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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Boden. Ob es bei der beabsichtigten neuen Beantragung, den Posten zu streich"",
steh von jenem Boden entfernen wird oder sollte, ist hier nicht zu untersuchen.
Wo ist die genaue Grenze des Gesetzes? dies sollte untersucht und ausgesprochen
werden. Mag das Resultat noch so sehr dem. der es aussprach und den
Lesern unconstitutionell. unjuristisch, unwirthschaftlich. unvernünftig erscheinen,
mag es die Leidenschaft des Herzens erregen über solche Fesseln einer con-
stitutionellen Volksvertretung, einer constitutionellen Verfassung, es trägt einen
unersetzlichen Vorzug mitten in die Parteiconflicte: das Sichere der Wahrheit.
Diese dient stets einer politisch durch und durch aufgeregten Zeit, wie ganz
vornehmlich jetzt uns Preußen, wo wir unsre Verfassung, ja unsere wirth-
schaftlichen, unsere Rechts-und unsere öffentlichen Sittenzustande allseitig und dauernd
gefährdet sehen. Der Abgeordnete Ziegler ruft am 19. Mai im Hause aus: "Täglich
geschieht Ungeheures vor unsern Augen, aber wir sehen es kaum vor lauter
Abstumpfung durch die Wirthschaft in diesen langen Jahren. Wir sind ange¬
kommen an der Stelle, an der eine vollständige Desorganisation der Geister
eintritt, die Armand Marrast in einer Vertheidigung vor dem französischen
Pairshofe richtig bezeichnete, indem er ausrief: die Perversität ist Euch von
dem Unterleibe ins Gehirn gestiegen, Ihr könnt nicht mehr denken!" In
solch"" Zeiten ist es letzter, äußerster Gewinn, genau die Grenze des noch
geltenden Gesetzes vor Augen zu sehen, und wäre es nur. um danach die
Schritte zu bemessen über das Gesetz hinaus.

Eine Frage zum Schluß. Schulze-Delitzsch ist so beflissen, ein richtiges
Verhältniß zwischen Staatsausgaben und Einnahmen, zwischen Staatsausgaben
und Vvlksbelastung herzustellen. Schon vor Berathung des Budgets hielt die
Provinzialconespondenz den liberalen Parteien die "unglaubliche Leichtfertigkeit"
vor, mit der sie die Quanta der einzelnen Posten des Budgets behandelten.

Nun sind 7 Millionen Thlr. im Militärelat gestrichen, in anderen Posten
eine Zahl kleinerer Summen; erhöht wurde kein Ausgabeetat. Und trotzdem
bewilligten Commission und Haus die Veranlagung der Gebäudesteuer mit
3,506,000 Thlr., während sie ursprünglich (Gesetz von 1861) nur auf 2.843.260 Thlr.
veranschlagt war und während eine Resolution (Ur. ü.) ausdrücklich beantragte,
obige Erhöhung der Steuer aus letzteren Betrag herabzusetzen, oder vielmehr
den Posten auf letzteren, gesetzlichen Betrag festzusetzen.

Kein Gesetz stand und steht hier dem Hause entgegen. Die "bestehende
Steuer des Gesetzes von 1861" beruhte nur auf 2.843,260 Thlr., die Erhöhung
im jetzigen Budgetentwurf um 662.740 Thlr. ist eine neue, an der selbst
Art. 109 der Verfassung dem Hause das Steuerverweigerungsrecht zugestehen
muß. -- und trotz alledem und bei so triftigen Gründen zu Ersparnissen selbst
derer, die jetzt für die ganze Post der neuen Steuer stimmten, giebt man der
"budgetlosen", "verfassungswidrigen", "von jedem "Vertrauen ausgeschlossenen"


Boden. Ob es bei der beabsichtigten neuen Beantragung, den Posten zu streich««,
steh von jenem Boden entfernen wird oder sollte, ist hier nicht zu untersuchen.
Wo ist die genaue Grenze des Gesetzes? dies sollte untersucht und ausgesprochen
werden. Mag das Resultat noch so sehr dem. der es aussprach und den
Lesern unconstitutionell. unjuristisch, unwirthschaftlich. unvernünftig erscheinen,
mag es die Leidenschaft des Herzens erregen über solche Fesseln einer con-
stitutionellen Volksvertretung, einer constitutionellen Verfassung, es trägt einen
unersetzlichen Vorzug mitten in die Parteiconflicte: das Sichere der Wahrheit.
Diese dient stets einer politisch durch und durch aufgeregten Zeit, wie ganz
vornehmlich jetzt uns Preußen, wo wir unsre Verfassung, ja unsere wirth-
schaftlichen, unsere Rechts-und unsere öffentlichen Sittenzustande allseitig und dauernd
gefährdet sehen. Der Abgeordnete Ziegler ruft am 19. Mai im Hause aus: „Täglich
geschieht Ungeheures vor unsern Augen, aber wir sehen es kaum vor lauter
Abstumpfung durch die Wirthschaft in diesen langen Jahren. Wir sind ange¬
kommen an der Stelle, an der eine vollständige Desorganisation der Geister
eintritt, die Armand Marrast in einer Vertheidigung vor dem französischen
Pairshofe richtig bezeichnete, indem er ausrief: die Perversität ist Euch von
dem Unterleibe ins Gehirn gestiegen, Ihr könnt nicht mehr denken!" In
solch«» Zeiten ist es letzter, äußerster Gewinn, genau die Grenze des noch
geltenden Gesetzes vor Augen zu sehen, und wäre es nur. um danach die
Schritte zu bemessen über das Gesetz hinaus.

Eine Frage zum Schluß. Schulze-Delitzsch ist so beflissen, ein richtiges
Verhältniß zwischen Staatsausgaben und Einnahmen, zwischen Staatsausgaben
und Vvlksbelastung herzustellen. Schon vor Berathung des Budgets hielt die
Provinzialconespondenz den liberalen Parteien die „unglaubliche Leichtfertigkeit"
vor, mit der sie die Quanta der einzelnen Posten des Budgets behandelten.

Nun sind 7 Millionen Thlr. im Militärelat gestrichen, in anderen Posten
eine Zahl kleinerer Summen; erhöht wurde kein Ausgabeetat. Und trotzdem
bewilligten Commission und Haus die Veranlagung der Gebäudesteuer mit
3,506,000 Thlr., während sie ursprünglich (Gesetz von 1861) nur auf 2.843.260 Thlr.
veranschlagt war und während eine Resolution (Ur. ü.) ausdrücklich beantragte,
obige Erhöhung der Steuer aus letzteren Betrag herabzusetzen, oder vielmehr
den Posten auf letzteren, gesetzlichen Betrag festzusetzen.

Kein Gesetz stand und steht hier dem Hause entgegen. Die „bestehende
Steuer des Gesetzes von 1861" beruhte nur auf 2.843,260 Thlr., die Erhöhung
im jetzigen Budgetentwurf um 662.740 Thlr. ist eine neue, an der selbst
Art. 109 der Verfassung dem Hause das Steuerverweigerungsrecht zugestehen
muß. — und trotz alledem und bei so triftigen Gründen zu Ersparnissen selbst
derer, die jetzt für die ganze Post der neuen Steuer stimmten, giebt man der
»budgetlosen", „verfassungswidrigen", „von jedem „Vertrauen ausgeschlossenen"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/405>, abgerufen am 28.09.2024.