Judäa gehörig betrachtet wird). Ueberall zerstört
Olophernes die Heiligthümer der Völker, da er nur die Verehrung eines einzigen
Gottes, nämlich seines Königs, gestattet.

Gerade dieser Umstand macht es den Juden unmöglich, sich zu unter¬
werfen; sie können ihren nach der Rückkehr aus der Verbannung erst vor
kurzem neu erbauten Tempel nicht dem rohen Heiden ausliefern. Sie entschließen
sich also zum Widerstande und befestigen alle Punkte, welche zur Vertheidigung
geeignet sind. Der hohe Priester Jojakim befiehlt besonders den Bewohnern


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MMsche Romane.

Daß der Geist, aus dem die Bücher Tobie und Judith hervorgegangen
sind, ein weit edlerer ist als der, welchem das Buch Esther und der Aristcas-
brief entsprangen, habe ich schon vor kurzem in diesen Blättern angedeutet.
Schon die Pflicht der Gerechtigkeit erheischt daher von mir, daß ich der
Besprechung der letzten beiden Bücher die des erstgenannten Paares folgen
lasse, damit der Leser nicht eine zu niedrige Meinung über den Werth des alt¬
jüdischen Romanes im Allgemeinen bekomme.

1. Judith.

Der griechische Text, den wir in den gewöhnlichen griechischen Bibeln
finden, und der, wie wir unten sehen werden, dem Urtext am nächsten steht,
hat folgenden Inhalt:

Nebukadnezar, König der Assyrer in Ninive, liegt im Streit mit Arphaxad,
König der Meder, welcher seine Hauptstadt Ekbatana gewaltig befestigt hat.
Der assyrische König entbietet alle Bewohner Vorderasiens bis nach Aethiopien
hin zur Heeresfolge, aber sie gehorchen nicht. Dennoch schlägt er im siebzehnten
Jahre seiner Regierung den Arphaxad und bringt ihn um, worauf er mit seinem
^reichen Heere ein 120tägigcs Freudenfest feiert.

Im Beginn des folgenden Jahres beschließt er mit seinen Großen, die
unbotmäßigen Völker zu züchtigen. Olophernes, sein erster Feldherr, soll sie
unterwerfen; über die, welche sich ergeben, will er selbst später Gericht halten;
die widerspenstigen soll der Heerführer vernichten. Mit gewaltiger Heeresmacht
zieht dieser aus; alles unterwirft sich. Die Namen der Völker, Länder und
Städte, welche er berührt, sind zum Theil undeutlich und verwirrt, so daß wir
die Richtung des Zuges nicht genau erkennen können, aber so viel ist klar,
nach und nach sind alle Länder ohne Widerstand in den Händen der Assyrer,
mit Ausnahme des gebirgigen Landes der Juden mit Inbegriff Samariens
(welches durchaus als zu Judäa gehörig betrachtet wird). Ueberall zerstört
Olophernes die Heiligthümer der Völker, da er nur die Verehrung eines einzigen
Gottes, nämlich seines Königs, gestattet.

Gerade dieser Umstand macht es den Juden unmöglich, sich zu unter¬
werfen; sie können ihren nach der Rückkehr aus der Verbannung erst vor
kurzem neu erbauten Tempel nicht dem rohen Heiden ausliefern. Sie entschließen
sich also zum Widerstande und befestigen alle Punkte, welche zur Vertheidigung
geeignet sind. Der hohe Priester Jojakim befiehlt besonders den Bewohnern


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[0479] MMsche Romane. Daß der Geist, aus dem die Bücher Tobie und Judith hervorgegangen sind, ein weit edlerer ist als der, welchem das Buch Esther und der Aristcas- brief entsprangen, habe ich schon vor kurzem in diesen Blättern angedeutet. Schon die Pflicht der Gerechtigkeit erheischt daher von mir, daß ich der Besprechung der letzten beiden Bücher die des erstgenannten Paares folgen lasse, damit der Leser nicht eine zu niedrige Meinung über den Werth des alt¬ jüdischen Romanes im Allgemeinen bekomme. 1. Judith. Der griechische Text, den wir in den gewöhnlichen griechischen Bibeln finden, und der, wie wir unten sehen werden, dem Urtext am nächsten steht, hat folgenden Inhalt: Nebukadnezar, König der Assyrer in Ninive, liegt im Streit mit Arphaxad, König der Meder, welcher seine Hauptstadt Ekbatana gewaltig befestigt hat. Der assyrische König entbietet alle Bewohner Vorderasiens bis nach Aethiopien hin zur Heeresfolge, aber sie gehorchen nicht. Dennoch schlägt er im siebzehnten Jahre seiner Regierung den Arphaxad und bringt ihn um, worauf er mit seinem ^reichen Heere ein 120tägigcs Freudenfest feiert. Im Beginn des folgenden Jahres beschließt er mit seinen Großen, die unbotmäßigen Völker zu züchtigen. Olophernes, sein erster Feldherr, soll sie unterwerfen; über die, welche sich ergeben, will er selbst später Gericht halten; die widerspenstigen soll der Heerführer vernichten. Mit gewaltiger Heeresmacht zieht dieser aus; alles unterwirft sich. Die Namen der Völker, Länder und Städte, welche er berührt, sind zum Theil undeutlich und verwirrt, so daß wir die Richtung des Zuges nicht genau erkennen können, aber so viel ist klar, nach und nach sind alle Länder ohne Widerstand in den Händen der Assyrer, mit Ausnahme des gebirgigen Landes der Juden mit Inbegriff Samariens (welches durchaus als zu Judäa gehörig betrachtet wird). Ueberall zerstört Olophernes die Heiligthümer der Völker, da er nur die Verehrung eines einzigen Gottes, nämlich seines Königs, gestattet. Gerade dieser Umstand macht es den Juden unmöglich, sich zu unter¬ werfen; sie können ihren nach der Rückkehr aus der Verbannung erst vor kurzem neu erbauten Tempel nicht dem rohen Heiden ausliefern. Sie entschließen sich also zum Widerstande und befestigen alle Punkte, welche zur Vertheidigung geeignet sind. Der hohe Priester Jojakim befiehlt besonders den Bewohnern S7*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/479>, abgerufen am 29.06.2024.