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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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andere Abhandlungen, als bloße Zusammenstellungen, unerwähnt bleiben mögen,
neben welchen aber auch als Quellenwerk die 1842--56 in Florenz von Alben
besorgte sechzehnbändige Gesammtausgabe von Galileis Werken genannt werden
muß. die manche neuen Actenstücke zu den schon vorhandenen ergänzend hin¬
zufügte. Sicherlich einige neuere Schriften, welche noch brauchbares Material
liefern, mag nun die Brauchbarkeit als eine allgemein geschichtliche, oder als
eine solche aufgefaßt werden, die eine vorausbestimmte Absicht anerkennt.

Bei der Brochüre des Herrn Christian Hermann Vosen "Galileo Galilei
und die römische Verurtheilung des kopernikanischen Systems" dürfen wir die
Brauchbarkeit in dem zuletzt angegebenen Sinne verstehen. Ist sie doch von
dem katholischen Brochürenverein in Frankfurt a. M. herausgegeben; hat sie
also doch sicherlich den Zweck, die sogenannten Verläumdungen aus dem Wege
zu räumen, welche man aus Anlaß des galileischen Processes auf die Kirche,
auf die Religion geschleudert hat; denn wer könnte bezweifeln, daß der
Religion Gefahr droht, wenn man behauptet, eine in ihrer wissenschaftlichen
Eitelkeit gekränkte Clique habe einmal vor 250 Jahren ihren Einfluß mi߬
braucht! Solchen Parteischriften gegenüber sind wir persönlich sehr geneigt,
eine möglich nachsichtige Beurtheilung eintreten zu lassen. Wir verlangen nicht
von H. Vosen, daß er alle die Arbeiten nenne und berücksichtige, welche wir
oben erwähnt haben. Aber das zu verlangen sind wir denn doch berechtigt,
daß er die Abhandlung von Clemens, mit welcher er zuweilen überraschend
wörtlich übereinstimmt, und die er darnach Wohl gelesen haben wird, genannt
hätte; daß er ferner sich mit der, wie gesagt, officiellen Darstellung von Marino
Marini erst bekannt gemacht hätte, bevor er sich erlaubte "den ganzen Sach¬
verhalt in klares Licht zu stellen".

Daß nämlich aus diesem officiellen Buche des verstorbenen Präfecten des
vaticanischen Archivs ein ganz 'anderes Bild des Processes gegen Galilei zu
entnehmen ist, als H. Vosen es gegeben hat, davon mag folgende Zusammen¬
stellung überzeugen, bei welcher für die wichtigsten Momente gerade Marino
Marini*) als Gewährsmann citirt werden soll. Uebergehen wir deshalb
die ganze erste größere Hälfte des vielbewegten Lebens von Galileo Galilei,
die Zeit von seiner Geburt, welche den 18. Februar 1564 erfolgte, bis zum
10. Juli 1610, wo er den Abmahnungen seiner Freunde zuwider einen Ruf
des Großherzogs Cosmus des Zweiten annahm, durch welchen er seine Stellung
als vielgehörter, aber auch vielbeschäftigter Professor in Padua mit der eines
Professors der Universität Pisa vertauschte, ohne die Verpflichtung, auch nur
in Pisa seinen Wohnsitz aufzuschlagen, geschweige denn wirklich dort zu lehren,



Der Kürze wegen citiren wir schlechtweg M. und die Seitenzahl.

andere Abhandlungen, als bloße Zusammenstellungen, unerwähnt bleiben mögen,
neben welchen aber auch als Quellenwerk die 1842—56 in Florenz von Alben
besorgte sechzehnbändige Gesammtausgabe von Galileis Werken genannt werden
muß. die manche neuen Actenstücke zu den schon vorhandenen ergänzend hin¬
zufügte. Sicherlich einige neuere Schriften, welche noch brauchbares Material
liefern, mag nun die Brauchbarkeit als eine allgemein geschichtliche, oder als
eine solche aufgefaßt werden, die eine vorausbestimmte Absicht anerkennt.

Bei der Brochüre des Herrn Christian Hermann Vosen „Galileo Galilei
und die römische Verurtheilung des kopernikanischen Systems" dürfen wir die
Brauchbarkeit in dem zuletzt angegebenen Sinne verstehen. Ist sie doch von
dem katholischen Brochürenverein in Frankfurt a. M. herausgegeben; hat sie
also doch sicherlich den Zweck, die sogenannten Verläumdungen aus dem Wege
zu räumen, welche man aus Anlaß des galileischen Processes auf die Kirche,
auf die Religion geschleudert hat; denn wer könnte bezweifeln, daß der
Religion Gefahr droht, wenn man behauptet, eine in ihrer wissenschaftlichen
Eitelkeit gekränkte Clique habe einmal vor 250 Jahren ihren Einfluß mi߬
braucht! Solchen Parteischriften gegenüber sind wir persönlich sehr geneigt,
eine möglich nachsichtige Beurtheilung eintreten zu lassen. Wir verlangen nicht
von H. Vosen, daß er alle die Arbeiten nenne und berücksichtige, welche wir
oben erwähnt haben. Aber das zu verlangen sind wir denn doch berechtigt,
daß er die Abhandlung von Clemens, mit welcher er zuweilen überraschend
wörtlich übereinstimmt, und die er darnach Wohl gelesen haben wird, genannt
hätte; daß er ferner sich mit der, wie gesagt, officiellen Darstellung von Marino
Marini erst bekannt gemacht hätte, bevor er sich erlaubte „den ganzen Sach¬
verhalt in klares Licht zu stellen".

Daß nämlich aus diesem officiellen Buche des verstorbenen Präfecten des
vaticanischen Archivs ein ganz 'anderes Bild des Processes gegen Galilei zu
entnehmen ist, als H. Vosen es gegeben hat, davon mag folgende Zusammen¬
stellung überzeugen, bei welcher für die wichtigsten Momente gerade Marino
Marini*) als Gewährsmann citirt werden soll. Uebergehen wir deshalb
die ganze erste größere Hälfte des vielbewegten Lebens von Galileo Galilei,
die Zeit von seiner Geburt, welche den 18. Februar 1564 erfolgte, bis zum
10. Juli 1610, wo er den Abmahnungen seiner Freunde zuwider einen Ruf
des Großherzogs Cosmus des Zweiten annahm, durch welchen er seine Stellung
als vielgehörter, aber auch vielbeschäftigter Professor in Padua mit der eines
Professors der Universität Pisa vertauschte, ohne die Verpflichtung, auch nur
in Pisa seinen Wohnsitz aufzuschlagen, geschweige denn wirklich dort zu lehren,



Der Kürze wegen citiren wir schlechtweg M. und die Seitenzahl.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/450>, abgerufen am 26.06.2024.