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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Der Plan gelang vollständig. Sei es, daß sie die zur Schau gestellten Feuer¬
waffen fürchteten, sei es. daß sie, wie es den Anschein hatte, durch Noth und
Elend geschwächt und entmuthigt waren, kurz, sie legten eine große Schüch¬
ternheit und Demuth an den Tag. Bei dem Anblicke von Salz, Zucker,
Früchten, Kakao u. s. w, blitzte Heißhunger und Begierde aus ihren dunkeln,
melancholischen Augen. Der rothe Drache wußte endlich durch Zeichen und
Worte so viel auszukundschaften, daß sie, größtentheils trank, ermüdet und
durch Alter gelähmt, weit hinter ihrem Häuptlinge und Stamme zurückgeblieben
und mit den hilflosen Weibern allein gelassen waren. Die kräftigeren Frauen,
denen alle Arbeit obliegt, sowie alle Lebensmittel und Gerätschaften befanden
sich bei dem Hauptzuge, und sie selbst mußten nun auf die traurigste Art ihr
Leben fristen, bis sie ihren Stamm wieder erreicht haben würden.

Ein jeder von den Indianern wurde mit einem kleinen Stück Zucker be¬
schenkt und erhielt ein geringes Maß Branntwein. Kaum hatten sie diese
Gaben empfangen, so lwaren ^dieselben auch schon verschwunden, und jetzt
erst kam ihre ganze Lüsternheit nach jenen Schätzen zum Ausbruch. Alle ihre
Gliedmaßen waren in Bewegung, ihre Zungen standen nicht mehr still,
und Liebkosungen und Drohungen gegen uns wechselten ununterbrochen mit
einander ab. Hastig begannen sie ihre Bündel von rohen Thierfellen ausein¬
anderzuschlagen, und boten uns trockne, aber gewaltig übelriechende Fische,
oberflächlich gerupfte und auseinandergelegte getrocknete Vögel, Affen, Schweins-
ienden, anderes gedörrtes Wildfleisch, Kammeidechsen und verschiedene, wenig
Appetit erregende Reptilien an. Der Duft, der diesem ungesalzenen Proviant
entstieg, war für die ungestählten Nerven eines Culturmenschen fast betäubend,
die rothhäutigen Kinder der Wildniß schienen denselben aber als ebenso köstliche
Beigabe zu schätzen, wie der Gourmand seine pikanten Saucen zum Braten zu
ehren weiß. Dennoch mußte ihnen das Salz zur Erhaltung und zum Genusse
dieser nüchternen Speisen ein großes Bedürfniß sein, denn sie boten für eine
Handvoll davon ein ganzes Fcllbündel voll Fische und Vögel.

Wir konnten wohl Einiges, aber doch nur nach Auswahl von diesen Gegen¬
ständen gebrauchen und unmöglich der ungestümen Tauschlust der Rothhäute
genügen. Vergeblich war der Versuch, sie durch kleine Geschenke zu befriedigen
und als gute Freunde 'abzuspeisen. Klüger wäre es gewesen, ihre Begierde
gar nicht zu reizen; denn immer zudiinglicher wurden sie in ihren Anforderungen,
namentlich für einige Flaschen Branntwein schienen sie gewillt, alle ihre Habe
an uns abzutreten; unverständiger jedoch hätten wir nicht handeln können, als
wenn wir uns auf diese Weise ein Nudel berauschter wilder Teufel auf den
Hals gebracht hätten. So fügsam und phlegmatisch friedfertig auch der In¬
dianer im nüchternen Zustande ist, sofern man sein Vertrauen zu gewinnen
weiß, so bestialisch wild und unzähmbar habsüchtig geberdet er sich in der


Grenzboten II. 18K6, 50

Der Plan gelang vollständig. Sei es, daß sie die zur Schau gestellten Feuer¬
waffen fürchteten, sei es. daß sie, wie es den Anschein hatte, durch Noth und
Elend geschwächt und entmuthigt waren, kurz, sie legten eine große Schüch¬
ternheit und Demuth an den Tag. Bei dem Anblicke von Salz, Zucker,
Früchten, Kakao u. s. w, blitzte Heißhunger und Begierde aus ihren dunkeln,
melancholischen Augen. Der rothe Drache wußte endlich durch Zeichen und
Worte so viel auszukundschaften, daß sie, größtentheils trank, ermüdet und
durch Alter gelähmt, weit hinter ihrem Häuptlinge und Stamme zurückgeblieben
und mit den hilflosen Weibern allein gelassen waren. Die kräftigeren Frauen,
denen alle Arbeit obliegt, sowie alle Lebensmittel und Gerätschaften befanden
sich bei dem Hauptzuge, und sie selbst mußten nun auf die traurigste Art ihr
Leben fristen, bis sie ihren Stamm wieder erreicht haben würden.

Ein jeder von den Indianern wurde mit einem kleinen Stück Zucker be¬
schenkt und erhielt ein geringes Maß Branntwein. Kaum hatten sie diese
Gaben empfangen, so lwaren ^dieselben auch schon verschwunden, und jetzt
erst kam ihre ganze Lüsternheit nach jenen Schätzen zum Ausbruch. Alle ihre
Gliedmaßen waren in Bewegung, ihre Zungen standen nicht mehr still,
und Liebkosungen und Drohungen gegen uns wechselten ununterbrochen mit
einander ab. Hastig begannen sie ihre Bündel von rohen Thierfellen ausein¬
anderzuschlagen, und boten uns trockne, aber gewaltig übelriechende Fische,
oberflächlich gerupfte und auseinandergelegte getrocknete Vögel, Affen, Schweins-
ienden, anderes gedörrtes Wildfleisch, Kammeidechsen und verschiedene, wenig
Appetit erregende Reptilien an. Der Duft, der diesem ungesalzenen Proviant
entstieg, war für die ungestählten Nerven eines Culturmenschen fast betäubend,
die rothhäutigen Kinder der Wildniß schienen denselben aber als ebenso köstliche
Beigabe zu schätzen, wie der Gourmand seine pikanten Saucen zum Braten zu
ehren weiß. Dennoch mußte ihnen das Salz zur Erhaltung und zum Genusse
dieser nüchternen Speisen ein großes Bedürfniß sein, denn sie boten für eine
Handvoll davon ein ganzes Fcllbündel voll Fische und Vögel.

Wir konnten wohl Einiges, aber doch nur nach Auswahl von diesen Gegen¬
ständen gebrauchen und unmöglich der ungestümen Tauschlust der Rothhäute
genügen. Vergeblich war der Versuch, sie durch kleine Geschenke zu befriedigen
und als gute Freunde 'abzuspeisen. Klüger wäre es gewesen, ihre Begierde
gar nicht zu reizen; denn immer zudiinglicher wurden sie in ihren Anforderungen,
namentlich für einige Flaschen Branntwein schienen sie gewillt, alle ihre Habe
an uns abzutreten; unverständiger jedoch hätten wir nicht handeln können, als
wenn wir uns auf diese Weise ein Nudel berauschter wilder Teufel auf den
Hals gebracht hätten. So fügsam und phlegmatisch friedfertig auch der In¬
dianer im nüchternen Zustande ist, sofern man sein Vertrauen zu gewinnen
weiß, so bestialisch wild und unzähmbar habsüchtig geberdet er sich in der


Grenzboten II. 18K6, 50
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[0417] Der Plan gelang vollständig. Sei es, daß sie die zur Schau gestellten Feuer¬ waffen fürchteten, sei es. daß sie, wie es den Anschein hatte, durch Noth und Elend geschwächt und entmuthigt waren, kurz, sie legten eine große Schüch¬ ternheit und Demuth an den Tag. Bei dem Anblicke von Salz, Zucker, Früchten, Kakao u. s. w, blitzte Heißhunger und Begierde aus ihren dunkeln, melancholischen Augen. Der rothe Drache wußte endlich durch Zeichen und Worte so viel auszukundschaften, daß sie, größtentheils trank, ermüdet und durch Alter gelähmt, weit hinter ihrem Häuptlinge und Stamme zurückgeblieben und mit den hilflosen Weibern allein gelassen waren. Die kräftigeren Frauen, denen alle Arbeit obliegt, sowie alle Lebensmittel und Gerätschaften befanden sich bei dem Hauptzuge, und sie selbst mußten nun auf die traurigste Art ihr Leben fristen, bis sie ihren Stamm wieder erreicht haben würden. Ein jeder von den Indianern wurde mit einem kleinen Stück Zucker be¬ schenkt und erhielt ein geringes Maß Branntwein. Kaum hatten sie diese Gaben empfangen, so lwaren ^dieselben auch schon verschwunden, und jetzt erst kam ihre ganze Lüsternheit nach jenen Schätzen zum Ausbruch. Alle ihre Gliedmaßen waren in Bewegung, ihre Zungen standen nicht mehr still, und Liebkosungen und Drohungen gegen uns wechselten ununterbrochen mit einander ab. Hastig begannen sie ihre Bündel von rohen Thierfellen ausein¬ anderzuschlagen, und boten uns trockne, aber gewaltig übelriechende Fische, oberflächlich gerupfte und auseinandergelegte getrocknete Vögel, Affen, Schweins- ienden, anderes gedörrtes Wildfleisch, Kammeidechsen und verschiedene, wenig Appetit erregende Reptilien an. Der Duft, der diesem ungesalzenen Proviant entstieg, war für die ungestählten Nerven eines Culturmenschen fast betäubend, die rothhäutigen Kinder der Wildniß schienen denselben aber als ebenso köstliche Beigabe zu schätzen, wie der Gourmand seine pikanten Saucen zum Braten zu ehren weiß. Dennoch mußte ihnen das Salz zur Erhaltung und zum Genusse dieser nüchternen Speisen ein großes Bedürfniß sein, denn sie boten für eine Handvoll davon ein ganzes Fcllbündel voll Fische und Vögel. Wir konnten wohl Einiges, aber doch nur nach Auswahl von diesen Gegen¬ ständen gebrauchen und unmöglich der ungestümen Tauschlust der Rothhäute genügen. Vergeblich war der Versuch, sie durch kleine Geschenke zu befriedigen und als gute Freunde 'abzuspeisen. Klüger wäre es gewesen, ihre Begierde gar nicht zu reizen; denn immer zudiinglicher wurden sie in ihren Anforderungen, namentlich für einige Flaschen Branntwein schienen sie gewillt, alle ihre Habe an uns abzutreten; unverständiger jedoch hätten wir nicht handeln können, als wenn wir uns auf diese Weise ein Nudel berauschter wilder Teufel auf den Hals gebracht hätten. So fügsam und phlegmatisch friedfertig auch der In¬ dianer im nüchternen Zustande ist, sofern man sein Vertrauen zu gewinnen weiß, so bestialisch wild und unzähmbar habsüchtig geberdet er sich in der Grenzboten II. 18K6, 50

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/417>, abgerufen am 26.06.2024.