Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.und Leuten. Auf den Stationen, wo umgespannt und gerastet ward, traf Wie anders heute! Der Zug braust durch eine historisch berühmte Gegend, Die Reisenden sitzen meist stumm nebeneinander, lesen, rauchen, oder Man darf daher mit Sicherheit sagen, so gewiß die Eisenbahn für den und Leuten. Auf den Stationen, wo umgespannt und gerastet ward, traf Wie anders heute! Der Zug braust durch eine historisch berühmte Gegend, Die Reisenden sitzen meist stumm nebeneinander, lesen, rauchen, oder Man darf daher mit Sicherheit sagen, so gewiß die Eisenbahn für den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0381" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283178"/> <p xml:id="ID_1235" prev="#ID_1234"> und Leuten. Auf den Stationen, wo umgespannt und gerastet ward, traf<lb/> man den Verkehr der Umgebung, da gab es redselige Wirthe und Wirthinnen.<lb/> Kutscher. Postillone und Schirrmeister. Während der Postwagen sich langsam<lb/> den Berg hinaufschleppte. ging man plaudernd mit dem Schwager voran, ließ<lb/> sich das Land weisen und schaute auf der Höhe ringsum; eine Cigarre oder<lb/> ein Glas Punsch löste die Zunge des Schirrmeisters, der aus der Fülle seiner<lb/> Erfahrungen und Lokalkenntnisse mittheilte. Vor allem aber war man gesprä¬<lb/> chiger gegen die Reisegefährten; weil das Reisen verhältnißmäßig seltener war.<lb/> gaben die meisten Leute sich unbefangen seinem Reize hin. da man länger mit¬<lb/> sammen bleiben mußte, ja vielfach auf einander angewiesen war, nahm man<lb/> sich die Mühe die Genossen kennen zu lernen, mit denen man einmal zusammen-<lb/> gewebt war. und so wurden oft aus zufälligen Begegnungen wirkliche Bekannt¬<lb/> schaften, wie dies noch jetzt auf längern überseeischen Reisen geschieht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1236"> Wie anders heute! Der Zug braust durch eine historisch berühmte Gegend,<lb/> über ein Schlachtfeld, vorbei an ruinengekrönten Bergen, an Städten, deren<lb/> alte Thürme von vergangener Herrlichkeit erzählen könnten, aber der Schaffner,<lb/> den man nach Diesem und Jenem fragen möchte, hat kaum Zeit, die Fahrkarte<lb/> abzunehmen, ist auch vielleicht dreißig Meilen weit weg zu Haus.</p><lb/> <p xml:id="ID_1237"> Die Reisenden sitzen meist stumm nebeneinander, lesen, rauchen, oder<lb/> schlafen; wen» sich jemand überhaupt mit seinen Gefährten beschäftigt,<lb/> die ja vielleicht schon auf der nächsten Station aussteigen, so studirt er die<lb/> Physigonomie und sucht höchstens herauszubekommen, ob seine phrenologischen<lb/> Schlüsse richtig waren; redet ein anderer ihn an, so antwortet er vorsichtig, weil<lb/> heutzutage nicht mehr Kleider Leute machen und der feinste Herr sich zum Taschen¬<lb/> diebe entpuppen könnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1238"> Man darf daher mit Sicherheit sagen, so gewiß die Eisenbahn für den<lb/> der richtige Weg ist. der zu einem bestimmten Zweck möglichst rasch nach einem<lb/> bestimmten Ort gelangen will, so wenig entspricht sie der Idee des eigentlichen<lb/> Reifens, d. h. des Umherschweifens, inen Land und Leute kennen zu lernen.<lb/> Dies ist nur auf Fußwanderungen möglich. Nur der Fußreisende ist wahrhaft<lb/> ungebunden, er biegt nach Gefallen rechts und links ab, ersteigt jenen Berg.<lb/> Von dem er eine lohnende Aussicht erwartet, durchzieht jenes Thal, dessen<lb/> Schatten ihm traulich zuwinkt, verweilt überall, wo sein Interesse gefesselt wird,<lb/> und schlägt sein Nachtquartier auf. wo es ihm gefällt, mit einem Wort, er allein<lb/> 'se der wahre Freiherr unter den Reisenden; wem das Gefühl der Unabhängig¬<lb/> keit nicht auf einer Fußreise kommt, der wird es nie kennen lernen. Die Ein¬<lb/> fachheit seiner Ausrüstung, die ihn nicht von vornherein als ausbeutlungsfähig<lb/> "scheinen läßt, erleichtert ihm den ungezwungenen Verkehr mit dem Volke.<lb/> N'ehe in den großen Städten, die sich immer ähnlicher werden, nicht an ein¬<lb/> zelnen berühmten Punkten schöner Gegenden, wo sich fast immer Kellner und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0381]
und Leuten. Auf den Stationen, wo umgespannt und gerastet ward, traf
man den Verkehr der Umgebung, da gab es redselige Wirthe und Wirthinnen.
Kutscher. Postillone und Schirrmeister. Während der Postwagen sich langsam
den Berg hinaufschleppte. ging man plaudernd mit dem Schwager voran, ließ
sich das Land weisen und schaute auf der Höhe ringsum; eine Cigarre oder
ein Glas Punsch löste die Zunge des Schirrmeisters, der aus der Fülle seiner
Erfahrungen und Lokalkenntnisse mittheilte. Vor allem aber war man gesprä¬
chiger gegen die Reisegefährten; weil das Reisen verhältnißmäßig seltener war.
gaben die meisten Leute sich unbefangen seinem Reize hin. da man länger mit¬
sammen bleiben mußte, ja vielfach auf einander angewiesen war, nahm man
sich die Mühe die Genossen kennen zu lernen, mit denen man einmal zusammen-
gewebt war. und so wurden oft aus zufälligen Begegnungen wirkliche Bekannt¬
schaften, wie dies noch jetzt auf längern überseeischen Reisen geschieht.
Wie anders heute! Der Zug braust durch eine historisch berühmte Gegend,
über ein Schlachtfeld, vorbei an ruinengekrönten Bergen, an Städten, deren
alte Thürme von vergangener Herrlichkeit erzählen könnten, aber der Schaffner,
den man nach Diesem und Jenem fragen möchte, hat kaum Zeit, die Fahrkarte
abzunehmen, ist auch vielleicht dreißig Meilen weit weg zu Haus.
Die Reisenden sitzen meist stumm nebeneinander, lesen, rauchen, oder
schlafen; wen» sich jemand überhaupt mit seinen Gefährten beschäftigt,
die ja vielleicht schon auf der nächsten Station aussteigen, so studirt er die
Physigonomie und sucht höchstens herauszubekommen, ob seine phrenologischen
Schlüsse richtig waren; redet ein anderer ihn an, so antwortet er vorsichtig, weil
heutzutage nicht mehr Kleider Leute machen und der feinste Herr sich zum Taschen¬
diebe entpuppen könnte.
Man darf daher mit Sicherheit sagen, so gewiß die Eisenbahn für den
der richtige Weg ist. der zu einem bestimmten Zweck möglichst rasch nach einem
bestimmten Ort gelangen will, so wenig entspricht sie der Idee des eigentlichen
Reifens, d. h. des Umherschweifens, inen Land und Leute kennen zu lernen.
Dies ist nur auf Fußwanderungen möglich. Nur der Fußreisende ist wahrhaft
ungebunden, er biegt nach Gefallen rechts und links ab, ersteigt jenen Berg.
Von dem er eine lohnende Aussicht erwartet, durchzieht jenes Thal, dessen
Schatten ihm traulich zuwinkt, verweilt überall, wo sein Interesse gefesselt wird,
und schlägt sein Nachtquartier auf. wo es ihm gefällt, mit einem Wort, er allein
'se der wahre Freiherr unter den Reisenden; wem das Gefühl der Unabhängig¬
keit nicht auf einer Fußreise kommt, der wird es nie kennen lernen. Die Ein¬
fachheit seiner Ausrüstung, die ihn nicht von vornherein als ausbeutlungsfähig
"scheinen läßt, erleichtert ihm den ungezwungenen Verkehr mit dem Volke.
N'ehe in den großen Städten, die sich immer ähnlicher werden, nicht an ein¬
zelnen berühmten Punkten schöner Gegenden, wo sich fast immer Kellner und
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