Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.gelangte in dieser an heiligem Orte gehaltenen Streit- und Schmährcde so weit, Clemens in der früher erwähnten Abhandlung und im engsten Anschlusse Ein solches Verbot, die Mundtodtmachung eines Einzelnen, während man 54*
gelangte in dieser an heiligem Orte gehaltenen Streit- und Schmährcde so weit, Clemens in der früher erwähnten Abhandlung und im engsten Anschlusse Ein solches Verbot, die Mundtodtmachung eines Einzelnen, während man 54*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0453" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283250"/> <p xml:id="ID_1451" prev="#ID_1450"> gelangte in dieser an heiligem Orte gehaltenen Streit- und Schmährcde so weit,<lb/> daß er behauptete, die Mathematik sei Teufelswerk, und die Mathematiker<lb/> müßten als Ketzer aus allen christlichen Landen verbannt werden. Der Domini¬<lb/> kanergeneral Marofsi entschuldigte zwar diesen Skandal, wie er selbst sich aus¬<lb/> drückte: (Reumont a. a. O. S. 314) mit der Albernheit des Redners, allein der<lb/> 'jetzt durch Caccini abschriftlich nach Rom mitgetheilte Brief Galileis an Castelli<lb/> veränderte die dortige Stimmung in bedenklichster Weise. Zwar fehlte es<lb/> Galilei auch jetzt noch nicht an hochstehenden Freunden. Neben dem Jesuiten<lb/> Nov. Bellarmino, der gegen Galilei wirkte, stand Maffeo Barberini, ein Zög¬<lb/> ling desselben Ordens, mit Entschiedenheit ein für den von ihm bewunderten<lb/> Gelehrten. Aber die Gegner bildeten bereits die Mehrzahl, und als Galilei<lb/> 1616 nach Rom gelangte, um die Sache der Wissenschaft zu vertheidigen, da<lb/> blieb Cardinal Barberini mit seinem Antrage, die Meinungen Galileis für kühn,<lb/> aber nicht für irrig zu erklären (die Zeitschrift „Der Katholik" Juniheft 1864<lb/> S. 692 Anmerkung) vereinzelt. Der Ausspruch der von Papst Paul dem Fünften<lb/> eingesetzten Qualificatorcn ging dahin 1) daß die Lehre vom Stillstehen der<lb/> Sonne als absurd und falsch in der Philosophie und der heiligen Schrift zu¬<lb/> widerlaufend erscheine und daher häretisch sei; 2) auch der Gedanke, daß sich<lb/> die Erde bewege, sei absurd und falsch in der Philosophie, der heiligen Schrift<lb/> zuwider und im theologischen Sinne, wenn nicht gerade häretisch, doch als irrig<lb/> im Glauben zu erachten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1452"> Clemens in der früher erwähnten Abhandlung und im engsten Anschlusse<lb/> «n ihn H. Vosen (S. 8—10 und S. 13—20) haben sich viele Mühe gegeben,<lb/> dieses Urtheil als objectiv correct hinzustellen. Sie haben dazu besonderes Ge¬<lb/> wicht auf den Umstand gelegt, daß die kopernikanische Lehre damals in der<lb/> That nur zur Hälfte als erwiesen betrachtet werden konnte. Die Astronomie<lb/> sprach für dieselbe, die Physik sprach dagegen, so lange man annahm, die Erde<lb/> bewege sich nicht mit der Luft, sondern durch die Luft, mit anderen Worten<lb/> so lange die Schwere der Luft noch unbekannt war, welche erst von Torricelli<lb/> behauptet wurde. Allein wie konnte man deshalb die Lehre zu einer theils im<lb/> Glauben irrigen, theils sogar zu einer häretischen stempeln? Wie kam man da¬<lb/> zu, an Galilei persönlich ein Verbot zu richten, jemals wieder in irgendeiner<lb/> Weise durch Wort oder Schrift jene Ansichten zu hegen, zu lehren oder zu<lb/> vertheidigen? Ein Verbot, welchem gegenüber, wie' es in den Protokollen<lb/> heißt, Galilei sich zur Ruhe gab und Gehorsam versprach, aeyuiövit et xarcii-L<lb/> pwwisit (M. 94).</p><lb/> <p xml:id="ID_1453" next="#ID_1454"> Ein solches Verbot, die Mundtodtmachung eines Einzelnen, während man<lb/> doch die Möglichkeit besaß, seine Schriften nach dem Erscheinen zu prüfen, wie<lb/> man es auch mit anderen Schriftstellern übte, dies Gebahren zeigt hinlänglich,<lb/> daß der Haß gegen Galilei das Urtheil dictirt hatte, nicht etwa die vorhandene</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 54*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0453]
gelangte in dieser an heiligem Orte gehaltenen Streit- und Schmährcde so weit,
daß er behauptete, die Mathematik sei Teufelswerk, und die Mathematiker
müßten als Ketzer aus allen christlichen Landen verbannt werden. Der Domini¬
kanergeneral Marofsi entschuldigte zwar diesen Skandal, wie er selbst sich aus¬
drückte: (Reumont a. a. O. S. 314) mit der Albernheit des Redners, allein der
'jetzt durch Caccini abschriftlich nach Rom mitgetheilte Brief Galileis an Castelli
veränderte die dortige Stimmung in bedenklichster Weise. Zwar fehlte es
Galilei auch jetzt noch nicht an hochstehenden Freunden. Neben dem Jesuiten
Nov. Bellarmino, der gegen Galilei wirkte, stand Maffeo Barberini, ein Zög¬
ling desselben Ordens, mit Entschiedenheit ein für den von ihm bewunderten
Gelehrten. Aber die Gegner bildeten bereits die Mehrzahl, und als Galilei
1616 nach Rom gelangte, um die Sache der Wissenschaft zu vertheidigen, da
blieb Cardinal Barberini mit seinem Antrage, die Meinungen Galileis für kühn,
aber nicht für irrig zu erklären (die Zeitschrift „Der Katholik" Juniheft 1864
S. 692 Anmerkung) vereinzelt. Der Ausspruch der von Papst Paul dem Fünften
eingesetzten Qualificatorcn ging dahin 1) daß die Lehre vom Stillstehen der
Sonne als absurd und falsch in der Philosophie und der heiligen Schrift zu¬
widerlaufend erscheine und daher häretisch sei; 2) auch der Gedanke, daß sich
die Erde bewege, sei absurd und falsch in der Philosophie, der heiligen Schrift
zuwider und im theologischen Sinne, wenn nicht gerade häretisch, doch als irrig
im Glauben zu erachten.
Clemens in der früher erwähnten Abhandlung und im engsten Anschlusse
«n ihn H. Vosen (S. 8—10 und S. 13—20) haben sich viele Mühe gegeben,
dieses Urtheil als objectiv correct hinzustellen. Sie haben dazu besonderes Ge¬
wicht auf den Umstand gelegt, daß die kopernikanische Lehre damals in der
That nur zur Hälfte als erwiesen betrachtet werden konnte. Die Astronomie
sprach für dieselbe, die Physik sprach dagegen, so lange man annahm, die Erde
bewege sich nicht mit der Luft, sondern durch die Luft, mit anderen Worten
so lange die Schwere der Luft noch unbekannt war, welche erst von Torricelli
behauptet wurde. Allein wie konnte man deshalb die Lehre zu einer theils im
Glauben irrigen, theils sogar zu einer häretischen stempeln? Wie kam man da¬
zu, an Galilei persönlich ein Verbot zu richten, jemals wieder in irgendeiner
Weise durch Wort oder Schrift jene Ansichten zu hegen, zu lehren oder zu
vertheidigen? Ein Verbot, welchem gegenüber, wie' es in den Protokollen
heißt, Galilei sich zur Ruhe gab und Gehorsam versprach, aeyuiövit et xarcii-L
pwwisit (M. 94).
Ein solches Verbot, die Mundtodtmachung eines Einzelnen, während man
doch die Möglichkeit besaß, seine Schriften nach dem Erscheinen zu prüfen, wie
man es auch mit anderen Schriftstellern übte, dies Gebahren zeigt hinlänglich,
daß der Haß gegen Galilei das Urtheil dictirt hatte, nicht etwa die vorhandene
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